Ich hatte es mir eigentlich als letztes Highlight des Jahres vorgestellt. Ursprünglich war geplant, dass alt-j im Dezember 2021 nach Berlin kommen würden, um ihr viertes Album „The Dream“ zu promoten. Aber dann machte die Corona-Pandemie und die damit einhergehenden, sich ständig ändernden Bestimmungen dem Ausflug einen Strich durch die Rechnung, und Schlagzeuger Thom Green und ich fanden uns wieder einmal im Zoom-Gespräch wieder. Der Freude, mit ihm über die Tücken der Pandemie, die beruhigende Wirkung von Routine, Synästhesie, die allgegenwärtigen Beatles und natürlich „The Dream“ zu reden, tat das zum Glück keinen Abbruch.
Dass alt-j eine wirklich außergewöhnliche Band sind, ist hinreichend bekannt. Aber mit „The Dream“ haben Joe Newman, Gus Unger-Hamilton und Thom Green ein selbst für ihre Verhältnisse besonderes Album aufgenommen. Verspielt und verfrickelt aber auch eingängig und voran preschend. Auf „The Dream“ klingen alt-j, als wollten sie die ganze Welt umarmen. Mitten in einer Pandemie – wenn das nicht wundervoll ist.
Ich hatte mich wirklich gefreut, euch persönlich zu treffen. Aber wenigstens können wir jetzt über Zoom miteinander sprechen.
Ich weiß. Ich wäre auch sehr gerne gekommen. Ich mag Berlin, ich habe viele Freunde dort. Es ist deprimierend, wie schnell sich alles ändert. Man hat ein bisschen Hoffnung und Optimismus und dann… ich versuche mir immer zu sagen mir geht es gut, ich bin Zuhause, es könnte schlimmer sein.
Aber lass uns uns auf das Positive konzentrieren. Ihr habt ein neues Album aufgenommen, das ist wundervoll.
Ja, wir haben es tatsächlich auf die Beine gestellt. Es hat alles ein bisschen kompliziert und unvorhersehbar angefangen. Anfang 2020 hatten wir noch nie vom Coronavirus gehört. Wir hatten uns gerade im Studio aufeinander eingespielt. Dann kam die Pandemie und wir haben das ganze Jahr gebraucht herauszufinden, wie wir damit umgehen. Es war kompliziert und teilweise ganz schön frustrierend, aber wir haben es geschafft. Mai 2021 waren wir mit den Aufnahmen fertig. Dass sich alles so hingezogen hat, war am schwierigsten. In einem Moment bist zu zufrieden, dann hörst du es noch einmal und es macht plötzlich keinen Sinn mehr. Das Artwork, die Tracklist, die Vinylproduktion, all diese Sachen haben wir in endlosen Zoom Meetings besprochen. Auf diese Weise an kreativen Prozessen zu arbeiten, in die viele Leute involviert sind, ist kompliziert. Kompromisse zu finden wird zu einer echten Herausforderung. Aber zum Glück haben wir es geschafft.
Was für ein langer Prozess. Und das in einer Zeit, in der sich die Dinge ständig ändern. Verändert sich da nicht auch die Haltung zu dem was man gerade macht sehr schnell?
Das tut sie. Ich glaube, es hat aber auch etwas Gutes. Du bewertest alles, was du tust, ständig neu. Du fängst etwas an und ein Jahr später bist du immer noch dabei… für uns war das gut, glaube ich. Je mehr Zeit du hast… gut, endlose Zeit ist auch nicht gut. Aber uns hat das die Möglichkeit gegeben zu reflektieren. Wir sind keine Band, die sich selbst zu sehr in Frage stellt. Wir sind gut darin, offen und ehrlich zu sein. Wir mussten lernen damit okay zu sein, wenn jemand eine andere Meinung hat. Die Dreier-Dynamik kann manchmal schwierig sein. Wenn zweien etwas gefällt, muss einer lernen Kompromisse zu machen. Du musst das akzeptieren. Es gab ein paar Tracks, mit denen wir früh angefangen haben und bei denen ich mich schwer getan habe, wieder ran zu gehen und sie neu zu überarbeiten. Ich mochte sie so sehr genau so wie sie waren und wollte sie nicht verändern. Es waren auch keine drastischen Veränderungen, nur ein paar kreative Dinge, von denen andere Leute dachten, die Tracks bräuchten sie. Heute verstehe ich das und kann es akzeptieren, aber damals… alles, was du an einem Tag gemacht hast, nimmst du abends mit nach Hause. Du spielst es dir selbst noch einmal vor oder deiner*m Partner*in und bekommst deren Feedback. Dadurch bekommt der Track eine Persönlichkeit, da muss man sensibel mit umgehen. Am nächsten Tag sitzt du mit Leuten im Studio die dir sagen: den Part, den schneiden wir komplett raus. Dafür fügen wir hier noch eine extra Minute ein. Du lebst mit diesen Dingen, sie entwickeln ein Eigenleben, und je länger es dauert, umso schwerer ist es, Dinge loszulassen oder sie zu verändern.
