Bosse im Interview: „Ich bin so sozialisiert dass ich mich hin setze, ne Flappe ziehe und nen Selbstmordsong schreibe“

Irgendwie sind Bosse und ich an diesem Tag beide müde. Was für ein Glück, dass schönes Wetter ist und wir gemütlich im Hof des Michelberger Hotels sitzen können und Kokoswasser schlürfen. Über Schlafstörungen und Schlafwandeln reden. Und noch mehr Kokoswasser trinken. Zum Glück kriegen wir am Ende noch die Kurve und unterhalten uns über Bosses neues Album „Alles ist jetzt“. Darüber, dass es Zeit ist für Amore. Dass man einfach Dinge machen muss. So ein Gespräch mit Bosse ist schon eine ganz gute Maßnahme, um einem den Kopf in die richtige Spur zu rücken. Mit seiner Musik funktioniert das zum Glück genauso gut. „Alles ist jetzt“ singt Bosse, bringt Helene Fischer zum Reden und gibt unseren Töchtern simple, gute Ratschläge für die Zukunft. Darauf noch ein Kokoswasser.

Aber außer müde geht’s dir gut?

Ich bin auch wirklich nur heute müde. Eigentlich ist es toll, weil diesmal alles so easy ist. Das war noch nie in meinem ganzen Leben so, noch nicht mal bei der ersten Platte. Da hat man ja eigentlich die meiste Zeit. Ich weiß nicht, ob da was im System falsch gelaufen ist, aber ich habe das Album diesmal zwei Monate zu früh abgegeben. Ich war einfach fertig. Beim letzten Album war es Monster hart, da war alles auf den letzten Drücker. Ganz schnell noch ein Video drehen, dann sofort auf Tour… diesmal habe ich das Gefühl, wie sagt man so schön, ich renne dem Ball nicht mehr hinterher, sondern ich schieß ihn gerade. Das ist ein total tolles Gefühl. Ich hab zwischendrin mal Zeit für mich, auch Zeit was zu verarbeiten und mir nochmal Gedanken zu machen. Die Arbeit an dem Album war auch so – tief aber auch leicht. Musikalisch waren das die besten zwei Jahre, die ich mir überhaupt hätte wünschen können.

Ich erinnere mich daran, was wir beim letzten Mal gesprochen haben. Deine letzte Platte „Engtanz“ ist ja direkt auf Platz eins gegangen.

Ja sicher. Meinetwegen.

Gefühlt hast du das aber so gar nicht. Du standest total dahinter, weil es genau das war, was du zu dem Zeitpunkt machen wolltest, warst dir aber nicht sicher, wie die Leute es aufnehmen würden.

Richtig. Aber das ist ja immer so. Als das Ding auf eins gegangen ist, hab ich in der Bahn gesessen von Würzburg nach Hamburg. Neben mir hatte jemand nen Rotkäppchen, den hab ich mir dann eingeschenkt. Bisschen trist schon. Im IC, in so nem hart überfüllten Freitags-Zug sich einen einzuschenken. Aber es ist eben manchmal so und manchmal so. Vielleicht habe ich auch davor zu viel Zeit genossen. Bei der Musik ist es einfach so: manchmal passiert’s eben. Das hat auch nichts damit zu tun, wieviele Ideen man hat. Man braucht ja nen Grund um ein Lied zu schreiben. Die Gründe hab ich immer, aber manchmal geht es gut und natürlich, dass es einfach so passiert, und manchmal muss man knüppelhart dafür ran. Bei ein, zwei Sachen hatte ich das diesmal auch, aber nicht die ganze Zeit. Das ist der große Unterschied. Beziehungsmäßig war das ein gutes Jahr, kann man sagen. Wir haben uns wirklich gut verstanden, die Gitarre und ich (lacht).

Obwohl die Gitarre selbst diesmal ja gar nicht so präsent ist.

