Der Assistent: „Wenn es sich nicht richtig anfühlt, wie kann ich erzeugen, dass es sich richtig anfühlt?“

Was haben wir uns für unser Alter doch gut gehalten. Und was für ein guter Einstieg in ein Gespräch, wenn man sich das zu Beginn gegenseitig versichern kann. Plus guter Kaffee und der Weg ist dafür bereitet, dass ich viel zu lange auf dem Stuhl sitzen bleibe, den Tom Hessler mir in seiner Küche anbietet. „Wir haben offensichtlich gute Gene“, sagt er, auf die 40 zugehend, zu mir, stramm auf die 50 zumarschierend, und jeder der leugnet, dass sowas runter geht wie Öl, lügt. Allerdings sind wir uns auch einig, dass die Zipperlein, die einem die eigene Sterblichkeit vor Augen führen, mit dem Alter gnadenlos zunehmen und er fügt hinzu: „Als junger Mensch merkt man viele Dinge noch nicht, eine durchgemachte Nacht zum Beispiel. Man denkt, man könnte immer so weiter machen. Da hat sich jetzt ein bisschen was verändert bei mir.“ Daraufhin erst einmal Schokolade zum Kaffee.

Vor fast 13 Jahren haben Tom Hessler und ich uns das erste Mal auf dem Highfield Festival getroffen, in einem Sommer, in dem Livemusik jederzeit im Überfluss zur Verfügung stand und Streaming-Konzerne noch ein unbekanntes Konstrukt der Zukunft waren. 2017 war ich schon einmal bei ihm Zuhause auf dem Sofa zu Gast, um über das Album „Kids“ seiner Band FOTOS zu sprechen. Seitdem hat sich nicht nur die Musikindustrie radikal verändert, sondern auch die Welt in der wir leben im allgemeinen und nicht zuletzt Tom Hesslers persönliche Lebensumstände. Es ist eine andere Wohnung, in der wir uns diesmal treffen, was dem Ende einer langjährigen Beziehung geschuldet ist. Er lebt jetzt in einer Wohngemeinschaft, in der er, wie er sagt, sehr gerne Zeit genau so zubringt, wie wir es heute miteinander tun: mit in der Küche sitzen, reden und Kaffee trinken. Und natürlich mit Musik machen, denn sonst würden wir schließlich nicht hier sitzen. 

Aber auch das ist von Veränderungen geprägt. Der Assistent ist das Soloprojekt, mit dem Tom Hessler sich einen Raum geschaffen hat, um Musikalisches neu zu entdecken und Persönliches zu verarbeiten. Lockdown, Trennungsschmerz und dann auch noch eine Handverletzung, die er sich in einem Anfall von Wut und Depression, wie er sagt, selbst zugefügt hat und die irreparablen Schaden hinterlassen hat. „Drei OPs und tausend Ergotherapiestunde später, aber leider ist der Finger nichts mehr geworden,“ sagt er und zeigt mir den kleinen Finger seiner rechten Hand, der sich jetzt steif und ein wenig gekrümmt teilnahmslos neben die anderen reiht. „Zum Teil konnte ich keine Winterjacke anziehen und habe die ganze Zeit gefroren. Wie in so einem blöden, finnischen Film war das.“ Während unseres Gesprächs äußert er immer mal wieder die Sorge, er könne zu frustriert oder desillusioniert klingen. Aber in meinen Augen ist es auch ein zutiefst menschlich verbindendes Element, dass wir alle nicht unbeschadet durch die Pandemie gekommen sind. 

Vielleicht bin ich auch so grundempathisch mit ihm, weil es mir in vielen Dingen nicht anders geht. Ein bisschen sitzen wir schon da wie die Dinosaurier mit ihrem guten Kaffee, die gemeinsam über die Zeiten fabulieren, als man noch mit Musik und Musikjournalismus sein Leben finanzieren konnte und es mehr um tiefgründigen Ausdruck ging als um schnellen, reichweitenstarken Output via Social Media. Wir reden lange über die tatsächlich beängstigenden, strukturellen Veränderungen, die die Musikindustrie in den letzten Jahren durchgemacht hat und die heutzutage für unabhängige Künstler*innen schlichtweg existenzbedrohend sind. „Existenzängste, als Künstler Riesen Thema gerade“, sagt Tom. „Mittlerweile werden die meisten Musikproduktionen, die nicht ultra kommerziell sind oder Werbung, ja nur noch über Förderungen finanziert. Das heiß, wenn du die Förderung nicht bekommst, dann ist plötzlich deine komplette Existenz gefährdet. Was verrückt ist, dass da Leute in Jurys sitzen, die entscheiden, ob du das nächste halbe Jahr deinen Beruf ausüben kannst oder eben nicht.“ Geschuldet ist das zum einen der Entwicklung, dass Musik hauptsächlich über Streaming konsumiert wird und die Einnahmen dafür, was hinreichend bekannt ist, nur zu einem Bruchteil im Geldbeutel derer landet, die sie gemacht haben. Aber auch der Tatsache, dass Labels heute nicht mehr in den Aufbau von Künstler*innen investieren müssen, sondern sich nur noch bereits existierende Trends aus TikTok und co pflücken müssen – ein Schlaraffenland für Großkonzerne, in dem die fetten Trauben direkt in den geöffneten Mund fallen. Ach, man könnte sich leicht und gerechtfertigt stundenlang darüber aufregen. 

