Aurora im Interview: „Die Jugend hat am meisten Hoffnung“

© Vincent Arbelet

Mit ihrem Song „Queendom“ brachte die 23-jährige Aurora im letzten Jahr ihre Message auf den Punkt: „You have a home in my Queendom“ singt sie und öffnet damit die Arme für alle, die in ihrem Leben einen Platz suchen, an dem sie sich aufgehoben fühlen können. Wenn man Aurora persönlich trifft, dann spürt man schnell, dass ihr diese Message eine echte Herzensangelegenheit ist. Ihre Fans sind ihre Familie, erzählt sie mir, als wir beim Pitchfork Music Festival in Paris im Backstage Bereich sitzen, während draußen in der Novemberkälte schon die ersten Aurora Fans warten, um ihr später beim Konzert so nah wie möglich zu sein. Da mir so etwas immer nahe geht, weiß ich es wirklich zu schätzen, dass wir beide 20 Minuten zusammen sitzen und uns unterhalten können, sehr entspannt und inspiriert zugleich und mit einem sofortigen Draht zueinander. Aurora spricht leise und mit Bedacht, aber auch mit viel Leidenschaft. Wenn ihr etwas besonders am Herzen liegt, beugt sie sich nach vorne und legt mir die Hand aufs Knie. Man möchte wirklich sehr gerne Teil ihres Queendoms sein. 

Erzähl mir, wie war dein Jahr insgesamt? Es ist ja fast vorbei.

Es war alles sehr aufregend. Ich hätte gar nicht gedacht, dass ich so beschäftigt sein würde. Teil 2 meines Albums habe ich plötzlich so schnell herausgebracht, und schon bin ich wieder auf Tour gegangen. Es war ein sehr langes Jahr… Im Januar haben wir Europa getourt, im Februar Nordamerika, dann waren wir in Australien, Südamerika, dann der Festivalsommer. Zuletzt habe ich 30 Shows in Norwegen gespielt, viele kleine Städte. Jetzt sind wir hier. Im Anschluss bin ich noch einmal zwei Wochen in England, dann geht es nach Asien. Dann noch ein paar Shows in Norwegen, und dann ist Weihnachten.

Das alles noch vor Weihnachten?

Wie gesagt, es ist ein sehr aufregendes Jahr (lacht). Man kann vieles schaffen, wenn man sich darauf einstellt hart zu arbeiten. Solang man sich dessen bewusst ist was auf einen zukommt, ist es okay. Du musst gut essen, zwischendrin Kraft schöpfen und vor allem dir selbst viel Liebe geben. Auf Tour hilft es mir sehr, Bücher zu lesen. Ich liebe es, alte Fantasybücher zu lesen. Wunderschöne, aufregende Bücher. Ich liebe es, in diese Welt abzutauchen. Das gibt meinem Geist Frieden. Es wird alles gut gehen. Ich verspreche es (lacht).

Jetzt hast du meine nächste Frage quasi schon beantwortet. Wie findet man bei so einem unglaublichen Zeitplan einen Safe Place für sich selber, wo man es sich gutgehen lässt?

Bücher, eindeutig. Außerdem, immer wenn ich Bäume sehe versuche ich dorthin zu gehen… (schweigt und überlegt lange). Es ist seltsam. Um zur Ruhe zu kommen braucht man nicht unbedingt einen ruhigen Ort. Seine Augen schließen und fünf Minuten lang meditieren kann man überall. Ich meditiere nicht wirklich, aber ich bin ganz gut darin geworden, die Welt ein paar Minuten lang auszublenden. Das ist sehr hilfreich. Ich arbeite ja in der Regel abends. Dann schläft man tagsüber und fängt um 9 oder 10 abends an zu arbeiten. Das ist ein seltsamer Zeitplan. Bevor ich auf die Bühne gehe, fühle ich mich oft sehr müde. Aber auf der Bühne zu stehen ist gleichzeitig Arbeit und Auszeit für mich. Manchmal bin ich krank. Im Moment habe ich in beiden Beinen eine Entzündung in den Muskeln, weil ich so viel tanze. Beim Laufen tut es sehr weh. Aber sobald ich auf der Bühne stehe und tanze, vergesse ich es. Ich weiß nicht wo die Energie her kommt. Natürlich aus der Musik. Sie ist ein ewiger Quell der Jugend. 

Du bekommst bestimmt viel zu wenig Sonne ab.

Das tue ich. Wie du siehst (lacht).

Du bist aber auch ein heller Typ.

Das stimmt. Es ist seltsam. Diesen Sommer war ich in Südamerika und Australien, aber ich habe überhaupt keine Bräune bekommen! Ich habe aber auch Angst vor der Sonne. Weil ich so blass bin. Hautkrebs macht mir Angst. Ich mag auch keine Hitze. Das ist meine norwegische Natur. Als wir letztes Jahr – ich glaube es war letztes Jahr – Coachella gespielt haben, bin ich danach sehr krank geworden. Ich habe so etwas wie eine Grippe bekommen, weil mir so heiß war. Jetzt, den Herbst, das liebe ich. Es geht mir gerade so richtig gut.

