Beklemmender Blick hinter die Kulissen: „Mystify – Michael Hutchence“ von Richard Lowenstein

Es beginnt mit Michael Hutchence, wie man ihn in Erinnerung hat. Der „Rockgott“, der mit den für ihn so typischen lasziven Bewegungen und seiner signifikanten Stimme das Publikum zum Rasen bringt. Radlerhosen zur Lederjacke? An Michael Hutchence Ende der 80er super sexy, an den Jungs aus dem Freundeskreis ein absolutes No Go. Alles an diesem Mann war eine einzige Verführung. Explosive Sexualität, gepaart mit musikalischem Talent, eine Mischung, die sich in Songs wie „Mystify“ und „Never Tear Us Apart“ entlädt. INXS eine Band, die die 80er und 90er geprägt hat und die durch ihren Frontmann geprägt wurde.

Doch schon nach ein paar Minuten von „Mystify – Michael Hutchence“ kommt alles anders. Der Film zeigt den Blick hinter die Kulissen und gewährt einen Blick auf den Mensch Michael Hutchence: auf seine Zweifel, seine Zerrissenheit, seine ewige Suche. So wie man ihn weder aus den Schlagzeilen – und davon gab es mehr als genug – noch von seinen Bühnenshows wahrgenommen hat. Die Vorfreude auf einen Film, in dem alte Erinnerungen an die eigene Jugend wach werden, weicht schnell einer Beklemmung, die durch den Blick hinter die Fassade offenbart wird. Man versteht schnell, dass hinter der Rock’n’Roll-Ikone ein Mann steckte, der ganz anders war als man von außen vermutete. Ein eher schüchterner Michael, der seine Privatheit liebte und mit Vorliebe Philosophen wie Sartre las. Der Ruhm, der ihn wie Ikarus unaufhaltsam Richtung Sonne aufstiegen lies, ein Aufstieg, der unweigerlich den Absturz zur Folge haben musste.

In einer Welt aufgewachsen, in der Ruhm, Reichtum und sinnliche Genüsse zählen, war Hutchence nur zu leicht verleitet, sich den Verlockungen des Ruhms hinzugeben. Durch die Schwierigkeiten und Krisen seiner Familie geprägt, begegnet man einem Mann, der immer auf der Suche nach der perfekten Beziehung war und für den seine Band eine Art Ersatzfamilie wurde. Seinem Charisma und seinem Charme konnten sich auch Kylie Minogue und Helena Christensen nicht entziehen. Beziehungen, die ihn in die Klatschspalten brachten, die ihm aber privat so viel bedeuteten. Interviews mit seinen Weggefährten und Weggefährtinnen beschreiben die Ambivalenz, in der sich Michael Hutchence befand und zeigen den Sog, der durch seinen Ruhm und seine Personality immer mehr zu einem Strudel wurde, in dem der Sänger letztendlich versank. Eine dramatische Wende stellte dabei der Unfall dar, den Hutchence in Kopenhagen hatte, als er mit Christensen mit dem Fahrrad unterwegs war und der damit endete, dass er von einem Taxifahrer vor einem Pizzaladen niedergeschlagen wurde. Der Faustschlag hatte einen Schädelbruch zur Folge, der neben Prellungen bleibende Schäden an seinem Gehirn verursachte, inklusive Verlust des Geruchssinnes.

Was von Ärzten als möglicher Unfall unter Alkohol- oder Drogeneinfluss eingestuft wurde, hatte schwerwiegende Persönlichkeitsveränderungen zur Folge. Hutchence war nicht mehr er selbst, er wurde launisch, aggressiv und depressiv. Erst seine Beziehung zu Paula Yates konnte ihn – zumindest zweitweise – aus seiner Dunkelheit herausholen. Doch auch diese Liaison stand unter keinen guten Stern, dank Yates’ Noch-Ehemann Bob Geldof, der eine Hetzjagd auf die beiden startete, um das Sorgerecht für seine Kinder zu bekommen. Für die Presse war dies ein gefundenes Fressen.

Noch heute ranken sich um Hutchence Gerüchte, deren Wahrheitsgehalt nur noch schwer überprüfbar sind. Selbst sein Tod wurde bis heute nicht ganz aufgeklärt. Was offiziell als Selbstmord deklariert wurde, wurde von engen Freunden, unter anderem von Paula Yates als ein Unfall beim Sexspiel dargestellt. Dunkle Seiten wurden offenbar. Umso mehr ist es ein Anliegen von Regisseur Richard Lowenstein, mit vielen Interviews und Originalmaterial ein anderes Bild von Michael Hutchence zu zeigen, als wir es bis jetzt zu sehen bekommen haben, quasi als eine späte Wiedergutmachung. Lowenstein versucht, die Hintergründe für sein Verhalten aufzuzeigen und seinen wahren Charakter nachzuzeichnen. Lowenstein, der viele der berühmten INXS Videos gedreht hatte, war zu Lebzeiten ein enger Vertrauter und Freund. Ihm ist es gelungen, ein einfühlsames Portrait zu zeichnen, das hinter den Glamour und Rock’n’ Roll blickt. Ein Portrait, das einen beklemmt und etwas traurig zurücklässt, 23 Jahre nach dem Tod des charismatischen Frontmanns einer der grössten Bands der 80er und 90er. Damals hat man nur den schönen Schein gesehen, ihm auf unzähligen Konzerten frenetisch zugejubelt. Ungläubig hat man die Presse verfolg und wollte Vieles davon nicht wahrhaben, denn es passte so gar nicht zu dem Rockgott, den man damals verehrte. Nun erlaubt einem der Film ein bisschen von dem wahren Michael Hutchence kennen zu lernen. Dabei ist es wieder ein bisschen wie früher. Man fühlt sie, diese tiefe Zuneigung und weiß, warum dieser charismatische Mann nicht nur Frauen wie Kylie Minogue in den Bann gezogen hat.

Dass die Australier zusammen halten wird beim Blick auf die Filmmusik deutlich, die von Warren Ellis stammt. Bei wem es jetzt nicht gleich klingelt: Warren Ellis ist das virtuose Mastermind von Nick Caves’ Bad Seeds. Die beiden Australier haben schon bei vielen Filmen für die musikalische Untermalung gesorgt.

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