Es ist, vor allem um diese Jahreszeit, mitunter gar nicht so leicht, abends noch aus dem Haus zu gehen. Vor allem nicht, wenn man vorher noch zwei Kinder abfüttern, polieren und ins Bett bringen muss und weiß, dass man am nächsten Tag schon wieder vor sechs auf den Beinen sein muss. Da kann allein das Schuhe anziehen zu einer schier unüberwindbaren Tortur werden. Und eigentlich wäre man kurz davor, vor dem inneren Schweinehund, der schon mit einem Bein auf dem Sofa liegt, zu kapitulieren, wenn man nicht immer dieses Stimmchen im Ohr hätte, das einem zuflüstert, dass es sich ganz bestimmt lohnt.
Die Casady Schwestern alias CocoRosie einmal live zu erleben stand schon lange ganz oben auf meiner virtuellen Liste. Für manches braucht man im Leben einfach ein bisschen länger. Also hinaus in den kalten Oktoberregen und hinein in das muckelig warme, frisch renovierte, ausverkaufte Columbia Theater. So ganz will die Stimme im anderen Ohr noch keine Ruhe geben, die, die mir in Vernunft durchtränktem Ton zuraunt, kurz Atmosphäre schnuppern reicht zur Not auch. Und spätestens um elf sich auf den Rückweg zu begegen wäre in Hinblick auf den morgigen Tag ganz gut. CocoRosie brauchen jedoch nicht lang, um sie zum Schweigen zu bringen.
Bianca und Sierra Casady sind ja bekannt für ihre schrägen Kostüme und halten auf den ersten Blick schon was man sich von ihnen verspricht. Das gesamte Publikum scheint vom ersten Moment an genauso glücklich wie ich darüber, die Pantoffeln tragenden Couchdämonen überwunden zu haben und feiert unmittelbar zu den wummernden Beats, die tatsächlich von einer einzigen Person mit nichts weiter als Mund und Mikrofon fabriziert werden. Begleitet werden CocoRosie an diesem Abend nämlich nur von zwei Musikern, von denen einer allein für die Beatbox zuständig ist, der andere sich an diversen Blasinstrumenten bedient und gelegentlich an irgendwelchen Knöpfen dreht. Voller könnte der Sound bei dieser Besetzung kaum sein. Und so wird es ein Abend, der nicht nur aus Schrägheit in Form von Gesang, Kostümen und gebastelten Sounds besteht, sondern auch mitreißt, in die Beine geht und einfach glücklich macht. Die Welt von CocoRosie ist eine verschwurbelte, schrille und experimentelle, aber die Tür zu ihr steht weit offen und man fühlt sich sofort Willkommen geheißen. Einen nicht unerheblichen Teil trägt dazu übrigens das frisch wieder eröffnete Columbia Theater bei, mit seiner Atmosphäre und der bezaubernden Lichtshow.
Wie spät ist es? Egal, ein Lied geht noch. Schon vorbei? In sechs Stunden aufstehen? Schienenersatzverkehr auf dem Heimweg? Egal! Es war wunderschön.
Und wem es ähnlich ging und das Gefühl hat, er braucht ganz schnell Nachschlag, bevor die nächste CocoRosie Show ins Haus steht, dem sei ans Herz gelegt, dass Bianca Casady im November mit ihrem Solo-Projekt Bianca Casady & The C.i.A. auf Tour kommt.
Bianca Casady & The C.i.A. Live:
09.11.15 Berlin – Heimathafen
10.11.15 Leipzig – UT Connewitz
15.11.15 Frankfurt – Mousonturm
17.11.15 Köln Kulturkirche
18.11.15 München – Kammerspiele
19.11.15 Wien – Brut
War dabei: Gabi Rudolph
Fotos: Markus Werner