Aber weißt du was mich an diesem Album am meisten fasziniert? Dass es so ein extrovertiertes Album geworden ist, besonders gemessen daran, dass wir in einer eher introspektiven Zeit leben. Sowohl in den mitreißenden, energetischen Momenten als auch in den ruhigeren, emotionalen. Es geht immer direkt nach vorne.
Ich bin froh, dass es dir gefällt. Das haben jetzt schon ein paar Leute zu uns gesagt. Es überrascht mich einerseits, andererseits verstehe ich was du meinst. Ich glaube, wir waren in einem guten Zustand, als wir angefangen haben das Album zu machen. Wir waren mit uns selbst zufrieden, vielleicht mehr als je zuvor. Bevor wir mit dem Album angefangen haben, hatten wir uns ein Jahr frei genommen. Das hat uns neue Energie gegeben, wir hatten endlich mal wieder Zeit Zuhause zu sein. Ich bin wirklich gern Zuhause. Ich brauche Routine, das hilft mir mich wohl zu fühlen und steigert meine Kreativität. Wir haben angefangen als wir uns bereit gefühlt haben, die Umstände haben sich sehr natürlich angefühlt. Und wir haben es langsam angehen lassen. Ich glaube, das war ein gutes Sprungbrett für alles, was gekommen ist. Wir hatten uns einen guten Alltag aufgebaut und konnten jeden Abend dahin zurückgehen. Wir sind nicht die Art von Band, die nach LA geht und dort gemeinsam in einem Haus lebt, das wäre der Wahnsinn (lächelt). Ich weiß nicht was dabei raus kommen würde. Etwas Wütendes, wahrscheinlich. Jeden Abend nach Hause gehen zu können, eine gute Routine etablieren, das formt dich. Alles was um dich herum passiert formt dich, es prägt deine Stimmung und deine Persönlichkeit. Wir haben versucht das auszudrücken, und es ist schön zu hören, dass es sich offensichtlich richtig übersetzt hat. Ich würde nicht sagen dass wir bewusst versucht haben, ein positives Album zu machen. Es ist einfach passiert.
Ich habe mich aber auch gefragt, ob euer Sound sich wirklich so sehr verändert hat. Oder ob sich für mich verändert hat, wie ich ihn wahrnehme. Kannst du das verstehen?
Oh ja.
Ich war so überrascht, wie eingängig er geworden ist. Dann habe ich mir noch einmal „This Is All Yours“ angehört, das ich damals viel gehört habe, als es raus gekommen ist. Und das ist mir jetzt auch viel eingängiger vorgekommen. Ihr hattet ja eigentlich schon immer richtige Hits dazwischen, wie „Left Hand Free“ oder „In Cold Blood“. Aber ich habe sie nie wirklich als solche wahrgenommen.
Das ist interessant. Wenn ich mir heute unsere alten Sachen anschaue, bin ich immer überrascht, wie detailliert und emotional sie sind. Wenn wir auf Tour sind, spielen wir die Tracks, die live gut funktionieren. Den Rest höre ich mir nicht an, wenn wir auf Tour sind. Dann höre ich plötzlich wieder rein… es ist schwer für mich es zu sagen, weil ich so mittendrin bin. Aber wenn ich unser erstes Album heute höre, dann finde ich es sehr jugendlich. Es hat so ein Gefühl von Jugend und Entdeckerlust, aber auch von Angst und Verlust. Ich höre darin, wie ich mein jüngeres Selbst erforsche. Es ist über zehn Jahre her, dass wir angefangen haben. Seitdem ist in unseren Gehirnen viel passiert. Unser drittes Album „Relaxer“ war ein schwieriges Album für uns. Ich habe damals persönlich viel durchgemacht. Wenn ich heute daran denke, dann sehe ich lila, dunkles lila und braun. Farben so dunkel, dass man sie kaum sehen kann. Wohingegen unser erstes Album himmelblau ist. Ich weiß noch nicht, welche Farbe dieses Album hat.
Ich wollte dich gerade fragen! Das hätte ich gerne gewusst.