Aber so interessant sind seine musikwissenschaftlichen Ausführungen auch nicht, befürchtet er. Also zurück zu Der Assistent. Finde ich gut, musikalisch natürlich, aber auch das Konzept des Namens. Ich finde, jeder sollte einen Assistenten im Leben haben. „Für mich ist Der Assistent vor allem mein eigener Assistent, der mir hilft, mich auszudrücken,“ so Tom. Aber der Reiz liegt natürlich darin, dass das Konzept in beide Richtungen funktioniert. Das heißt, wir assistieren uns gegenseitig? „Ganz genau,“ grinst er. Toll. 

Auszudrücken gab es wie gesagt eine Menge. Spannend ist, dass aus dem vielen Schmerz, der in den Schaffensprozess geflossen ist, eine musikalisch leichte, ruhige Platte entstanden ist, die beim Hören ein ganz wohliges Gefühl auslöst. „Das war mir sehr wichtig,“ sagt Tom. „Ich wollte ein Gefühl von Entschleunigung entstehen lassen. Man kann die auch super im Hintergrund laufen lassen und sich dabei unterhalten. Das ist ausdrücklich so gedacht. Für mich ist das etwas Gutes, wenn man das Gefühl hat, man könnte dazu auch einschlafen. Ist doch super, wenn dich das runter bringt! Angeschrien werden wir ja von allen Seiten. Alle wollen verkaufen und schreien noch lauter in dein Ohr: KAUF MIR WAS AB! Ich dachte, ich mache das Gegenteil. Ich liefere sozusagen werbefreie Zeit.“ Ein bisschen Jacht-Pop, sage ich, im weißen Pullover mit dem Drink in der Hand im Liegestuhl an Deck. Richtig, pflichtet er mir bei, und eine Menge Dub. Das war aber nicht von Anfang an so, im Gegenteil. Sein Solo-Debüt hat einen intensiven Entwicklungsprozess durchlaufen, bevor es so wurde, wie es heute auf unseren Plattentellern landet. 

„Die Platte ist in einem Trennungsmodus entstanden, als ich super traurig war. Dementsprechend klang sie erstmal so. Es war eine elektronische, mehr oder weniger ruhige Aufarbeitung. Wie alt bin ich, wie geht’s weiter, was möchte ich von einer Partnerschaft, welche Fragen stelle ich mir gerade. Auch viel Schmerz und Trauer. Die Platte habe ich Maurice (Summen vom Label Staatsakt, Anm.) gezeigt, der sie eigentlich raus bringen sollte und der meinte: ‚Das ist für mich nicht Der Assistent.‘ Wir hatten ja schon zwei Lieder miteinander veröffentlicht. Da war ich natürlich erstmal ganz schön geknickt. Große Veränderungen im Leben, viele Dinge sind gefühlt schief gegangen, ich hatte mich auf diese Platte gestützt und jetzt wird die auch nicht raus kommen. In so einem Depressionsmodus nimmt man das als einen weiteren Rückschlag hin. Dann habe ich das aber zum Anlass genommen, mich noch einmal damit auseinanderzusetzen, was ich eigentlich machen wollte.“

Am liebsten hört er selbst Musik Zuhause auf dem Sofa, also warum nicht eine Platte machen, die Sorgen, Ängste und Trennungsschmerz verhandelt, aber das auf eine Weise, dass man sich dazu entspannen kann? „Ich wollte eine Platte machen, die ich mir selber gerne anhöre. Im Nachhinein habe ich gecheckt, diese erste Version, die ich gemacht habe, die hätte ich mir nie wieder angehört. Das wäre mir unangenehm gewesen, weil die auch so die Hosen runter gelassen hat. Auch musikalisch hat mich das nicht richtig berührt. Wenn ich zum Beispiel Dub höre, kann ich mich hinlegen und da einfach eintauchen.“ Also hat er das Album genommen und einmal, wie er es beschreibt, „durch den Dub Wolf gejagt. Plötzlich hatte ich einen Sound, der zu den Sachen gepasst hat, die ich schon veröffentlicht habe, mit dem ich mich wohl fühle und den ich mir selbst gerne anhöre. Und es ist etwas das ich so, in der Form, noch nicht oft gehört habe.“ 

