Seit bald zwanzig Jahren ist Adam Green aus der Indie-Musikszene nicht mehr wegzudenken. Aber Adam Green ist nicht nur Musiker. Er macht Filme, malt Bilder, baut Skulpturen und hat gerade seine erste Graphic Novel veröffentlicht. „War and Paradise“ orientiert sich lose an der Handlung von „Krieg und Frieden“ und ist, wie so ziemlich alles bei Adam Green, eine ganz schön verrückte Geschichte. Ein neues Album namens „Engine of Paradise“ ist ebenfalls frisch erschienen. Wenn Adam Green über sich selber spricht, dann sieht er sich als Uhrmacher genauso wie als Goldgräber. Warum das so ist, erfahrt ihr in unserem Interview.
Na Adam, wie geht es dir gerade?
Danke, mir geht es gut! Ich bin gerne in Berlin. Ich mache ein paar Interviews, war in der Gemäldegalerie, laufe ein bisschen durch die Gegend. Im Flugzeug haben sie meine Gitarre verloren, das war nicht so schön.
Wirklich?
Ja. Ich habe sie aber gestern Abend zurück bekommen, sie ist mir ins Hotel geliefert worden. Erst sah es nicht so gut aus, sie war irgendwo im Gepäcksystem abhanden gekommen.
Hat dich das sehr nervös gemacht?
Nervös nicht, es war zum Glück nicht meine Lieblingsgitarre. Nur wütend (lacht). Ich dachte die ganze Zeit, wenn ich irgendwann den Anruf bekomme dass sie sie verloren haben, dann liegt es an mir zu beweisen, dass sie mir Geld schulden. Das würde mich unzählige Anrufe, Briefe und eventuell einen Anwalt kosten. Da habe ich die ganze Zeit dran gedacht, diese vielen Telefonate mit irgendwelchen Fluglinienangestellten, damit ich meine Gitarre ersetzt bekomme. Der Gedanke daran hat mich sehr wütend gemacht.
Vor drei Jahren haben wir uns schon einmal getroffen, als du gerade den „Aladdin“-Film rausgebracht hast. Es ist wirklich eine Freude, was für unterschiedliche, verrückte Dinge du so machst.
Das stimmt, das ist es. Jetzt habe ich eine Graphic Novel geschrieben.
Ich weiß, ich hab sie gelesen.
Oh wow. Vielen Dank dass du dich damit so beschäftigst.
Ich habe erst letztes Jahr damit angefangen, mich intensiver mit Graphic Novels zu beschäftigen, als ich über die feministischen Comics von Liv Strömquist gestolpert bin. Kennst du sie?
Oh nein, warte, das muss ich mir aufschreiben (Adam googlet und notiert sich den Namen in seinem Telefon). Meine Frau wird das auch interessieren. Ich habe nämlich sehr intensiv mit ihr an meiner Graphic Novel gearbeitet. Sie ist seit ein paar Jahren der Mensch, mit dem ich am meisten zusammen arbeite. Sie hat „Aladdin“ mit mit coproduziert und das Script überarbeitet. Bei der Graphic Novel war sie meine Lektorin. Es ist sehr cool so eng mit ihr zusammenzuarbeiten.
Beim Lesen musste ich daran denken wie du mir letztes Mal erzählt hast, wie du deine Texte für Aladdin gefunden hast. Dass du dir einzelne Sätze auf Zetteln notierst, sie dann ausbreitest und überlegst, wie sie am besten zusammen passen. Ich finde man kann auch wenn man „War and Paradise“ liest, sehr genau deine Arbeitsweise heraus spüren.
