Boy Pablo im Interview: „Ich empfinde mich nicht als besonders gutaussehend“

Coming of Age Filme wie „La Boum“ und Sommerdisco im Italien der Achtziger, das sind so Assoziationen die man hat, wenn man Boy Pablos Debütalbum „Wachito Rico“ hört. Dazu kommen die Familiär bedingten lateinamerikanischen Einflüsse von Nicolas Muńoz, wie das gerade mal 21 Jahre alte Multitalent, das hinter Boy Pablo steckt, mit bürgerlichem Namen heißt. Anstatt wie ursprünglich geplant durch die Welt zu touren, sitzt Nicolas bei unserem Gespräch bei sich Zuhause in Norwegen und erzählt mir per Videochat, welche Nachteile (aber tatsächlich auch ein paar Vorteile) es hat, wenn man während einer globalen Pandemie sein Debütalbum herausbringt. 

Kleiner Funfact am Rande – den französischen Kultfilm „La Boum“ kannte Nicolas übrigens noch nicht, speicherte sich aber direkt die noch während des Interviews ergoogleten Szenenbilder ab. Sie trafen, wenig überraschend, genau seinen Geschmack. 

Wie ist die Lage bei euch in Norwegen?

Es sah eigentlich wieder ganz gut aus. Wir hatten gute Fortschritte gemacht das Virus einzudämmen. Jetzt studieren die Leute wieder, gehen auf Parties und sind leider nicht cool genug, einfach mal ein bisschen zuhause zu bleiben. Ich glaube vor dem Sommer war die Situation besser, dann sind alle in Urlaub gefahren und jetzt geht es wieder los. Aber unsere Regierung macht auch Fortschritte im Umgang damit und hat jetzt neue Maßnahmen beschlossen, ein paar mehr Regeln um die Verbreitung zu verhindern. Für mich selber läuft alles eigentlich relativ normal. Wenn man vom Touren absieht(lacht). Aber ich kann Freunde treffen und mit meiner Familie zusammen sein. Es gibt überall mehr Abstand, aber grundsätzlich fühlt es sich recht normal an. 

Das ist schön, dass du das relativ entspannt sagen kannst, mit dem Touren fällt ja doch ein großer Teil deines Lebens weg. 

Ja, gut, es ist scheiße (lacht).

Ich stelle inzwischen fest, dass Künstler sehr unterschiedlich auf die Situation reagieren. Einige sind tatsächlich froh, dass der Stress des Tourens ihnen für eine Weile erspart bleibt.

Oh, wirklich? Ach Mann, ich wünschte ich könnte mit diesem Album touren. Es würde live so krass werden! Aber andererseits war es auch schön, in den letzten sechs Monaten nicht zu touren. Es war eine stressige Zeit, wenn ich dann noch auf Tour hätte gehen müssen, wäre es noch schlimmer geworden, durch das ganze Reisen und den Jetlag. Ich würde sagen, bis Juli fand ich es gut nicht zu touren. Wir hätten diesen Sommer viele Festivals spielen sollen. Ich glaube, wenn ich die Zeit jetzt nicht gehabt hätte, hätte ich das Album nicht ordentlich fertig stellen können. Wahrscheinlich hätte ich es verschieben müssen. Dafür war es auf jeden Fall gut. 

Und machst du dir mehr Sorgen wie das Album da draußen ankommen wird, jetzt da du es nicht mit einer Tour unterstützen kannst?

Ja, aber ich glaube das mache ich sowieso. Ich bin ein ziemlicher Perfektionist, ich denke, es hat mehr damit zu tun. Ich möchte einfach, dass es besonders ist, dass es richtig, richtig gut wird. Im Moment bin ich sehr glücklich damit und sehr stolz auf mein Album. Irgendwie bin ich auch froh, dass alles gerade ein bisschen anders ist. Ich habe mit meinem Label gesprochen, die machen sich viel mehr Sorgen als ich. Sie sagen, es ist die schlechteste Zeit, um ein Album raus zu bringen. Aber sie sind auch überzeugt, dass es das wert sein wird. Und sie machen einen wirklich guten Job, machen alles, was man tun kann, um die physischen Releases zu promoten. Ich glaube, alles läuft so smooth wie es gerade möglich ist. 

