Chefboss im Interview: „Am Nacktstrand gibt es auch Verhaltenscodes“

Keine Frage wer hier der Boss ist. Alice Martin und Maike Mohr aka Chefboss haben in der deutschen Dancehall Szene gerade mächtig die Nase vorn. Wer beim nun langsam um die Ecke kommenden Sommer einen verstärkten Bewegungsdrang spürt, dem sei „Blitze aus Gold“, das Debütalbum der Hamburger Formation ans Herz gelegt. Im Interview haben uns die zwei gut gelaunten Damen ihre Meinung zu Voguing, Daggering und sonstigen Arten der Bewegung verraten.

Eure Musik ist ja eigentlich nicht so, dass man sich hinsetzen und drüber reden möchte. Ich dachte zuerst, wir feuern vielleicht lieber eine Konfettikanone ab und tanzen dann ’ne Runde.

Alice: Geil! Bin ich dabei.

Habt ihr ein Rezept dafür, wie man die Energie hoch hält, wenn man den ganzen Tag rum sitzt und quasselt?

Alice: Ich denke einfach jede Bewegung mitnehmen. Und sei’s Treppensteigen. Vorhin stand ich auf dem Bahnhof und hab nochmal unser Album gehört und dabei vor mich hingezappelt.

Und wie ist es so, das jetzt zu hören?

Alice: Einfach nur geil. Wirklich! In der Bahn, alle noch verschlafen und im Ohr wummern die Bässe. Ich merke wie die Leute mich angucken, aber man kann echt schlecht still sitzen.

Maike: Ich hatte so einen Moment neulich im Tanzstudio. Da war ich abends allein und hab’s nochmal gehört. Ich dachte, shit, das ist wirklich unser Album!

Aber schön, dass ihr das so genießen könnt. Manche Künstler tun sich ja schwer damit sich selber zu hören, wenn eine Platte erst mal raus ist.

Alice: Ne! Irgendwann muss man auch mal abschließen. Wir gucken aber eh dass wir so arbeiten, dass man am Ende einfach zufrieden ist. Bevor wir was ins Mixen oder Mastern schicken. Sonst würde das ja gar keinen Sinn machen. Es ist raus und es ist geil! (lacht) Wir freuen uns einfach derbe. Echt krasses Gefühl.

Es ist ja nicht so, dass ihr total aus dem Nichts kommt. Wenn man so im Internet spitzelt, dann sieht man, dass ihr schon eine Weile dabei seid. Wie lange habt ihr an eurem Album gearbeitet?

Alice: Anderthalb Jahre, würde ich sagen. Januar 2016 haben wir damit angefangen.

Maike: Es gab aber vorher schon Skizzen, an denen wir weiter gearbeitet haben.

Alice: Chefboss gibt es aber schon drei Jahre. Krass. Und plötzlich sitzt man da und hat ein Album draußen.

Dann fangen wir doch mal ganz von vorne an. Wie lang kennt ihr euch schon?

Maike: Wir kennen uns schon richtig lange. Acht, neun Jahre würde ich sagen.

Alice: Wir haben uns über eine gemeinsame Freundin kennengelernt, die auch Tänzerin ist. Ich habe Maike zusammen mit Freunden bei ihren Dance Battles besucht und dann sind wir gemeinsam auf Parties gegangen. Im Wagenbau zu Dancehall Mucke gerockt. Das war für uns der Anlass zu sagen, lass uns doch mal Mucke machen, zu der wir selber tanzen wollen. Macht derbe Sinn! Dann sind wir ins Studio gegangen und kurze Zeit später kam die erste EP. Unser erstes Video zu „Blitzlichtgewitter“ haben wir noch ganz alleine ohne Label gedreht. Wir hatten ‚ne Halle in der wir drehen konnten, wir hatten ‚nen Song, da dachten wir, lass uns ein Video machen!

Maike: Durch das Internet hat man die Möglichkeit, sowas einfach zu machen. Man hat da gleich ein Publikum.

Alice: Wenn man sich dahinter klemmt und sich die Zeit dafür nimmt, kann man richtig geilen Scheiß machen.

Ihr habt da auch eine feste Crew, mit der ihr immer wieder arbeitet?

Maike: Alle Videos bis auf „Insel“ haben wir selbst produziert. Bei „Insel“ hatten wir zum ersten Mal keine Zeit. Aber wir sind trotzdem immer mit unseren Leuten am Start.

Alice: Unser Regisseur ist ein Kollege von uns. Maike macht den Rohschnitt. Auch die Tänzer sind immer Leute die wir kennen, Freunde von uns, die holen wir ins Boot. Das ist das geilste Arbeiten! Uns ist wichtig, dass wir auf einem persönlichen Level connecten. Wir würden nie jemanden einfach nur wegen seiner Skills nehmen. Es ist derbe wichtig, dass der Vibe stimmt. Und der stimmt!