Definitiv. Während der Aladdin Tour habe ich viele Stunden sitzend in einem Tourbus zugebracht. Die Idee zu „War and Paradise“ hatte ich schon seit einer Weile, eigentlich schon vor „Aladdin“. Eine Graphic Novel zu schreiben die lose auf der Handlung von „Krieg und Frieden“ basiert. Ich habe immer wieder darüber nachgedacht und wann immer ich Zeit hatte mir Notizen auf meinem Telefon gemacht. Ich wusste, der erste Teil sollte im Krieg spielen und der zweite im Leben nach dem Tod. Ich habe über den Krieg nachgedacht, über den Tod, über das Leben nach dem Tod, Technologie, Liebe, Sexualität… von dort aus haben Yasmin und ich die Geschichte entwickelt, als ich von der „Aladdin“ Tour zurückkam. Ich habe mir alle meine Gedanken dazu noch einmal angesehen, die wie ich fand besten herausgepickt und überlegt, wie sie in die Geschichte passen könnten. All die Charaktere in meinen Geschichten sind auf eine Weise Teil meiner selbst, meiner Persönlichkeit, und sie diskutieren miteinander. Vielleicht nicht unbedingt auf die Art und Weise wie Menschen normalerweise miteinander reden, aber hoffentlich wie sie denken. Wenn ich diese Zeilen schreibe versuche ich eine Brücke zu einer anderen Dimension zu schlagen. Und hoffe, dass die Menschen, die sich damit auseinander setzen, dadurch auch einen Blick in diese Dimension bekommen.
Deine Kreativität hat wirklich einen sehr eigenen Blickwinkel. Was auch immer du machst, man erkennt deine Vorgehensweise und deine Intention dahinter immer wieder.
Vielen Dank. Es ist eine sehr langsame und manchmal mühsame Arbeit. Der kreative Teil von mir schreibt über ein Jahr oder so hinweg an einer Sache. Dann kommt der lektorierende Teil von mir, sieht sich das noch einmal an und überlegt, ob das alles so Sinn macht. Ich schreibe sehr frei und unzensiert in mein universelles Tablet, wenn du es so nennen magst. Ich denke dabei nicht nach, es ist eher ein ekstatischer Zustand in dem ich arbeite. Wenn ich damit durch bin, gebe ich es weiter an Yasmin, weil die von mir überarbeitete Version ist immer noch ein furchtbares Chaos. Ein furchtbares Chaos! Ihr Job ist hart.
Aber ihr habt euch definitiv gefunden!
Oh ja. Es macht Spaß mit ihr zusammen zu arbeiten. Außerdem weiß ich dadurch, dass es wenigstens eine Person auf der Welt gibt die versteht worum es mir geht. Wenn sie, selbst nachdem ich versucht habe es ihr zu erklären, nicht versteht was ich auszudrücken versuche, dann verwerfe ich es. Vielleicht geht auf diese Weise auch das Beste verloren (lacht). Ich gebe dir mal ein Beispiel. Ich kann mich manchmal wahnsinnig an ganz absurden Sachen aufhängen. Wie zum Beispiel: sind Würfel schnell oder langsam? (lacht) Ich denke dann, das ist wahnsinnig lustig. Sind Würfel schnell oder langsam? Und Yasmin sagt: Das macht überhaupt keinen Sinn. Und ist nicht lustig. Manchmal denke ich Dinge sind lustig, die einfach gar nicht lustig sind. Von denen kann man sich dann trennen. Sind Würfel schnell oder langsam… frag dich das mal.
Ich werde wahrscheinlich den Rest des Tages drüber nachdenken.
Manchmal bin ich in so einer Stimmung, da denke ich so etwas ist wahnsinnig lustig. Oder als wäre es eines dieser alten buddhistischen Rätsel (lacht). Aber auch dafür taugt es nicht wirklich. Ein großer Teil meiner Arbeit ist es, einzelne Wörter leicht abzuwandeln. Das kann ich unendlich lange machen, bis sich irgendwann irgendeine Art von Gefühl einstellt. Das Wort „engine“ zum Beispiel. Ich habe es so lange mit etwas kombiniert, bis ich dabei etwas gefühlt habe. Ich glaube, wir stecken in der inneren Landschaft fest, die uns ausmacht. Wir stecken fest damit wer wir wirklich sind. Das kann man nicht ändern. Das Bedürfnis Wörter zu kombinieren ist ein wichtiger Teil von mir. Dabei passiert eine Art chemischer Reaktion. Ich habe sehr viel Geduld dafür. Am Ende möchte ich, dass das Buch, das Gedicht oder der Song den ich geschrieben habe sich anfühlt wie eine sehr gut gearbeitete Schweizer Uhr. Mit dem Beruf eines Uhrmachers kann ich mich gut identifizieren.