Jeder Track hat eine andere Farbe und eine andere Form. Im Moment würde ich sagen Erdtöne, grün, braun, gelb und orange. Und es hat eine Art Punktmuster, aber eher organisch, mit viel Tiefe und parallele Linien, die alles miteinander verbinden. Ich weiß auch nicht warum.
Findest du viel Inspiration in visueller Kunst?
Ja, das tue ich, schon immer. Ich male viel. Ich habe Kunst studiert. Ich habe Synästhesie, was bedeutet, dass ich Töne riechen kann, ihre Textur und ihre Form fühlen kann. Beim Schreiben kann das manchmal aber auch schwierig sein. Der Track „Walk A Mile“ zum Beispiel hatte für mich eine ganz präzise Form und Farbe. Das war einer der Tracks, den wir später noch einmal bearbeitet haben. Aber für mich war er perfekt. Ich wollte seine Form nicht zerstören. Aber visuelle Kunst lässt mich sehr viel fühlen. Mein Liebster Maler ist ein Typ namens Howard Hodgkin. Er hat diese unglaublich emotionalen Bilder gemalt, ohne viel Farbe zu benutzen. Manchmal ist es nur eine Farbe und ein Pinselstrich. Aber es erzählt so viel und hat so viel Leben. Wenn ich es mir ansehe, ist es fast wie Nahrung. Es gibt mir einen Sinn für Realität, was ich sehr brauche.
Du hast es ja schon gesagt, aber als du angefangen hast es zu beschreiben, dachte ich sofort, dass es erklärt, warum du dich mit Veränderungen so schwer tust.
Ja, das ist generell ein Problem für mich. Ich liebe Ordnung und Vorhersagbarkeit. Ich nehme Dinge objektiv immer als Wahrheit wahr. Wir haben einen Band-Kalender, wenn da etwas drin steht, steht das für mich fest. Darauf stelle ich mich ein und richte mich danach. Neulich hat dort jemand eine falsche Adresse eingetragen. Alle wussten, dass es die falsche Adresse ist, weil es ein großer Platz war und deshalb nicht stimmen konnte. Aber ich bin dort hin, weil es dort stand. Deshalb war ich am Ende eine Stunde zu spät (lächelt). Wenn da ein Termin steht, dann stelle ich mich wochenlang darauf ein. Und wenn mir jemand kurz vorher sagt, dass er nicht stattfinden wird, das macht mich fertig. Ich brauche Routine. Ich mag immer die gleichen Dinge, ich esse gerne die gleichen Dinge. Auf Tour brauche ich Ordnung. In meiner Tasche ist immer alles am richtigen Platz. In der Garderobe stelle ich immer als erstes meinen Laptop an derselben Stelle auf. Andere werfen einfach ihren Koffer auf den Boden, mitten in der Garderobe, verteilen ihre Klamotten überall und sind glücklich damit. So bin ich definitiv nicht (lacht).
Das ist so interessant. Als ich euch das erste Mal gehört habe, habe ich zu einer Kollegin gesagt: diese Musik ist irgendwie wie Mathematik. Ich habe das Gefühl, man könnte sie in Quadrate zerlegen und wieder zusammensetzen.
Da liegst du total richtig mit. Wenn wir schreiben, zerlegen wir die Tracks tatsächlich in einzelne Module. Du hast eine Melodie und einen Drumbeat und betrachtest das erst einmal einzeln. Dann fügst du es zusammen und plötzlich macht es Sinn. Und rhythmisch gibt es auch sehr viel Struktur bei uns.
Und gleichzeitig… hast du schon die Beatles Dokumentation von Peter Jackson gesehen?
Noch nicht, aber ich kann es kaum erwarten. Ich möchte mir die Zeit nehmen, sie in einem Rutsch durchzugucken.
Ich habe sie kürzlich gesehen. Ich war nie richtig Beatles Fan, aber seitdem… ich habe diese Orgel in „U&Me“ gehört und dachte verdammt, alles geht zurück auf die Beatles.
Oh ja! Ich weiß genau welche Stelle du meinst, das ist definitiv Beatles. Ich bin jetzt auch nicht der größte Beatles Fan. Aber ich weiß woher es kommt, das Gefühl, dass alles auf sie zurück geht. Du wirst in unserer Musik viele kleine Teile finden, die von den Beatles beeinflusst sind. Aber ich bin wirklich sehr gespannt auf die Doku. Ich sehe so gerne Menschen dabei zu, wie sie an etwas arbeiten. Ich glaube, ich werde mich mit vielem identifizieren können. Wenn wir uns wiedersehen, erzähle ich dir, wie ich sie fand.
Foto © George Muncey