Barbara Morgenstern im Interview: „Und nochmal das Saxophon!“

Nachdem ich Barbara Morgenstern in den Räumlichkeiten ihres Labels Staatsakt getroffen habe, um mit ihr über ihr neues Album „Unschuld & Verwüstung“ zu sprechen, laufen wir uns kurze Zeit später gleich zweimal hintereinander über den Weg. Weil wir, wie wir feststellen, die gleiche Hood+“ und ein sehr ähnliches Umfeld haben. Das passt dazu, dass ich mich vor unserem Gespräch schon gefragt habe, warum wir beide uns eigentlich noch nie vorher getroffen haben. Aber jetzt! Umso ausführlicher unterhalten wir uns, über alte und neue Alben, über die Arbeit am Theater, mit dem Chor und als Solokünstlerin. Und: ausnahmsweise bin es mal nicht ich, die Arcade Fire ins Spiel bringt…

Ich habe dich ja entdeckt durch einen guten Freund, der mir damals, als es raus kam, dein Album „Fjorden“ geschenkt hat. Diese Woche habe ich ihn getroffen und wir haben darüber geredet, was für eine spezielle Platte das doch war. Sie fiel irgendwie raus aus allem, was man sonst so kannte.

Total verrückt. Ich kenne verschiedene Leute, die wiederum an verschiedene Alben von mir andocken. Meine beste Freundin zum Beispiel liebt „Fjorden“. Das ist ihr Album. „Fjorden“ war mein zweites Album und für mich selber nicht so einfach. Das erste ist so ein Debüt-Wurf, man ist im „Ach mach einfach“-Rausch. Beim zweiten muss man ein bisschen hin hören. Da steckte auf jeden Fall viel Arbeit drin. Ich habe es mit einem Freund produziert, an einem bestimmten Punkt haben wir alles wieder verworfen. Es war ein harter Prozess. Später habe ich es nochmal gehört und gedacht: es ist ja überhaupt nicht so schlecht (lacht). Dann gibt es viele, die docken an mein erstes Album „Vermona“ an, bei dem die Orgel so prägnant war. „Nichts Muss“ war so Primetime in Deutschland, große Tour mit dem Goethe Institut. „The Grass Is Always Greener“ war plötzlich groß in Amerika, super Rating bei Pitchfork. „The Operator“ wurde ein richtiger Hit, ich bin nach Kasachstan gefahren und die Leute kannten das da. So zieht sich das irgendwie durch. „Come To Berlin“ wurde jetzt nochmal total viel rezitiert. Die Alben funktionieren alle unterschiedlich, und sie funktionieren vor allem immer weiter. Ich habe die Hoffnung, dass es so weiter geht (lacht).

Ich kam damals von der Schauspielschule, und dein Gesang hat mich daran erinnert, wie wir gelernt haben, mit Chanson und Brecht-Liedern zu arbeiten. Wie man seine Stimme ausdrucksvoll einsetzt, wenn man jetzt nicht die geborene Christina Aguilera ist. Das hat mir sehr gefallen.

An meinem Gesang scheiden sich ja die Geister, ich kenne auch Leute die sagen: die Stimme kann ich nicht immer hören. Oder auch: wenn du soft singst, gefällst du mir besonders gut. Wenn ich Gas gebe kommen die Mitten extrem raus. Aber lustig, dass du das sagst. Nach der Schule bin ich nämlich nach Hamburg zu einem sechswöchigen Pop-Studiengang. Da habe ich alle Leute getroffen, mit denen ich danach Musik gemacht habe. Da haben wir viel Brecht und Weill gesungen. Das war die einzige Zeit, in der ich damit in Kontakt war. Ich hatte ein bisschen Gesangsunterricht, hatte aber nie wirklich Freude dran. Ich bin ein großer Fan von natürlichen Stimmen. Ich mag gern, wenn es nicht verformt ist. Natürlich stößt man auch mal an seine Grenzen. Ich leite seit 11 Jahren den Chor am Haus der Kulturen der Welt, da hat man natürlich andere Anforderungen. Wie kriege ich den hohen Ton? Wie kann ich Klang erzeugen ohne auf die Stimme zu drücken? Wie singen wir uns ein? Da habe ich das gelernt und finde es spannend, wie sich das weiter entwickelt, auch für meine Stimme. Wenn ich mir meine ersten Aufnahmen anhöre, wie ich da singe – so hoch und so angestrengt! Da denke ich schon gut dass sich das entspannt hat (lacht).

Und um wieder zu „Fjorden“ zurück zu kommen: ich habe mir gedacht ich könnte dich auch einfach fragen, was seitdem bei dir so alles passiert ist. Dann könnten wir hier doch bestimmt eine halbe Stunde sitzen und wären mit nur einer Frage durch.

Was seitdem passiert ist? Viel! Ultra viel. Mit dem Nachfolger Album war ich extrem viel auf Tour. Danach war für mich ein Break, körperlich, kräftemäßig, mir war klar, mit dem Rumfahren muss jetzt erstmal Pause sein. Auch musikalisch war für mich ganz klar die Fragestellung: will ich das? Platte, Tour, Platte, Tour. Das erfüllt mich nicht, das reicht mir nicht musikalisch. Das kreist mir zu sehr um mich selbst. 2007 wurde ich dann vom Haus der Kulturen der Welt gefragt, ob ich den Chor machen will. Obwohl ich keine Chor Erfahrung hatte, hab ich mich da rein gestürzt, das ist so meine Art. Für mich ist das nach wie vor Spielwiese. Ich kann Sachen ausprobieren, ich kann rein musikalisch arbeiten, ich schreibe Arrangements, denke mir Programme und Themen aus. Dann hat sich über den Chor und über meine eigenen Sachen das Feld Theater eröffnet. Ich bin fester Bestandteil vom Rimini Protokoll, einer Dokumentar Theatergruppe. Dort steigt man über eine Ausgangsfragestellung, ein Ausgangsthema in einen Arbeitsprozess ein. Das finde ich für mich als Musikerin extrem spannend. Das geht auch mal weg von mir, ich beschäftige mich musikalisch mit einem konkreten Thema. Alles arbeitet da miteinander und inspiriert sich gegenseitig. Das ist eigentlich das, was passiert ist (lacht). Und zwischendrin und nebenbei mache ich natürlich noch meine eigene Musik.

