Ein Ballettbesuch zur Vorweihnachtszeit, das hat schon seinen ganz besonderen Charme. Vor allem wenn es sich dabei um die Mutter aller Weihnachtsballette handelt, Tschaikowskys „Der Nussknacker“. Das Staatsballett Berlin startet in diesem Jahr besonders früh in die Weihnachtssaison, bereits Anfang Oktober feierte „Der Nussknacker“ Premiere. Eine Premiere die hohe Wellen schlug, war sie doch überschattet von lautstarken Protesten am Rande, im Saal vor Beginn der Vorstellung gegen den anwesenden Bürgermeister Michael Müller, auf der Straße vor der Deutschen Oper durch Schüler und Schülerinnen der Staatlichen Ballettschule Berlin und deren Eltern. Zwar ging es bei den Protesten nicht um die Neuinszenierung des Weihnachtsballetts durch Staatsballett Intendant Nacho Duato, sondern um die geplante Übertragung der Kointendanz im Sommer 2019 auf die Tanztheater Choreografin Sasha Waltz, aber Duatos Inszenierungen haben in den letzten Jahren auch immer wieder ausreichend Stoff für Kontroversen geliefert.
Der spanische Choreograf steht in dem Ruf, die großen, traditionsreichen Ballette mit seinen modern angehauchten Choreografien unnötig zu verschandeln, für seine Inszenierung von Tschaikowskys „Dornröschen“ hagelte es im letzten Jahr ausgiebig Kritikerhäme. Und wer weiß, vielleicht sah sich die ein oder andere Ballettmutter ja auch zusätzlich bemüßigt besonders lautstark in den Protest einzufallen, weil Duato entschied, in diesem Jahr keine Kinder und Nachwuchstalente der Staatlichen Ballettschule mehr in seiner Inszenierung mitwirken zu lassen – der Auflauf der Eleven und Elevinnen als Mäuse, Spielkinder, Zinnsoldaten und nicht zuletzt natürlich als junge Clara und ihr Nussknacker, stellte in den letzten Jahren für die SchülerInnen der Tanztalentschmiede immer ein besonderes Highlight dar. Stattdessen tanzen dieses Jahr sämtliche Rollen Tänzer der Kompanie und die Solisten.
Das mag dem ganzen Weihnachtsbudenzauber ein wenig den Niedlichkeitsfaktor nehmen, aber an Zuckerguss und klassischer Ballettromantik wurde auch dieses Jahr im „Nussknacker“ nicht gespart. Die Einrichtung des Weihnachtszimmers prunkt im schönsten Jugendstil und zum Tanz der Zuckerfee thront ein überdimensionaler Cupcake im Hintergrund. Dass Duato sich an der Choreografie zu Schaffen gemacht hat und diese in eine modernere Richtung verschoben hat, merkt man vor allem in den Charaktertänzen, wenn die Mäuse (eher ein Rudel sportlicher Ratten), die Soldaten oder die Matrosen auftreten. Aber das hat durchaus seinen Charme, und seine Interpretation des arabischen Tanzes ist nicht nur charmant sondern schlichtweg sensationell.
Der entscheidende Vorteil daran die Kinder aus der Inszenierung zu streichen ist, dass man Iana Salenko in beiden Akten als Clara bewundern darf. Die hat sichtlich Spaß an der kindlichen Seite ihrer Figur, agiert mit der für sie ganz besonderen Mischung aus Eleganz, Durchlässigkeit und warmem Herzen. Ihre Choreografien hat Duato zum Teil etwas weicher, runder angelegt, was Fans der strammen, russischen Schule vielleicht enttäuschen dürfte, der ersten Solistin des Staatsballetts aber ungemein gut steht.
Man kann also darüber diskutieren, ob die Mischung aus Moderne und weihnachtlichem Kitsch den persönlichen Geschmack trifft. Auch darüber, ob die plakative Gestaltung der einzelnen Figuren der Geschichte insgesamt die Tiefe nimmt. Man kann sich aber auch einfach zurücklehnen und den romantischen Reigen auf der Bühne genießen. Er liefert genug Stoff für weihnachtliche Gefühle und wartet definitiv mit einer Menge tänzerischer Highlights auf. Appetit auf Lebkuchen hat man danach auf jeden Fall und, wenn man es möchte, ein Lächeln im Gesicht.
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Fotos: Fernando Marcos