Wirst du es denn nächstes Jahr ein bisschen ruhiger angehen lassen?

Ja, werde ich… mir ist bewusst geworden, dass ich sehr müde bin. Und ich habe immer noch sehr viele Shows vor mir. Es wird okay sein, aber ich bin wirklich müde. Mir ist klar geworden, dass wenn ich nicht bald eine Pause mache, mein inneres Kind zu sehr leiden wird. Es muss mehr im Studio sein. Ich muss malen, tanzen und mehr Zeit mit meiner Familie verbringen. Ich habe eine sehr enge Beziehung zu meiner Mutter und meinem Vater, sie vermissen mich sehr, wenn ich unterwegs bin. Also werde ich nächstes Jahr ein klein wenig abtauchen.

Mit Betonung auf „ein klein wenig“! Ich habe gesehen, dass du für den Sommer schon Festivaltermine angekündigt hast. 

Aber nicht so viele. Ich habe vor, das gesamte Jahr über maximal acht Shows zu spielen. Ich werde ein wenig verschwinden. Das wird schön. Ich bin quasi auf Tour seitdem ich 17 bin – jetzt bin ich 23. Sechs Jahre lang war ich nur unterwegs. Ich muss lernen, in meinem Apartment zu leben, das ich bis jetzt kaum von innen gesehen habe. Sehen wie es ist, wenn man nicht ständig auf Reisen ist. Das finde ich sehr aufregend. Und natürlich werde ich jeden Tag im Studio sein. 

Ich wollte es gerade sagen, du wirst doch sicherlich viel Musik machen. 

Ich habe drei Alben im Kopf. Mit einem habe ich bereits angefangen. Das meiste ist noch Chaos, aber es gibt schon eine gewisse Ordnung. Ich möchte einfach so viel Musik wie möglich machen und sie mit meinen Fans teilen, die meine Familie sind. Ich habe so viel in mir. Dieses Gefühl der ständigen Inspiration hält vielleicht auch nicht ewig. Deshalb möchte ich es nutzen so lang es geht. 

Es ist sehr beeindruckend wie du es geschafft hast, in dieser Zeit, in der du so viel unterwegs warst auch noch zwei so schnell aufeinanderfolgende Alben herauszubringen.

Ich weiß nicht, wie wir das geschafft haben. An jedem einzelnen Tag, an dem ich zuhause war, haben wir daran gearbeitet. Jeder dieser Tage war ein Studiotag. Wenn ich mich für etwas entscheide, setze ich in meinem Kopf eine Deadline. Musik ist ein unendlich dauerndes Kunstwerk. Es tut mir fast weh aufzuhören an etwas zu arbeiten. Auf jeden Fall wird es sehr aufregend werden, nächstes Jahr mit Ruhe an einem Album zu arbeiten. Jedes Album, das ich bis jetzt rausgebracht habe, ist irgendwie unterwegs entstanden. Also habe ich mich entschieden ein wenig zur Ruhe zu kommen und aus diesem Gefühl heraus ein Album zu machen. Ich möchte etwas sehr offenes, emotionales schaffen. 

Noch emotionaler?

Sogar noch emotionaler (lacht).

Ich finde deine Musik jetzt schon sehr emotional.

Das ist sie! Aber ich möchte etwas schaffen, das sich für die Leute wie ein bester Freund anfühlt. Musik ist eine emotionale Sprache, die Sprache der Liebe. 

Ich habe heute viel über dich nachgedacht. Habe mir angesehen was deine Fans über dich schreiben, was für eine wunderschöne Beziehung ihr zueinander habt. Dabei kam mir der Gedanke dass du glaube ich der ehrlichste, ernsthafteste und am wenigsten zynische Mensch bist, der mir seit langer Zeit begegnet ist. Und ich habe mich gefragt – wie kommst du in der Welt da draußen zurecht? (Aurora lacht) Zynismus ist ja der gängigste Mechanismus, um mit der Welt umzugehen. Ich stelle mir vor, dass das manchmal schwer ist.

Das ist es! Aber wie machst du es? Du wirkst auch sehr offen und ehrlich auf mich. Aber auch so als könntest du damit umgehen. 

Ich glaube, ich habe es einigermaßen gelernt. Ich bin aber auch 20 Jahre älter als du. 

Bist du? Wirklich? Du siehst sehr, sehr gut aus. 

Hach, danke! 

Aber das ist wirklich eine interessante Frage. Ich glaube offene Menschen erkennen sich untereinander. Nicht jeder schätzt mich so ein wie du. 