Das finde ich ja eigentlich fast am erstaunlichsten.

Meinte eine Freundin neulich auch zu mir: du hast es auch noch geschafft, ein Album zu machen!

Das ist doch bestimmt eine große Herausforderung. Den Punkt zu finden, die Muße und sich dann auch noch die Zeit zu nehmen. Oder sammeln sich mit der Zeit immer wieder Stücke an, die du schließlich zusammen fügst?

Es war diesmal wirklich ein langer Prozess. Zum Teil sind die Stücke drei, vier Jahre alt. Ich habe tatsächlich immer wenn ich Zeit hatte geschrieben. Und so wichtig wie ich es finde als Teil einer Community zu arbeiten, genauso muss ich auch immer wieder gucken: wo stehe ich? Was interessiert mich soundlich? Auf diesem Album habe ich versucht, die Klangwelten etwas orchestraler zu gestalten. Klavier, Harmonium, Saxophon mit meiner Liebe für elektronische Musik zu verbinden und zu gucken, wie weit kann ich das ausreizen. Ich wollte einen Klangteppich schaffen. Da ist es wichtig, immer wieder zurück zu mir zu kommen und auch eine Handschrift zu haben, nicht beliebig zu werden. Ich kann Dinge sagen, die für mich persönlich relevant sind. Mich berührt Musik wenn ich das Gefühl habe, ich höre die Person da raus. Die Hoffnung habe ich bei meinen Sachen auch. Und natürlich würde es mir auf die Dauer auch fehlen, selbst live zu spielen. Das ist auch einer der Gründe, warum ich immer wieder dahin zurück komme: ich will einfach spielen! Auf jeden Fall war mir bei diesem Album wichtig, wieder konzertanter zu werden. Mehr Piano, orchestraler, da hatte ich auch wegen dem Chor Bock drauf, alles vom Sound her ein bisschen fetter zu machen. Als Christian Biegai mit dazu kam und die Saxophon Arrangements eingespielt hat, das hat der Sache nochmal einen Push gegeben. Zu sagen ich mach es jetzt fertig und dann gehen wir gemeinsam auf Tour. Geil! Ich meine, ich spiele auch gerne allein, weil ich dann meine Freiheiten habe beim Spielen. Aber bei uns beiden funktioniert das einfach extrem gut. Mal gucken wo uns das hin trägt. Für mich ist das pure Freude, auch wenn man manchmal alle ist.

Mir ist das natürlich aufgefallen, dass der Sound so schön voll geworden ist – ich würde sagen nahezu hymnisch! Da steh ich ja total drauf.

Ja, ich mag das auch sehr! Arcade Fire zum Beispiel…

Hach! Ich wollte sie jetzt einmal ausnahmsweise nicht nennen… je mehr Leute auf der Bühne, umso glücklicher werde ich ja. Und umso begeisternder finde ich, wie du diesen vollen Sound alleine hergestellt hast. Ohne dass zwölf Leute auf der Bühne stehen.

Zwölf Leute auf der Bühne, lass es uns offen sagen, ist nunmal eine Frage der Kohle. Ich kann es mir nicht leisten. Bei meiner Record Release Party wird auch der Chor mit dabei sein. Aber unmöglich damit zu touren! Ich finde ja auch das zweite Bon Iver Album brillant. Davon ist bestimmt auch einiges mit eingeflossen. Bei ihm habe ich oft das Gefühl: ich verstehe nicht, wie er das gemacht hat. Diese Soundwelten! Aber in die Richtung könnte ich auf jeden Fall weiter gehen. Gerne auch mal mit Orchester. Für die Shows bei denen wir zu zweit sind, werden wir uns loopen. Christian sich mit dem Saxophon und ich Piano, Piano, Piano. So richtig Wall of Sound (lacht).

Ich habe dich ja bisher eher mit einem gewissen Minimalismus verbunden.

Das war bis jetzt ja auch so.

Ich finde aber, das Große steht dir auch sehr gut!

Danke! Ich hatte echt Bock drauf, auf das Opulente. Bei meinem Album „Sweet Silence“ kam tatsächlich ab und zu die Kritik, warum die Stücke so schnell vorbei sind. Auf der Bühne fade ich ja gerne lange aus, mache Übergänge. Das wollte ich auf dem Album integrieren. Diese ewigen Enden. Und nochmal das Saxophon! (lacht)

Interview: Gabi Rudolph

 

Barbara Morgenstern live:

13.11.18 Berlin, Ballhaus (mit Claire Obscure)
23.11.18 UK-Bristol, Cube Cinema
25.11.18 UK-London, Café Oto
26.11.18 UK-Glasgow, Platform
27.11.18 UK-Newcastle, Stars and Shadow Cinema
07.12.18 Berlin, Arkaoda (Record Release Party)

www.barbaramorgenstern.de