Kein gewöhnlicher Vater
Mit der Tragikomödie „Einer wie Bruno“ gibt es im Kino ab sofort wieder eine neue Facette des 36-jährigen Allround-Talents Christian Ulmen („Männerherzen“, „Mein neuer Freund“) zu entdecken. Denn dort schlüpft er in die Rolle eines alleinerziehenden Vaters mit einer angeborenen Intelligenzschwäche und geistigen Behinderung. In dem 100 Minuten andauernden Film von Anja Jacobs wird beleuchtet, wie die 13-jährige Tochter Radost (Lola Dockhorn) langsam aber sicher in die Pubertät kommt und somit viel mehr mit sich selbst zu tun hat als allein für den Vater rund um die Uhr da zu sein. So rebelliert das junge Mädchen auf ihre ganz eigene Art und Weise. Sie fährt endlich auf Klassenfahrt mit, trifft sich mit mehr Freunden, trinkt und verliebt sich schließlich sogar. Nur kann Vater Bruno mit diesem für ihn völlig unverständlichen Verhalten so gar nichts anfangen. Und so versuchen die beiden sich nach und nach ganz neu kennenzulernen und miteinander umzugehen.
Das Erwachsenwerden als Mutprobe
Im Rahmen der Promotion für diesen besonderen Vater-Tochter-Konflikt ließ sich Bruno-Darsteller Christian Ulmen zu einem Gespräch über seinen zu spielenden Charakter, seine Arbeitsweise und darüber hinreißen, ob es einen Punkt gibt, an welchen man genau weiß, dass man nun erwachsen ist.
Hast du im Vorfeld versucht eine Beziehung zu deiner Film-Tochter aufzubauen, um die dargestellte Innigkeit besser transportieren zu können, die ja oft auch ohne viele Worte auskommt?
So gehe ich nicht an meine Rollen heran. Wenn ich ein Drehbuch gelesen habe, stelle ich es mir erst vor und versuche dann das Spiel der Fantasie anzugleichen. Ich habe erlebt, wenn ich mit Schauspielern befreundet bin und es somit ein reales Band zwischen uns gibt, dass es dann oft viel unrealistischer wirkt. Wenn man sich zu gut kennt, kommt manchmal diese vertraute Note zu sehr ins Spiel. Das kann verwirren. Es ist gut, wenn man das in der Fantasie stattfinden lässt. Sonst ist es schwieriger das Spiel aufrecht zu erhalten. Jemand, den ich als meine Film-Tochter kennengelernt habe, ist dann erst einmal auch nur meine Film-Tochter. Nicht auch noch mein Billard-Kumpel.
Fand im Vorhinein ein Austausch mit geistig behinderten Vätern zur Vorbereitung auf die Rolle statt?
Nein, ich habe aber eine sehr interessante Dokumentation von der ZDF-Reihe „37 Grad“ dazu gesehen und auch darüber gelesen. Ansonsten gibt es ja das Drehbuch. Da ist alles drin, was ich wissen muss.
Geht es im Film mehr um Eskapismus als um eine getreue Wiedergabe der Realität?
Es wird eine Geschichte erzählt, wie sie in der Realität passieren kann und auch schon passiert ist. Trotzdem ist es keine identische Nachbildung einer Wirklichkeit. Es ist keine Dokumentation, sondern eine Tragikomödie, die so inszeniert ist, dass der Zuschauer auch ab und zu lacht und von der Geschichte berührt ist. Denn es geht im Film darum Menschen zu berühren. Und nicht darum sie zu informieren oder aufzuklären. Es ist tatsächlich eskapistisch, wenn man sich solch eine Inszenierung anschaut. Trotzdem hat es Bezüge zur Wirklichkeit und ist keine Geschichte über zwei Menschen, die auf den Mond fliegen und dort gemeinsam wohnen. Die Stilmittel kommen alle aus der Realität und alle Zutaten sind realistisch. Und so kann man auch anderthalb Stunden da sitzen und glauben, was man sieht.
Denkst du beim Lesen eines Drehbuchs darüber nach wie deine Figur auf andere wirkt oder handelt es sich dabei um einen ausschließlich nach innen gerichteten Blick?