Ich kann mir schon vorstellen, dass man dich auf den ersten Blick vielleicht nicht so wahrnimmt. Weil du sehr künstlerisch bist, was man ja gerne mit künstlich verwechselt. Alles bei dir hat eine sehr ausgefeilte Ästhetik hat. 

Ich glaube, wenn ich die Musik nicht hätte, dann wäre ich vielleicht eine dieser verlorenen Seelen, die missverstanden werden, nirgendwo rein passen oder an einem falschen Ort landen. Ich wäre nicht so glücklich wie ich es heute bin. Als Kind habe ich sehr damit gekämpft, zwischen meinen eigenen Emotionen und denen der anderen zu unterscheiden. Wenn jemand traurig war, war ich auch traurig. Und selbst wenn diese Person nicht mehr traurig war, war ich es immer noch. Weil ich mich damit auseinandergesetzt hatte dass jemand traurig war und dieses Gefühl deshalb in mir war. Ich bin es nicht mehr los geworden, obwohl es noch nicht einmal meins war. Das war sehr anstrengend für mich. Deshalb mochte ich die Schule auch nicht. Und vor allem deshalb habe ich mit dem Musik machen angefangen. Warum sonst fängt man mit dem Musik machen an wenn man sechs Jahre alt ist? Ich war sechs, als ich mein erstes Klavierstück geschrieben habe. Ich war ein sehr ruhiges Kind, bin viel in den Wäldern herum gewandert und habe mir einen Reim aus den Dingen gemacht, indem ich über sie nachgedacht habe. Ich habe es immer genossen, allein zu sein. Andere Menschen habe ich schon immer lieber angesehen als mit ihnen zu sprechen. Als ich realisiert habe, dass ich meine Emotionen in ein Lied packen kann, habe ich festgestellt, dass ich sie dadurch verarbeiten kann – und dann weiter machen. Plötzlich kann aus etwas sehr traurigem ein wunderschönes Stück Musik werden, das existiert und andere Menschen glücklich macht. Ach, es ist zu viel um darüber zu sprechen. Es ist so wunderschön! (lacht) Aber um darauf zurückzukommen, ich glaube das ist es, wodurch ich mit der Welt umgehen kann. Ich schreibe ständig Musik. Wenn ich auf der Bühne bin, kann ich alles raus lassen. Meine Wut herausschreien, wenn ich wütend bin. Ich darf jeden Abend auf der Bühne weinen und tanzen. Es ist ein großes Glück, dass ich dieses Ventil habe.

Unsere Zeit ist schon vorbei, aber eine Frage würde ich dir gerne noch stellen. Du bist ja noch sehr jung. Und ich merke, dass ich mit zunehmendem Alter eine große Zuneigung zu jungen Menschen fühle.

Du bist doch auch jung!

Das ist sehr süß von dir, aber trotzdem bist du natürlich Teil einer anderen Generation als ich. Und ich hasse es, wenn Menschen junge Leute so behandeln, als wüssten sie nichts und hätten von den ernsten Dingen des Lebens keine Ahnung. Ich glaube, dass das nicht stimmt, und deshalb wollte ich dich fragen: glaubst du es gibt eine Weisheit, die eher der Jugend vorenthalten ist? 

Ich würde sagen… wir haben ja schon über Zynismus gesprochen. Diese zynische Art zu denken und mit Dingen umzugehen, eine Wand zu bauen zwischen sich und dem Schmerz der Welt, das ist etwas das man mit dem Alter lernt. Also denke ich, dass die Helden der Zukunft die Menschen sein müssen, die noch nicht gelernt haben, diese Mauer zwischen sich und der Welt zu bauen. Die immer noch offen, zerbrechlich und emotional sind. Auf diese Weise hat man einen stärkeren Zugang zur Empathie, zu dem Verständnis dafür, dass wir alle im gleichen Boot sitzen. Der Schlüssel zu der Schlacht, die wir kämpfen müssen – vor allem wenn wir es auf den Kampf um unsere Umwelt beziehen – ist die Stimme der Jugend. Ich glaube dass diese Stimmen die lautesten sind – die der Jungen, aber auch die der im Herzen jung gebliebenen. Sie müssen schreien, für uns, dafür, dass wir aufstehen und uns für unsere Erde stark machen. Für mich macht das Sinn. Die Menschen, die die Hoffnung verloren haben, das sind diejenigen, die aufgegeben haben unsere Erde zu retten, denn sie wissen nicht, wo sie anfangen sollen. Auf den ersten Blick wirkt es vielleicht kompliziert, aber das ist es nicht. Wir müssen einfach jetzt etwas tun. Jungen Leuten fällt es vielleicht leichter, spontan zu sein und jetzt sofort etwas zu tun. Es ist die Schlacht der Hoffnung – sie muss von den Kriegern der Hoffnung gekämpft werden. Und die Jugend hat am meisten Hoffnung. 

© Morgan Hill Murphy

www.aurora-music.com