Berlinale 2025: Schnee auf dem Gehsteig, Sonne auf der Leinwand

Während die Bürgersteige zwischen den Kinos mit einer hartnäckigen Schicht von Schnee und Eis überzogen sind und die Temperaturen mit einem zweiten Wintereinbruch am Potsdamer Platz um den Gefrierpunkt herum schwanken, entführt uns die Berlinale in die sengende Hitze des spanischen Sommers und in die staubige Wüstenlandschaft auf Fuerteventura.

Im Wettbewerb ist “Hot Milk” zu sehen, die Verfilmung des gleichnamigen Erfolgsromans von Deborah Levy. In dem Regiedebüt von Rebecca Lenkiewicz reist Sofia (Emma Mackey) gemeinsam mit ihrer Mutter Rose (einfach großartig: Fiona Shaw) in die spanische Küstenstadt Almeria, um dort einen Wunderheiler aufzusuchen. Seit Sofias fünftem Lebensjahr leidet Rose unter mysteriösen Lähmungserscheinungen, sowie Schmerzen in Knochen und Gelenken. Ihr Anthropologie-Studium musste Sofia pausieren, um ihre Mutter rund um die Uhr zu pflegen. Die ungleiche, wenig symbiotische Mutter-Tochter-Beziehung ist offensichtlich schon vor langer Zeit aus dem Gleichgewicht geraten. Seitdem lastet die Verantwortung für die häusliche Pflege und der emotionale Druck schwer auf Sofias Schultern. Doch als Sofia durch Rose‘ neue Behandlung oft mehrere Stunden allein ist, beginnt sie, die neue, ungewohnte Freiheit zu nutzen und lernt Ingrid (Vicky Krieps) kennen, eine charismatische, geheimnisvolle Touristin. Zwischen den beiden Frauen entwickelt sich eine komplizierte, aber aufregende Beziehung, und plötzlich kommt es zwischen Mutter und Tochter zu nie da gewesenen Konflikten. Einer Kollision steht an zwischen dem, was Rose wirklich braucht und dem, was Sofia bereits ist zu opfern.

“Islands”, zu sehen als Berlinale Special Gala, ist die erste international besetzte Produktion von „Oh Boy“ Regisseur Jan-Ole Gerster. Der Film entführt uns in ein ähnlich atmosphärisches, warmes Setting. In einem Hotelresort in der staubigen Wüste Fuerteventuras arbeitet Tom (Sam Riley) als Tennistrainer. Allein unter hunderten von Gästen, die im Gegensatz zu ihm jederzeit abreisen können, ist er als ehemaliger Tennisprofi in seinem Job maßlos unterfordert und kämpft mit seiner Vorliebe für Alkohol und Drogen. Als jedoch plötzlich Anna (Stacy Martin) am Tennisplatz auftaucht und um Tennisstunden für ihren Sohn Anton (Dylan Torrell) bittet, wird Tom aus seiner schläfrigen Routine gerissen. Ohne selbst genau zu wissen warum, beginnt er sich mehr und mehr zu involvieren und zeigt Anton, Anne und ihrem Mann Dave (Jack Farthing) die Insel. Doch dann verschwindet Dave spurlos und niemand scheint zu wissen, welche Rolle Anne und Tom selbst dabei spielen.

Auch wenn beide Filme sich um sehr unterschiedliche Themen drehen, fangen sie beide kunstvoll den Kontrast zwischen einem sehr unglücklichen, in sich verschlossenen und ungesehenen Menschen und seiner malerischen Umgebung ein. Sowohl Sofia als auch Tom leben in einer schmerzhaft schönen Welt, in einer ständigen Atmosphäre des Urlaubs und der Erholung, aber sind mit ihren Aufgaben und ihrem Leben zutiefst unglücklich und fühlen sich nicht gesehen. “Hot Milk” entwickelt dabei dank subtiler Andeutungen davon, wie grundlegend dysfunktional die Mutter-Tochter-Beziehung ist und wie vollkommen unreflektiert sich Rose auf Sofia stützt, eine sehr gelungene Komik. Trotz der ruhigen Erzählstruktur baut sich durch die komplex ausgearbeiteten Charaktere eine große Spannung auf, die einen der finalen Auseinandersetzung entgegenfiebern lässt.

Hingegen ist bei „Islands“ Toms deprimierende und gleichzeitig eindrückliche Lebensrealität und die kongenial schauspielerische Leistung von Sam Riley vermutlich der stärkste Aspekt. Ihn hingebungsvoll und interessiert mit Anton auf dem Tennisplatz trainieren zu sehen macht Freude, aber nach einer sich über einen langen Zeitraum aufbauende Synopse beraubt uns der Film eines wirklichen Höhepunkts oder überhaupt irgendeines Spannungsmoments. Es ist, als wäre der Zug auf halber Strecke steckengeblieben, das Ende hält nicht, was das Exposé verspricht, die Auflösung ist unbefriedigend.

Dennoch ist es der Berlinale gelungen, für einen Moment das Schneegestöber zu vertreiben und einen Lichtblick in ferne Länder zu gewähren.

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