Ja, aber auf der wird natürlich immer geschrieben. Und dann habe ich mir diesmal gedacht, was vielleicht auch ganz schlau war: keine Korsette mehr, keine Handschellen. Einfach der Nummer immer geben was sie will und verdient. Dann habe ich mit verschiedenen Leuten gearbeitet, auch das war ganz gut. Weil ich dachte es ist mir scheiß egal wie es klingt, es muss einfach richtig gut sein. Ich wollte unbedingt Bongos spielen, weitere Instrumente entwickeln und vor allem offen sein. Bunt. An nen roten Faden hab ich jetzt nie gedacht. So klingt es hoffentlich nicht. Ich habe es letztens gehört und dachte krass, es sind schon sehr viele unterschiedliche Musikrichtungen auf diesem Album, aber irgendwie ist da trotzdem ein roter Faden.

Ich finde es klingt total homogen. Lustig, dass du das sagst.

Vor allem obwohl ich mit mehreren Leuten gearbeitet habe. Ich habe mit zwei Produzenten gearbeitet, am Ende sogar noch mit einem dritten. Da hatte ich schon ein bisschen Schiss, weil die sich auch überhaupt nicht ähnlich sind. Wie soll das zusammen kommen? Vielleicht merkt man es dann doch wirklich nicht.

Es ist schon ein sehr vielfältiges Album. Ich finde aber sowieso, dass egal was du machst, deine Handschrift nie verloren geht.

Ein Song ist ein Song, ne? Sagt man.

Ja. Und ein Bosse Song ist ein Bosse Song.

So ist es. Es ist die Idee, es ist der Text und dann ist es eben der Song. Ich habe diesmal zum Beispiel mit dem Kaiser Quartett gearbeitet. Kennst du die?

Ja, das Streicher Quartett mit dem auch Chilly Gonzales arbeitet.

Genau. Das sind so gute Typen. Die haben ein paar Songs von mir genommen und daraus eine Zwanziger Jahre Streicher Version gemacht. Da habe ich das gedacht: siehste mal, ein Song ist ein Song. Da kannst du alles mit machen, am Ende kannst du ihn auch HP Baxter geben (lacht). Ich versuche ja immer, mich möglichst viel zu öffnen. Das war auch gut. Ich habe viel abgegeben diesmal.

Ich finde, da gehört auch was dazu. Die richtigen Leute zu finden, denen man etwas abgeben will. Und der Mut es auch wirklich zu tun.

Ich konnte das ja nie wirklich gut. Johnny Kontrolletti hat sonst ja auch noch selber auf die Snare Drum geschlagen. Obwohl er echt ein mieser Trommler ist. Das war diesmal auch nicht so.

Etwas ist mir aufgefallen beim Hören. Zum einen hast du mir damals erzählt, dass der logische Schritt nach „Kraniche“ für dich gewesen wäre, nun das poppigste Bosse Album ever zu machen. Das wolltest du aber nicht.

Richtig.

Also bist du mehr zu den Gitarren gegangen. Du hast damals so schön gesagt, du wolltest ein Arcade Fire Album machen.

Oh ja.

Jetzt, bei diesem Album bist du dann schließlich den poppigen Weg gegangen. Und weißt du was? Das haben Arcade Fire ja auch so gemacht.

Genau! Das stimmt. Aber ich habe diesmal sogar überhaupt kein Arcade Fire gehört. Ich wusste, irgendwie machen alle gerade War on Drugs Musik. Und bei „Wanderer“ wollte ich wenigstens auch einmal eine Dire Straits Gitarre haben. Das war dann aber auch das einzige. Ansonsten haben wir alle zusammen sehr wenig Musik gehört. Das war vielleicht sogar ein bisschen schade, aber ganz ehrlich, ich wusste irgendwie keine Band, die ich hören wollte. Das war total schwierig für mich, weil ich viele Sachen einfach nicht mehr so geil fand. Beim letzten mal gab es ganz klar drei, vier Bands wo ich dachte, so könnte das klingen. Wir haben damals ja sogar in Kanada angerufen und uns mit dem Engineer von Arcade Fire getroffen, um zu wissen wie das mit den scheiß Hallplatten funktioniert und warum das dann so anders klingt. Diesmal war mehr so freie Action angesagt. Ich habe gesagt, wir können alles machen. Ich wollte nur nicht, dass es so voll wird wie „Engtanz“. Das war schon sehr überladen. Der schwedische Mischer hat damals gesagt: ey Jungs, hundert Spuren zurück, ich krieg das gar nicht auf mein Pult. Seid ihr total geisteskrank? Das war zu viel. Wenn ich das heute höre finde ich es zum Teil super, zum Teil aber auch „too much information“. Ich wollte es diesmal gerne leerer haben, dann aber auch wieder voll, in Momenten wo es so sein darf. Der Jochen (Naaf, Anm.) hat immer gesagt: das muss aber auch sexy sein! Die Hüfte muss mit schwingen, auch wenn’s Tränchen kommt. Der Tobi (Kuhn, Anm.) war anders, der meinte: es muss knarzen, es muss knarzen! Wir können poppig sein, aber es muss Ecken haben. So haben wir Song für Song gearbeitet.