Dabei hat sich auch eindeutig der Gesang entspannt. Seine Stimme ist tiefer und ruhiger, als man es von ihm als Frontmann der Fotos gewöhnt ist, vom Hals mehr in den Bauch gerutscht. „Ich dachte, ich mache das diesmal so, dass mich das Singen möglichst wenig Kraft kostet,“ erklärt Tom. „Dementsprechend ist es sehr leise gesungen. Dieses ganze Rumkrakeelen hatte ich in erster Linie eingeführt, weil ich jahrelang in Proberäumen mit Bands geübt habe. Da ist es traditionell so, dass man für den Gesang eine schlechte Anlage hat. Gitarrenverstärker und Schlagzeug sind in kleinen Räumen immer lauter, egal wie gut die Gesangsanlage ist. Da ist es schwer durchzudringen und man fängt an, immer lauter zu singen. So ist das Geschrei von der ersten Platte entstanden. Das ist natürlich ein schöner Stress Relief, wenn man so rum brüllt, aber es ist nicht der Klang, den ich gerne erzeugen möchte und mit dem ich mich wohl fühle. Als musikbegeisterter Mensch stresst es mich auch, wenn ich die ganze Zeit angeschrien werde. Also dachte ich, ich mache es selbst mal ein bisschen weniger aggressiv.“

Und so schickt Der Assistent „eine Botschaft, die Trost macht“, im Opener „Signale“ ins „digitale Nirvana“ und fordert einen im Anschluss zu einem schwofenden Beat dazu auf, mit ihm „Domino“ zu spielen. Ich kann mir nicht helfen, meine Laune steigt dabei mindestens genauso schnell, wie wenn meine guten Gene bezüglich meines optischen Alterungsprozesses gewürdigt werden. Schon verrückt, was aus Schmerz alles Schönes entstehen kann. Ich schaffe es gerade noch, mir cheesy Vergleiche wie Blumen, die aus Asche wachsen, zu verkneifen. Aber es lässt sich nicht bestreiten, dass mit diesem Album aus einer schwierigen Zeit etwas Schönes entstanden ist. Und wenn er auch erst einmal tief seufzt, bevor er es tut, pflichtet Tom mir letztendlich doch bei. „Ja, das Gefühl habe ich auch.“

Tom Hessler spricht offen über seinen Kampf mit der eigenen narzisstischen Ader, die ihm manchmal im Weg zu stehen scheint. Dass er oft und viel gefrustet gewesen und damit „ganz vielen Leuten dauerhaft auf die Nerven gegangen“ sei. „Graustufen zuzulassen, zu sehen und zu leben fällt mir immer noch wahnsinnig schwer,“ sagt er. Seinen Weg als Der Assistent beschreibt er als einen nahezu meditativen Prozess mit dem Ziel sich davon zu lösen, was andere Leute von ihm und seiner Arbeit halten. „Ich habe sehr viel darüber nachgedacht, was andere Leute über das denken, was ich mache. Diesmal war es wahnsinnig anstrengend es zu schaffen, nicht über irgendwen oder irgendetwas Inhaltliches nachzudenken, sondern einfach zu fühlen. Und wenn es sich nicht richtig anfühlt, wie kann ich erzeugen, dass es sich richtig anfühlt? Und sich immer wieder zu sagen: es ist total egal, was damit passiert am Ende. Ob das irgendjemanden interessiert. Das hinter mir zu lassen, fällt mir wahnsinnig schwer. Ich möchte schon gerne eine persönliche Rückmeldung für das bekommen, was ich mache.“

Aber ist das nicht auch irgendwie normal? Möchte das nicht jeder? Was ist der Sinn darin, Signale ins Digitale zu schicken, wenn sie am Ende niemand hört? Bei aller Selbstreflexion ist Tom Hessler manchmal auch ganz schön hart mit sich selbst. Mit Der Assistent hat er auf jeden Fall einen warmen Raum geschaffen, in dem man für ein paar Minuten alle Probleme beiseite schieben, sich wohl fühlen und entspannen kann. Genauso wie der Kaffee, den er, wie er mir erzählt, mit viel Bedacht brüht und was er selbst als eine Art „Rich People Hobby“ bezeichnet, einfach wirklich verdammt gut schmeckt. 

Foto © Thomas Neukum