Ich lese zuerst einmal nur die Geschichte und schaue, ob sie mich fesseln kann. Beim zweiten Mal lese ich sie in Hinblick auf meine Figur und denke bei jedem Satz wie man diesen wohl spielen könnte. Ich denke nicht permanent darüber nach, wie es der Zuschauer finden wird, sondern vielmehr wie man es glaubhaft darstellen kann.
Macht es für dich einen Unterschied, ob du an einem Kino- oder TV-Film mitwirkst?
Man kann beim Kino viel freier an Sachen herangehen. Bei einer Fernsehproduktion hat der Sender ein großes Mitspracherecht, weshalb man sich mit ihm über alles verständigen muss. Das Kino ist zwar mit viel Risiko verbunden. Wenn kein Mensch in den Film geht, bleibt man unter Umständen auf Kosten sitzen. Aber man ist trotzdem im Allgemeinen freier. Außerdem mag ich es gerne einen Film auf der Leinwand zu sehen und auch das Erlebnis der Filmpremiere. Kinofilme bekommen oftmals auch eine andere Aufmerksamkeit als Fernsehfilme.
Worauf legst du das Augenmerk, wenn du deine eigenen Filme betrachtest?
Ich habe mittlerweile eine große Distanz zu mir selbst entwickelt und empfinde kein Schamgefühl. Trotzdem gucke ich die Filme sehr kritisch und achte auf die Reaktionen der Zuschauer. Es ist spannend zu sehen an welchen Stellen die Leute reagieren. Ich versuche mir dann auch vorzustellen wie das beispielsweise meine Mutter finden würde. Das ist dann schon ein anderes Seherlebnis. Manchmal liegen Filmproduktionen auch so ewig zurück, dass man doch Vieles wieder vergisst. Neulich habe ich beim Zappen eine alte Folge von „Dr. Psycho“ gesehen, die ich gar nicht mehr auf dem Schirm hatte. Es war ein sehr interessantes Erlebnis die Folge quasi wie ein Zuschauer zu sehen. Da habe ich dann auch nicht überlegt, ob dies oder das funktioniert oder nicht. Es hat mich in dem Moment einfach nur gut unterhalten.
Sicher hast du bei diesem Film auch von deinen vorherigen Formaten wie „Mein neuer Freund“ profitieren können?
Ja, das stimmt. Da habe ich auch sehr viele peinliche Dinge getan. Und das Überschreiten von Hemmschwellen habe ich nun wirklich zu genüge trainiert. Das kann ich inzwischen.
Bist du nach Drehschluss, wie bei deinem letzten Kinofilm „Jonas“, in der Rolle geblieben?
Im Film habe ich ja geschielt und da ist es mir tatsächlich öfter passiert, dass das Schielen nicht aufhörte und viele Leute mich privat darauf angesprochen haben. Aber ansonsten ist es schwierig bei solch einer Filmproduktion immer in der Rolle zu bleiben, weil man dafür viel zu viel Leerlauf hat. Da ist das wirklich so ein an- und ausknipsen der Rolle. Nur das Schielen blieb manchmal ein bisschen länger hängen.
War das Schielen deine Idee?
Für mich war es wichtig einen Exit zu finden, durch den ich hindurchschlüpfen und in eine andere Welt tauchen konnte. Das geht bei Extremfiguren wie „Mein neuer Freund“ zum Beispiel über eine Perücke oder ein Gebiss. Ich muss spüren, dass etwas anders ist. So etwas brauchte ich auch für den Extremcharakter Bruno. Mir half das Schielen immer von mir selber wegzurücken und in Bruno einzutauchen.
Konntest du das pubertäre Verhalten der 13-jährigen Radost gut nachvollziehen?
