Die irische Erfolgsband Bell X1 spielt im halbvollen Club Zwölfzehn in Stuttgart und macht die Leere ungeschehen. Der entzückte Bericht eines Popmusik-Amateurs.
Ich habe ja nicht so wirklich viel Ahnung von Popmusik, also habe ich vor dem Besuch des Konzerts von Bell X1 im Stuttgarter Club Zwölfzehn ein bisschen im Internet recherchiert. Nach kurzer Zeit wusste ich, dass die irische Band in ihrem Heimatland und den USA sehr erfolgreich ist und die Mitglieder bereits auf dem Weg sind, alte Hasen zu werden. Natürlich gab es auch Musik im Voraus zu hören. Da konnte auch ich als Ahnungsloser gleich zwei Dinge deutlich heraushören: 1. Das sind tatsächlich keine Anfänger und 2. haben die lyrischen Texte echt was zu bieten; wer behauptet, die auf Anhieb zu verstehen, mit dem möchte ich mal in eine Faustinszenierung gehen und sie mir erklären lassen.
Auf der Website des Clubs Zwölfzehn fand ich dieses Zitat, in dem Bell X1 folgendermaßen charakterisiert werden: „Da steckt Irland im Herzen, die Melodien sind von entrückender Schönheit und Traurigkeit…“. Hm, vielleicht eine etwas triefende Beschreibung. Das Problem ist nur, es stimmt. In Bell X1 steckt Herz und eine Menge anderer Gefühle, ich geb es also zu, ja, das Konzert hat mich berührt.
Bis wir das allerdings genießen konnten, lag noch eine kleine Hürde vor uns. Als wir als gute Neu-Stuttgarter pünktlich um 19:30 vor den Toren ankamen, wurden dort noch Tische gerückt. Ok, kleiner Spaziergang um den Block, nochmal nach Hause und um 21:30 wieder zum Club … aber wo war Stuttgart? Wir hatten die Vorband „The Postmarks“ leider verpasst, aber drängeln mussten wir uns nicht. Platz in der zweiten Reihe. Da war es ganz einfach zu vergessen, dass hinter uns nur noch ein paar Dutzend Leute im Raum verteilt waren. Stuttgart, du hast mich enttäuscht! Hoffentlich waren die anderen Konzerte in Festland-Europa besser besucht, sonst überlegen es sich die Iren anders und es gibt doch keinen EU-Vertrag. Ich will auch nicht verschweigen, dass circa 50% Englisch Muttersprachler/-innen waren und wahrscheinlich schon lange Fans.
Aber dann geht es los und sofort fällt mir auf: Sänger Paul Noonan küsst die Worte, die er singt. Ja, das klingt noch schlimmer als „Irland im Herzen“, ist aber wahr. Als nächstes sticht die ungemein sympathische Mischung von Typen in dieser Band ins Auge, und da ist auch die türkisblaue Hose des Sängers, wo habe ich die schon einmal gesehen? Ach ja, hier! Dazu zweimal Leopardenmuster, was mich daran erinnert, dass ich in einem Interview gelesen habe, die Bandmitglieder seien auf der Bühne ganz anders, als ihre CDs nahelegen. Und tatsächlich, es gab sogar zerbrochene Drumsticks, siehe Bild.
Wahnsinn, wie der Widerspruch zwischen dem Bild von Mamas Traumschwiegersohn, umgeben von seinen etwas verrückten aber friedlichen Kumpels, und dem einer wilden Rockband so beständig auf der Bühne aufrecht erhalten wurde, ohne dabei unfreiwillig komisch zu wirken. Jeder der Musiker schien für sich zu sein, und dennoch entstand auf der Bühne eine eigene Welt, die am Ende alle in ihren Bann zog. Paul Noonans meditative Armbewegungen erinnern mich übrigens an einen mir bekannten Schauspieler; würde der versuchen, Noonan nachzumachen wäre das ziemlich treffend, mit dem Unterschied, dass es bei Bell X1 nicht komisch aussieht, sondern man neidisch wird, dass die Band so in ihrer Musik versinkt. Da will man schnell hinterher.
Daher bin ich nur mit schlechtem Gewissen einmal kurz auf die Toilette gegangen. Im Nachinhein hat es sich aber gelohnt, die Bühne aus der Entfernung zu betrachten, was dieses, wie ich finde stimmungsvolle Foto zeigt (man sieht übrigens gar nicht, dass der Club fast leer ist).
Der Stimmung tat die Leere im Zwölfzehn übrigens keinen Abbruch. Von Song zu Song wurde man bewegter und erreichte den ersten Höhepunkt, als eine kleine Frau in der ersten Reihe mit an die Stirn gehaltenen, gekrümmten Zeigefingern Hasenohren machte und zu „The Great Defector“ in eine Art Ententanz verfiel („Till we start talking ‚bout those rabbits George „)– super. Sehr schön war auch, dass die Band nicht etwa durch Beifall oder „Encore“-Rufe zu ihren Zugaben bewegt wurde, sondern diese vom Publikum in großartiger Eigenleistung mit einer Vokalisation des Refrains von „Rocky Took a Lover“ auf Endlosschleife ersungen wurden.
Insgesamt also ein großartiger Ausklang des Wochenendes! Jungs (ja ich möchte mich mit Bell X1 verbrüdern, ich gebe es zu) reist tapfer weiter und kommt bloß wieder nach Stuttgart, die Schwaben kapieren es schon noch. Ich summe einfach weiter den Refrain von „Rocky Took a Lover“ und hoffe, dass die Band durch die Wohnzimmertür marschiert …
Fotos: (c) Oren Bar Tal und Karsten Krauskopf