Die schlechte Nachricht: der Sommer lässt uns gerade viel zu früh im Stich. Die gute: Celine Cairo liefert mit ihrem zweiten Album „Overflow“ den perfekten Soundtrack dafür. Die volle, schmeichelnde Stimme der Niederländerin legt sich über Songs, die von Licht und Schatten erzählen und bei aller Melancholie eine Wärme ausstrahlen, die sich gerade sehr passend anfühlt. Über Zoom hat Celine mir an einem verregneten Morgen erzählt, warum sie trotz dieser für Musiker*innen immer noch schwierigen Zeit nicht länger warten wollte ihr Album zu veröffentlichen, was für einen Einfluss ihre Umgebung auf die Entstehung ihrer Songs hat, warum der weibliche Umgang mit Melancholie ein anderer ist – und einen Plan für die nächste Platte haben wir auch direkt gemacht.
Fünf Jahre ist es her, seitdem du dein Debütalbum veröffentlicht hast. Jetzt hast du dir nicht gerade den leichtesten Zeitpunkt ausgesucht, dein zweites rauszubringen…
Oh ja. Ich habe viel darüber nachgedacht, ob ich es so lange verschieben sollte, bis ich wieder richtig auf Tour gehen kann. Aber da, wie du sagst, schon so eine große Pause seit meinem ersten Album war, wollte ich es einfach nicht weiter verschieben. Ursprünglich war es für Juni geplant. Dann haben wir es auf Ende August verschoben. Jetzt hatte ich das Gefühl, ich kann einfach nicht mehr länger warten. Vielleicht ist der Zeitpunkt auch gar nicht so schlecht, weil gerade nicht jeder ein Album rausbringt. Dadurch ist ein bisschen Platz. Also haben wir es einfach gewagt. Außerdem, hier in den Niederlanden haben wir immer noch keine Ahnung, wann wir wieder live spielen können. Für 2022 haben wir eine große Tour geplant, aber auch da weiß niemand wirklich, ob das so passieren wird. Ich hätte also auf nächstes Jahr schieben können, aber selbst dann hätte es wieder verschoben werden können. Man könnte ewig so weitermachen.
Ich habe ja das Gefühl, dass alle Alben, die jetzt in dieser Zeit rauskommen, irgendwann in der Zukunft ganz besonders sein werden.
Es ist wirklich eine verrückte Zeit, und ich glaube, dass Musik das reflektieren kann. Ich hatte zum Glück die Songs schon fertig, bevor all das hier los gegangen ist. Das war großes Glück, weil ich immer wieder nach London gereist bin, knapp zwei Jahre lang. Ich habe geschrieben, bin gereist, habe viele Menschen getroffen, Songschreiber, Produzenten… wenn ich das nicht getan hätte, dann wäre das hier ein ganz anderes Album geworden. Oder, ganz ehrlich, vielleicht hätte ich gar keins. Die Songs waren also fertig, und ich konnte die Zeit im Lockdown nutzen sie aufzunehmen. Das hat mich als Künstlerin ein wenig gerettet.
Aber wie gut, dass die Songs sich für dich immer noch relevant anfühlen. Das Leben hat sich seitdem ja komplett verändert.
Vieles hat sich geändert, ja. Aber ich muss sagen, dass ich auch großes Glück habe. Ich kann immer noch als Künstlerin arbeiten, Musik schreiben und aufnehmen. Ein Teil meines Lebens hat sich geändert, aber ein Teil ist auch beständig geblieben. Meine Familie ist gesund, wir sind ziemlich okay durch alles durchgekommen. Die Menschen, die durch Corona jemanden verloren haben – das ist eine ganz andere Geschichte. Ich bin vor allem von unserer Regierung genervt und der Tatsache, dass ich nicht spielen kann. Das ist persönlich mein größter Frust. Aber die Songs und die Themen von denen sie handeln, Beziehungen, älter werden, das ist ja alles trotzdem wahr. Es ist immer noch unser Leben.