Man muss ja auch sagen, dass du wahnsinnig gut im Internet funktionierst. Dein Video zu „Everytime“ hat fast 34 Millionen Aufrufe auf YouTube! 

(lacht) Ja, verrückt.

Ich frage mich, ob es für jemanden deiner Generation tatsächlich leichter ist im Moment. Du bist sehr natürlich damit aufgewachsen, das Internet für deine Zwecke zu benutzen. Ältere Künstler tun sich damit vielleicht etwas schwerer. 

Ja, das stimmt! Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Es ist bestimmt ein größeres Problem für Künstler, die sonst nicht so sehr vom Internet abhängig sind. Ich denke, viele haben während der Pandemie erst richtig gelernt, das Internet zu nutzen. Ich habe wirklich noch nie darüber nachgedacht – für mich ist es etwas ganz Normales. Ich habe es noch nie anders gemacht, deshalb fühle ich den Unterschied nicht so stark. 

Wann genau hast du denn deine ersten Songs im Internet veröffentlicht? Das ist ja schon eine Weile her. 

Das war 2016. Ich war 16 oder 17. So lange ist das noch gar nicht her, aber es fühlt sich so an. Ich war noch auf der Schule. Ich erinnere mich, wie aufgeregt und nervös ich war. Ich wusste, dass es nicht viele Leute hören würden, aber ich wusste meine engsten Freunde würden es hören, und es war mir wichtig was sie denken. Und dann würden es meine Klassenkameraden und meine Lehrer hören. Ich war auf einer Musikschule. Und ich war nicht der beste Musikschüler(lacht). Noten und klassische Musik waren mir ziemlich egal. Das war leider das, worum es in der Schule hauptsächlich ging (lacht). Aber den meisten hat es zum Glück gefallen. Jetzt sind die Songs draußen, ich kann sie nie mehr zurücknehmen. 

Es mag vielleicht nicht so lange her sein, aber in dem Alter entwickelt sich alles wahnsinnig schnell. Ich stelle es mir gar nicht so leicht vor, selbstbewusst auf das zurückzublicken, was man mit 16 gemacht hat. Und wie du sagst, wenn es einmal da draußen ist, dann ist es für immer da. 

Ja, deshalb war ich auch nervös. Ich war mir nicht zu hundert Prozent sicher, ob das genau die Musik ist, die ich machen will. Ich dachte genau das, verdammt, wenn die Leute es in zwei Jahren finden und dann mag ich es vielleicht nicht mehr… dann bin ich gefickt (lacht). Aber ich muss sagen, ich stehe immer noch hinter allem was ich veröffentlicht habe. Selbst wenn ich es heute nicht mehr gut finde, dann war es damals Teil eines Prozesses, den ich durchlebt habe. 

Du kommst aus einer sehr musikalischen Familie, richtig? 

Ja, man könnte es so sagen. Mein Vater ist sehr musikalisch. Er erzählt mir immer diese Geschichte, ich weiß aber nicht sicher ob sie stimmt (lacht). Er behauptet, dass er, als er sechs, sieben Jahre alt war, in Chile mit kleinen Bands gereist ist, die in Kirchen und kleinen Venues gespielt haben. Er sagt, er hat für sie Gitarren gestimmt, weil er das absolute Gehör hat. Außerdem hat er selber viel in Kirchen gespielt und meine Mutter hat in Kirchen gesungen, so haben sie sich kennengelernt. Meine beiden Brüder haben ihre eigenen Musikprojekte, meine Schwester singt… ich bin der jüngste in der Familie und habe mein ganzes Leben lang all ihre Musik gehört. Ich hatte das Glück, in eine Familie hinein geboren zu werden die Musik liebt, und ich bin sehr glücklich darüber. 