Ich glaube bei Jungs fängt die Pubertät erst so richtig mit 16 Jahren an. Aber im Prinzip konnte ich es nachvollziehen. Das ist ja das Irre. Der Konflikt ist einer, den alle erleben. Das Aufbegehren gegen Eltern und auch aus Elternsicht ein aufgebehrendes Kind nicht mehr verstehen zu können, kennt man. Das, was die beiden als Grundproblem haben, haben alle Familien. Es findet nur auf einer anderen Ebene statt, weil dazu auch noch die Rollen umgedreht wurden. Denn im Grunde ist Radost eine Mutter für Bruno und hat plötzlich die Begehrlichkeiten eines Teenagers, wodurch sich noch einmal alles dreht. Denn eigentlich ist es ja so, wenn man sich mit 13 oder 14 auflehnen möchte, geschieht das meist gegen sehr meinungsstarke Eltern und gegen eine Haltung, die die Eltern haben. Und hier muss sich Radost gegen einen geistig behinderten Mann auflehnen, der sie eigentlich braucht wie eine Mutter. So ist es ein doppeltes Auflehnen. Einmal ein in der Pubertät natürlich verankertes Rebellieren und dann endlich Schluss machen wollen mit dieser Mutterrolle.
Spannend ist die Thematik auch, weil man glaubt, obwohl Radost in der Pubertät sein soll, dass sie schon viel früher eine Erwachsene geworden ist. Gab es bei dir solch einen Punkt, an dem du dachtest, dass sich das Erwachsensein genau so anfühlen muss?
Ich warte immer noch darauf. Ich habe als Kind immer gedacht, dass es irgendwann einen Punkt geben wird, an dem man sich so schlagartig anders, also erwachsen fühlen wird. Vielleicht weil ich gedacht habe, dass Erwachsene einfach ein anderes Genre Mensch sind. Ich dachte es gibt irgendwann den Moment, wo man denkt, jetzt kann man alles. Ob Steuern oder Versicherung. Das waren so Sachen, die haben mir als Kind so Panik gemacht, wenn mein Vater mir gesagt hat, dass er für sich eine Steuererklärung machen muss. Ich habe nichts verstanden und dachte nur so: Oh Gott, das Erwachsensein ist wirklich hart! Und dann merkte ich irgendwann das dies gar nicht der Fall ist. Es gibt diesen einen Punkt nicht, an dem man erwachsen ist. Wenn man einmal vergessen hat Steuern zu bezahlen oder Videokassetten zurück zu geben, bekommt man halt Mahnbescheide und muss Strafe bezahlen. Um das beim nächsten Mal nicht machen zu müssen, bringt man beispielsweise die Filme rechtzeitig weg. Man wird so ausversehen erwachsen. Aus lauter nervigen Erfahrungen heraus. Oder es geht Mal etwas zu Bruch und man hat noch keine Versicherung. Dann schließt man erst einmal eine ab. Es ist ja dann doch nicht so wie man sich das als Kind vorstellt, dass man plötzlich alles kann. Den Punkt gibt es nicht.
Aber nicht einmal bei den ersten Fahrstunden?
Ich habe meinen Führerschein erst mit 30 Jahren gemacht. Und selbst als ich dann fahren durfte, fühlte ich mich wie jemand, der es eigentlich gar nicht darf. Ich dachte nur so: ‚Krass, jetzt fährst du Auto! Du könntest bis nach Polen fahren oder noch weiter!’ Ich fühlte mich wie ein 18-jähriger. Man hat ja auch immer noch dieselben Ängste wie als Kind und auch dieselben Sachen, die man im Kern toll findet. Da ändert sich ja nicht wirklich viel.
Und was machst du gegen Existenzängste?
Gegen Existenzängste habe ich eine Lebensversicherung abgeschlossen. Ich habe noch nie einen Job angenommen, um meine Existenz abzusichern. Sondern mir immer bewahrt, die Dinge zu machen, auf die ich Lust habe.
Wird es in Zukunft nochmal ein Buch von dir geben?
Nein, das war wirklich ein einmaliger Ausflug zur Figur Uwe Wöllner. Ich halte mich nicht für einen Schriftsteller, das war wirklich um diesem Uwe Wöllner-Kosmos noch eine neue Farbe zu geben.
Kinostart von „Einer wie Bruno“: 12. April 2012
Interview und Fotos: Hella Wittenberg