Der Sommer lässt uns ja gerade ganz schön im Stich. Als ich dein Album heute Morgen noch einmal gehört habe dachte ich, es passt total gut dazu. Irgendwie ist es eine richtige Herbst-Platte.
Ah, das finde ich schön. Es ist ein bisschen düster.
Ja, aber du jammerst nicht. Weißt du worüber ich mich oft ärgere? Wenn Männer traurige Musik machen, dann gelten sie als sensibel und tiefsinnig. Bei Frauen sagt man viel schneller: hör auf zu jammern!
(lacht) Ich glaube ich weiß, was du meinst! Männer sind immer die sensiblen Genies und Frauen jammern. Aber ich finde auch, bei Frauen ist das wirklich anders. Zumindest versuche ich, es in meiner Musik auszudrücken: natürlich gibt es Trauer, Sorgen und Frustration. Jeder muss im Leben durch diese Dinge durch. Und als Frau ist das Leben einfach anders. Ich will jetzt nicht sagen härter als für Männer. Aber allein körperlich müssen wir uns ganz anderen Dingen stellen. Wir müssen ganz andere Wege finden, Hoffnung und Kraft zu schöpfen. Wir tauschen uns mit anderen Frauen über diese weiblichen Erfahrungen aus, und daraus schöpfen wir auch wieder Hoffnung und Kraft. Da ist unleugbar eine Melancholie in meiner Musik, aber ich versuche niemals die Opferrolle einzunehmen. Hoffnung ist ein ganz wichtiger Teil davon. Vielleicht ist es das, was du spürst. Wenn ich zurück denke wie wir das Album gemacht haben, selbst im Lockdown habe ich nie wirklich meinen Optimismus verloren. Ich bin froh, dass ich nicht wusste, wie lang es dauern würde (lacht).
Ich habe mir auch noch einmal dein erstes Album angehört, und weißt du was mir sofort aufgefallen ist? Es klingt für mich, als wäre deine Stimme ein Stück tiefer gerutscht. Ich meine nicht unbedingt im Bezug auf die Stimmhöhe, mehr als wäre sie tiefer in deinem Körper angekommen und hätte mehr Resonanz.
Das ist wirklich interessant, dass du das sagst. Auf „In The Fire“, dem dritten Song auf dem Album, fange ich von der Tonlage her sehr tief an. Das ist etwas, dessen ich mir bewusst bin. Und insgesamt… als ich nach London gegangen bin, habe ich oft Witze darüber gemacht, dass da wohl etwas im Wasser ist. Die Stadt hat etwas an sich, eine Energie, sowohl London selbst als auch die Leute, mit denen ich dort gearbeitet habe, mein Produzent und zwei Songwriter, mit denen ich vier der Songs geschrieben habe, etwas Erdiges, auch wie die Themse dort entlang fließt. Wir haben auch über die Stadt geschrieben, über dieses alte, historische, geerdete Gefühl das ich habe, wenn ich dort bin. Mein erstes Album ist in Los Angeles entstanden und war von dieser „bigger than life“, fast schon „fake“ Kultur geprägt. Licht, Sonne, Amerika… es war das erste Mal, dass ich mit Leuten zusammen geschrieben habe, die ganze Erfahrung war das absolute Gegenteil. Ich habe all diese Dinge zum ersten Mal gemacht, ich glaube ich war viel unsicherer. Gleichzeitig hatte ich das Bedürfnis, all das auszuprobieren und habe mich selbst dahin gepusht. Deshalb habe ich das Album auch „Free Fall“ genannt. Nach dem Motto: Ich habe keine Ahnung, wo das hier hinführt, aber ich mache es einfach. Dieses Mal wusste ich, wonach ich suche, und ich habe die richtigen Leute gefunden, mit denen ich arbeiten wollte. In London, an diesem historischen Ort, an dem ich mich sehr geerdet und organisch gefühlt habe. Ich könnte mir vorstellen, dass sich das in meiner Stimme reflektiert, in dem was ich mit den Songs ausdrücken wollte. Und am Ende wird das alles noch durch die Produktion verstärkt.