Ich finde ja, das Poppige steht dir total gut. Auch in den Musikvideos, wo du auch mal das Tanzbein schwingst.

Das Treatment zu beiden Videos habe ich am Ende selber gemacht, mit meinen Freunden Katja und Christopher. Das ist unser 15. und 16. Musikvideo, wir haben schon immer alles zusammen gemacht. Es war aber schwierig, weil diesmal die Leute so gar keine Ideen hatten. Gerade bei „Augen zu Musik an“ kann ich das total verstehen, weil das so ein Song ist, der gar nicht so mega viel erzählt. Deswegen hatte ich auch so Angst vor dem, weil ich dachte krass, ich habe schon tiefere Sachen gesagt. Aber manchmal ist es eben auch einfach nur ein Lebensgefühl, das man hat. Das hatte ich bis jetzt auch eher selten. Bei mir ist der erste Song oft ein bisschen zu traurig, bisschen zu tief. Also war mir klar, Anna Maria Mühe muss einfach besoffen sein und ich bring sie nach Hause. Und die hat das richtig gerissen!

Gerade beim Video zu „Alles ist jetzt“ dachte ich, du hast es aber auch wirklich gut drauf allein stimmungsmäßig genau das zu liefern, was wir gerade brauchen. Sich die Freiheit zu nehmen, einfach mal positiv zu sein.

Danke, das freut mich, dass du das sagst. Positivität ist ja für mich die Königsdisziplin. Ich bin so sozialisiert dass ich mich hin setze, ne Flappe ziehe und nen Selbstmordsong schreibe. Das ist der Grund warum ich angefangen habe Musik zu machen (lacht).

Sagen ja auch viele, dass das leichter ist.

Es ist viel leichter für mich. Ich hab meine Akkorde, da hört sich meine Stimme auch plötzlich gut an, da ist das tief, das kann ich machen. Selbst nach so vielen Songs, die ich geschrieben habe, muss ich mich immer wieder aus meiner eigenen musikalischen Favela raus trauen und sagen: so Alter, jetzt bitte mal was Neues. Bei „Alles ist jetzt“ habe ich folgenden Trick angewendet. Ich dachte, die Hip Hopper machen das doch immer ganz süß. Wenn die zurück kommen, sagen sie immer: so, ich bin zurück, so und so bin ich, ich bin der Geilste, ihr seid alle scheiße (lacht). Ohne das letzte natürlich, habe ich bei „Alles ist jetzt“ einfach den Hip Hop Trick gemacht. Ich habe mich hin gesetzt, ans Klavier und an den Schreibtisch und habe mir gesagt: so, sag doch mal, die letzten zwei Jahre, was war da los? Was ist wichtig, was habe ich wirklich zu sagen. So einfach wie es nur geht, um am Ende auf den springenden Punkt zu kommen. Man kann alles sagen, denn wenn die Hookline kommt, dann hat die immer recht. Einer der springenden Punkte im Leben ist, dass wirklich alles jetzt ist. Der alte Carpe Diem Trick, der uns damals in den Neunzigern so verzaubert hat (lacht). Aber ganz ehrlich! Wenn meine Tochter mich fragen würde, was ich ihr für einen Tipp für die nächsten Jahre geben würde, dann würde ich sagen: ey Mädchen, alles ist jetzt! Mach’s einfach. Hab keinen Schiss. Musst du nicht. Du hast überhaupt nix zu verlieren. Gut, bisschen aufpassen (lacht). Sei mutig, hab Bock, sei traurig. Kannst du alles genießen. Darüber nen Song zu schreiben, das ist es schon wert.