Macht Maike dann auch die Choreografien?

Alice: Maike macht die Choreografien und das Styling.

Mir seid ihr zum ersten Mal mit eurem Video zu „Miststück“ aufgefallen und dieser tollen Voguing Choreografie. Das habe ich lang nicht mehr gesehen. Als Teenager war ich großer Fan von Malcolm McLarens Voguing Platte.

Alice: Ach geil! Sonst fangen immer alle mit Madonna an.

Ach, als Madonna dann kam wurd’s doch schon wieder öde. Und die Choreografie in ihrem „Vogue“ Video ist auch nicht wirklich authentisch. Bei euch sieht das schon wieder eher so aus wie es aussehen sollte!

Maike: Ach geil! Toll, dass du das sagst.

Alice: Einer der Tänzer aus dem Video ist aus New York, mega beeindruckend. Wir haben in einem Industrieviertel gedreht und er kam an in High Heels und Netzstrumpfhosen. Als wir angefangen haben fingen ein paar Arbeiter an zu grölen. Wir dachten erst jetzt gibt’s Stress, aber die waren total begeistert, haben ihn gepusht und sich gefreut, dass da jemand sein Ding durchzieht. Darum geht’s ja beim Voguing, alles zu zeigen was aus einem raus kommt. Die totale Leidenschaft.

Die ganze Dancehall Kultur, vor allem das, was Tänzerinnen auf der Bühne machen, empfinden viele Leute ja als extrem sexistisch. Wie seht ihr das?

Maike: Wenn ich Mädels sehe die so tanzen, habe ich eigentlich immer ein ganz starkes Gefühl. Es wirkt sehr selbstbestimmt und als hätten sie da einfach Bock drauf. Sagt dir der Begriff „Daggering“ etwas?

Erklär’s mir.

Alice: (lacht) Daggern ist quasi Trockensex. Die Lady bückt sich und der Typ geht von hinten an ihren Arsch und knallt seinen Schritt dagegen.

Maike: Wenn ich mir das angucke denke ich manchmal schon, ist das jetzt noch cool für die Frau? Im nächsten Moment dreht sich das aber und sie gibt ihm derbe. Es ist nicht einseitig. Ich habe auch das Gefühl, dass es trotzdem sehr selbstbestimmt ist. Als ich noch frisch in der Szene war, war ich mal auf einer Dancehall Party. Auf einmal kam so ein Song und alle fingen an zu daggern. Ich hab mich in die Ecke gestellt und dachte oh Gott, hoffentlich werde ich nicht auch gleich gedaggert. Die Leute merken aber, ob jemand Bock darauf hat oder nicht. Da kommt niemand an und nimmt dich einfach.

Alice: Es sieht von außen aus, als würde jede Frau mit ihrem Arsch wackeln und jeder Typ geht da einfach ran. Das ist aber wie am Nacktstrand, da gibt’s ja auch Verhaltenscodes (lacht). Wer hat Bock in die Dünen zu gehen und wer will einfach nackt sein? So ist das glaube ich bei Dancehall auch. Man weiß wie’s geht und worum es geht.

Ihr verkündet auf eurem Album: „Wir zerlegen diesen Club zu Mosaik“. Könnt ihr euch an einen persönlichem Moment erinnern, wo ihr genau dieses Gefühl hattet?

Alice: Wenn ich an sowas denke, dann fällt mir eigentlich immer unsere Reihe im Wagenbau ein. Montags war das glaube ich immer, Dancehall Party im Wagenbau. Wo dann nicht die Jean Paul Sachen gespielt wurden sondern die richtigen Dancehall Tunes. Das war jedes Mal so, dass man Sternchen gesehen hat. Leute, die genauso die Mucke fühlen wie man selber.

Maike: Aber auch so manche Aftershow Party. Ich erinnere mich, wenn man noch so fertig ist von der Bühne und dann nochmal alles raus lässt. Das kann man auch nicht planen, plötzlich ist man in so ‚nem Flash drin.

Alice: Da ist dann fast schon egal was für Mucke läuft. Wenn alle einfach gleichermaßen unterwegs sind.

Maike: Beim Deichbrand zum Beispiel…

Alice: Deichbrand, Alter. Scheiße, war das geil! (lacht)

Chefboss Live:

27.05.2017 N-Joy Starshow, Hannover
03.06.2017 Rock im Park
04.06.2017 Rock am Ring
05.06.2017 Pfingst Open Air, Essen
17.06.2017 Munich Summer Beats, München
24.06.2017 Pax Terra Musica, Jüterborg
21./22.07.2017 Blank It Open Air, Berlin
11.08.2017 Sonne Mond Sterne, Saalburg
18.08.2017 Kyte Surfcamp, Fehmarn

Das Chefboss Debütalbum „Blitze aus Gold“ ist bei Universal Music erschienen. 

Interview: Gabi Rudolph

Foto: Frank Egel

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