Wirklich spannend, der Unterschied zwischen London und Los Angeles. Das bestätigt mich wieder in meiner Theorie, dass es großen Einfluss hat, in welcher Umgebung Songs entstehen.
Absolut. Alles hat einen Einfluss. Wo du dich aufhältst, was du isst, wie das Wetter ist, all das. Ich fand das so seltsam in Los Angeles – die Sonne scheint jeden Tag! Das macht etwas mit einem. Es hat sich so unnatürlich angefühlt, als ob man in einem Filmset leben würde. Ich konnte mir überhaupt nicht vorstellen, dass Leute dort wirklich leben! (lacht) So eine verrückte Stadt. Ich würde gerne mal wieder hin, ich war nicht mehr dort, seitdem ich mein erstes Album aufgenommen habe. London hat eine etwas rauere Atmosphäre, aber ich verstehe es irgendwie besser. Zwischen Europa und den USA ist wirklich ein riesiger kultureller Unterschied.
Es klingt auf jeden Fall auch so, als hättest du genau die richtigen Leute gefunden, um an diesem Album zu arbeiten. Wie seid ihr zusammengekommen?
Zuerst einmal ist da mein Produzent, Tim Brand. Er hat mit einer Band aus den Niederlanden gearbeitet, HAEVN. Ich hatte gehört was er für sie gemacht hat und ihn dann einmal bei einem Konzert in Amsterdam getroffen, weil ich mit der Band befreundet bin, wir waren zusammen etwas trinken. Ich dachte damals schon, dass ich irgendwann einmal mit ihm zusammenarbeiten möchte. Später habe ich ein Ticket nach London gebucht und ihm einfach eine Nachricht geschickt, ob er sich vorstellen könnte zusammen zu arbeiten. Er hat ja gesagt, wir haben uns in seinem Studio getroffen und am allerersten Tag den Song „Overflow“ geschrieben. Das war eine wunderschöne Erfahrung. Er hat London Grammar produziert und Birdy, all diese Künstler*innen, die genau mein Stil sind. Durch gemeinsame Freunde habe ich dann Bob und Lawrence getroffen, sie sind ein Songwriter-Duo. Es war ganz ähnlich, wir sind zusammengekommen und haben direkt „As Long As You Love Me“ geschrieben. In dem Song haben wir auch über London, die Themse und diese alte, historische Atmosphäre geschrieben. Ich komme aus Amsterdam und habe ganz schnell ein Gefühl zu einer Stadt, wenn dort viele alte Gebäude stehen. Es gibt so viele Geschichten, so viele Menschen, die vor mir da waren. Also haben wir den Song geschrieben, sind ganz schnell Freunde geworden und ich bin immer wieder dorthin gefahren, um mit ihnen zusammen zu schreiben. Ich finde es toll, wenn man immer wieder mit den gleichen Leuten arbeitet. Man lernt sich immer besser kennen.
Weißt du was mir an dieser Geschichte sehr gefällt? Wie du all das selbst in die Hand genommen hast. Du wusstest, mit wem du arbeiten wolltest und bist es direkt angegangen.
Das ist definitiv etwas, das ich als Musikerin gelernt habe. Die richtigen Türen muss man manchmal selbst öffnen. Du musst die richtigen Leute einladen hereinzukommen und offen dafür sein. Manchmal arbeite ich mit Leuten an Songs, die nicht gut werden und am Ende nicht auf einem Album landen. Aber man muss es auf jeden Fall ausprobieren. Und dann die Erfahrung mit dem Reisen – du lernst eine Stadt am besten kennen, wenn du mit Leuten arbeitest, die von dort sind. Das Professionelle, arbeiten, Songs schreiben und diese persönlichen Erfahrungen, neue Menschen und neue Orte kennenlernen, das ist für mich sehr verbunden. Du kannst keine Songs schreiben, wenn du nicht offen bist für Neues.
Jetzt bin ich wirklich neugierig wie es klingen würde, wenn du dein nächstes Album in Berlin schreiben würdest.
Vielleicht ist das mein nächstes Abenteuer! Das ist so eine gute Idee! (lacht)