Aber dann ist es doch bestimmt auch ein besonderer Prozess herauszufinden, welche Musik du am meisten liebst und welche du selbst machen möchtest. 

Ja, das war definitiv ein Prozess. Ich habe Pop Punk sehr geliebt, weil mein älterer Bruder mir das gezeigt hat. Ich mag es auch immer noch und mache auch mit ihm zusammen Pop Punk. Aber ich habe versucht, es zu meinem eigenen Ding zu machen, und es hat nicht funktioniert. Es kam nicht von Herzen. Dann haben mein älterer Bruder und meine Schwester geheiratet und zuletzt mein Bruder, der Punk liebt und erst dann habe ich die Musik entdeckt, die ich selber liebe, über Spotify, YouTube und so. Das war mehr Indie Rock und Indie Pop, daraus ziehe ich jetzt die Inspiration, wenn ich meine eigene Musik mache. Es hat also gedauert bis alle aus dem Haus waren, bis ich herausfinden konnte was ich wirklich mag (lacht). Ich bin aber auch der einzige in der Familie, der von jedem die Musik mag. Meine Brüder zum Beispiel mögen jeweils überhaupt nicht was der andere mag. Meine Schwester mag nicht, was meine Mutter mag. Ich mag von allem ein bisschen. 

Und gleichzeitig hast du es geschafft, für dich selber einen sehr eigenständigen Sound zu kreieren. Ich finde, deine Songs haben großen Wiedererkennungswert. Du ziehst deutlich Einflüsse aus Genres und Jahrzehnten wie den Siebzigern und Achtzigern, aber du machst etwas ganz Eigenes daraus. Und zusammen mit deinen Videos, die auch einen sehr speziellen Look haben, wird ein tolles Gesamtkunstwerk daraus. Das mich on top auch noch ganz wunderbar an die Coming of Age Filme meiner Jugend erinnert.

Oh wow, danke, das freut mich sehr zu hören. Aber ja, diese Filme sind eine große Inspiration für mich. Filme wie „Napoleon Dynamite“ zum Beispiel. Mein absoluter Lieblingsfilm! Und „Nacho Libre“, vom gleichen Regisseur, Jared Hess. Aber auch Wes Anderson Filme. Mein Manager und ich entwerfen zusammen das künstlerische Konzept für meine Musikvideos. Wir haben viele Wes Anderson Filme gesehen, haben uns genau angesehen, wie die Schauspieler innerhalb dieses symmetrischen Universums agieren. Die Kostüme sind bei ihm auch ein wichtiger Teil der Figuren. Wir wollten unsere eigene Version davon machen. „Honey“ ist mein absolutes Lieblingsvideo. Das wäre es auch, wenn es nicht von mir wäre (lacht).

Wie bist du überhaupt auf die Idee gekommen, ein Konzeptalbum zu machen, mit einer Hauptfigur und einer durchgehenden Handlung? 

Seit ich fünf Jahre alt bin, höre ich die Beatles. Als ich in der Highschool „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ so richtig kennengelernt habe, das hat mich umgehauen. Ich hatte die Songs schon so oft gehört, aber ich wusste lange nicht, dass es ein Konzeptalbum ist. Ich fand das absolut genial. Außerdem liebe ich Tyler, the Creator. Er hat letztes Jahr ein Konzeptalbum gemacht. Die Idee, selbst ein Konzeptalbum zu machen, hatte ich schon davor, aber er hat sie quasi am Leben gehalten. Angefangen hat alles mit einem Witz. „Wachito Rico“ heißt übersetzt nämlich „hübscher Junge“. Das fand ich lustig (lacht). Es ist ein bisschen ironisch gemeint, ich empfinde mich nicht als besonders gutaussehend. Als ich zu meinem Manager vor einem Jahr im Spaß gesagt habe, dass mein Album „Wachito Rico“ heißen soll, hat er mich gefragt was das bedeutet, und er hat sehr gelacht als ich es ihm erklärt habe. Aber dann dachte ich ernsthaft: warum nicht? Und wir haben gemeinsam diese Figur Wachito Rico erfunden. Ich wollte ein Album machen, das eine Geschichte erzählt, aber ich fand es schwierig, meine eigene Geschichte zu erzählen. Ich habe schließlich noch nicht so viel erlebt in meinem Leben (lacht). Also habe ich diese Figur erfunden und ihre Geschichte erzählt, und trotzdem sind alle Songs mir persönlich sehr nah. Es findet sich darin auch vieles wieder, das ich selbst erlebt habe. Es ist aber die Geschichte von Wachito Ricos Liebesleben, nicht unbedingt meine (lacht).