War dir damals denn bewusst, dass das heute quasi auch ein Song zur Lage der Nation ist?

War es mir tatsächlich nicht. Jetzt muss die Zeit der Amore anbrechen! Ich finde, jetzt sind empathische Leute gefordert, die Fresse aufzumachen. Jung und alt, alle die, die auf Rechtsaußen keinen Bock haben, die sind jetzt dafür da, präsent zu sein. Um den Leuten Wege aufzuweisen und Freude aufzuzeigen. Herzlichkeit und so. Gegenreaktion heißt ja oft, dass man so gegen zerstört. Ich finde, das ist überhaupt nicht angebracht. Wenn irgend eine Antifa im Gegenzug Fensterscheiben einschlägt, das bringt nix. Deshalb fand ich Chemnitz auch so toll. Ich war da, ich hab mir das alles angeguckt. Ich fand das so eine gute Gegenreaktion. Es gibt Sachen, die man machen kann. Das habe ich in den letzten Jahren auch gelernt, dass wenn eine gute Idee da ist, ich nur mit dem Finger schnipsen muss. Dann passiert auch was. Früher habe ich oft gedacht: ach schade, nur Mucke machen hat so wenig mit Verantwortung zu tun. So bin ich eigentlich gar nicht. Ich bin immer schon ein politischer Mensch, und in den letzten drei, vier Jahren habe ich gemerkt: ich kann wirklich Sachen verändern! Ich kann das vorleben, weil ich auch wirklich so lebe. Ich muss nur Sachen machen. Der Spruch „einfach machen“ ist wirklich der beste. Es funktioniert!

Immerhin bist du ja auch der Mann, der Helene Fischer dazu gebracht hat, sich politisch zu positionieren.

Wer sagt das?

Ach, ganz viele.

Aber das habe doch auch andere vor mir schon gesagt… na gut, ich hab das in diesem Stream gesagt. Den haben wahrscheinlich viele Leute gesehen, ne? Das war aber auch ne lustige Kombination. Der Reporter kannte mich nicht, dann kam noch der Tarek von K.I.Z. ins Bild gerannt, und da war eine Sozialarbeiterin aus Chemnitz, die gerade was wichtiges gesagt hat. Ich dachte Jungs, was ist eigentlich mit euch los? Das einzige, was ich dann noch zu sagen hatte war eben das. Dass ich finde, die Zeit des auf dem Sofa sitzens ist vorbei. Diese McFit Jugend, die es ja ganz arg gibt. Die auf Instagram ihren Body zeigen und sagen ey ich bin ganz gut drauf, ich rauche nicht, ich trinke nicht, alles tschuggi. Und wenn mal nicht alles tschuggi ist, dann zeige ich das auf gar keinen Fall. Denen kann man nur sagen: herzlichen Glückwunsch, ihr konntet euer Leben bis jetzt genießen, aber jetzt ist es vorbei. Ihr müsst irgendwas tun. Ich finde, dass gerade in diesem Mainstream Bereich, in den ich niemals hin komme, wenn da zum Beispiel ein Max Giesinger sich äußert, die Leute dem doch aus der Hand fressen. Natürlich gibt es dann Diskussion, und dann muss er sich eben anstrengen. Das tritt dann ganz viel los, genau wie bei Helene. Das ist doch toll! Und das sind alles super Leute, das darf man auch nicht vergessen. Ich verstehe auch, dass die davor Schiss haben. Es gibt bestimmt viele Leute die die Musik hören, die nicht so denken und nicht so offen sind. Vielleicht sogar AFD wählen. Also wie mutig von Helene! Wie sagt man, Ehrenfrau? (lacht) Hat mehr bewirkt als so manche politische Debatte, die von Hochkarätern im Politbetrieb geführt wird. Sie ist die Königin im Leute erreichen.

Interview: Gabi Rudolph

www.axelbosse.de