Du hast also zuerst die Figur erfunden und dann die Songs aus seiner Perspektive geschrieben?

Ja und nein. Einige Songs waren schon fertig, ich hatte viele Demos. Als ich angefangen habe auszusortieren, welche auf das Album kommen sollen, bin ich danach gegangen, welche in die Geschichte passen. Sie waren also schon da und ich habe sie so zusammen gestellt, dass sie am Ende eine durchgehende Geschichte erzählen. 

An der Entstehung des Albums haben dein Bruder und dein Schwager mitgewirkt. Womit wir wieder bei deiner Familie wären. 

(lacht) Ja, das Album ist sehr kollaborativ entstanden. Ich hatte irgendwann das Gefühl, dass ich feststecke und nicht so richtig weiterkomme. Ich brauchte neue Ideen. Also habe ich die beiden gefragt, ob sie mein Album produzieren würde. Wir verstehen uns auch außerhalb der Musik sehr gut. Ich würde sagen, die beiden sind meine besten Freunde. Es war ein großes Geschenk, dass sie an meinem Album mitgearbeitet haben. Mein Bruder Esteban hat an den Texten und den Arrangements mitgearbeitet, während Eric als Studio Engineer weiß wie man es schafft, dass etwas gut klingt. Er hat das ganze Album gemischt und gemastert. Ich habe vorher noch nie mit jemandem zusammen gearbeitet, ich bin nicht so gut darin. Von daher war es perfekt, mit jemandem zu arbeiten, bei dem ich mich wohl fühle. Und die beiden sind einfach wahnsinnig gut! Vielleicht ist das ein Schritt für mich in die Richtung, irgendwann mit anderen Künstlern und Produzenten zusammen zu arbeiten. 

Du hast auch eine Reihe von Videos veröffentlicht, die ebenfalls zusammenhängend die Story von Wachito Rico erzählen. Bei den letzten drei hat das bedroom Kollektiv Regie geführt. 

Die sind so cool! Ich habe die Jungs letztes Jahr in London getroffen, bei meiner letzten Show in 2019. Sie haben mich gefragt, ob sie zur Show kommen können. Sie wollten Fotos machen und mir ein paar Klamotten mitbringen. Ich meinte nur okay (lacht). Klar! Als wir uns getroffen habe, hat es sofort klick gemacht. Als wir an den Visuals für das Album gearbeitet haben meinte ich, warum fragen wir sie nicht, ob sie ein Video für uns machen. Und sie hatten da richtig Bock drauf. Sie sind seit 2017 Fan vom Boy Pablo Projekt. Was total verrückt ist, weil sie zu der Zeit selber noch gar keine Videos gemacht haben. Sie sind wahnsinnig jung, 2000 geboren (lacht). Am Ende sind es drei Videos geworden, und sie sind einfach großartig. Sie haben unsere Ideen genommen und sie noch so viel besser gemacht. 

Und wer weiß, vielleicht hättet ihr nicht so viele Videos realisiert, wenn wir nicht gerade eine Pandemie hätten.

Definitiv, das ist ein guter Punkt. Wir hatten viel Zeit, alles zu planen und uns genau zu überlegen, wie wir zusammen arbeiten wollen. 

Foto © Michael VC Angeles