Ich frage mich, wie du in all das Ordnung rein bringst. Was ist am Ende Teil eines Songs, was gehört in einen Film, was in eine Graphic Novel?
Das dauert zum Teil Jahre. 70 Prozent meiner Zeit schreibe ich. Ich laufe durch die Gegend und schreibe Sachen auf. Die restlichen 30 Prozent bringe ich damit zu, das alles zu sortieren. Ich habe Tagebücher, Karteikarten, Listen auf meinem Computer… manches drucke ich aus, nehme verschiedenfarbige Buntstifte und unterstreiche die Zeilen die ich mag. Dann teile ich sie in Kategorien auf. Es ist fast ein bisschen wie wenn man einen Weihnachtsbaum schmückt. Man hat diese vielen verschiedenen Ornamente und überlegt welche wo hin gehören, welche am besten zusammen passen, was sie thematisch miteinander zu tun haben. So entstehen Teile und Kapitel. Ich bin wie ein Goldgräber, der die ganzen Mineralien durchsiebt bis er die kleinen, glitzernden Teile gefunden hat. Auf diese Weise entsteht etwas. Ich mag das, so funktioniert Kunst für mich. Jeder hat ja seine eigene Definition von Kunst. Für mich ist das Ziel, am Ende ein Gesamtkunstwerk zu kreieren. Es ist wie ein Ruf dem man folgt, und man findet einen Tempel in dem man gefragt wird: kannst du schreiben? Kannst du Musik komponieren? Kannst du malen? Die Antwort ist für mich immer: ich werde es versuchen. Ich werde es versuchen! Das ist die ultimative Berufung als Künstler.
Von allen Künsten mit denen du dich beschäftigst, hast du zur Musik nun die längste Verbindung. Gibt es etwas von dem du sagst, das ziehst du als Künstler nur aus der Musik?
(überlegt lange) Was ich nur aus der Musik ziehe…
Ich formuliere es mal so. Die Musik scheint ja eine besondere Rolle zu spielen. Wenn du einen Film machst oder wie jetzt eine Graphic Novel, gibt es dazu immer ein begleitendes Album. Könntest du dir auch vorstellen etwas Eigenständig zu kreieren, das nicht von Musik begleitet wird?
(überlegt) Ja… ich glaube ich könnte das. Ich glaube wenn ich male hat es nichts mit Musik zu tun. Ich habe zur Malerei ein geteiltes Verhältnis. Einerseits male ich gerne Bilder, die erst einmal eine rein emotionale Ästhetik für mich haben. Aber manchmal nehme ich diese Bilder auch und kreiere aus ihnen Charaktere oder benutze sie für anderes Artwork. Von daher ist es wichtig für mich mir die Zeit zu nehmen, einfach für mich selbst zu malen. Ohne die Idee für ein konkretes Projekt dabei im Kopf zu haben. Ich habe eine lange Liste im Kopf von Bildern die ich malen und Skulpturen, die ich bauen will. Wenn ich also eine Idee brauche, ist sie in der Regel irgendwo schon da. Manchmal aber muss ich vom Malen oder Schreiben eine Pause machen und einfach nur singen. Viele Jahre lang wollte ich nichts anderes machen als schreiben. Und dann ist mir aufgegangen: ich kann nicht warten bis ich mit dem Schreiben fertig bin, um wieder zu singen. Musik zu machen ist außerdem die beste Weise, sich mit Menschen zu verbinden. Man kann sie vor Publikum spielen, das ist einfach so cool. Wenn du aber immer nur Songs schreibst, hast du irgendwann auch ein Problem. Du hast diese ganzen Songs, musst ein Album machen, dann musst du mit dem Album auf Tour gehen… (lacht) Gleichzeitig, wenn du immer nur in deinem Raum bist und Kunst machst, dann ist der Raum irgendwann voll damit und du hast zu viele Sachen. Meine Familie überfordert das manchmal (lacht). Sie sagen dann: musst du schon wieder etwas malen? Ich bin nämlich selber mein größter Sammler. Wenn die Leute mich fragen ob ich ein Bild verkaufen will, dann denke ich: wirklich? Wie könnte ich das denn verkaufen? Ich hab es doch selber gemacht, ich will mich davon nicht trennen (lacht).
Aber weißt du was, vielleicht ist genau das das Einzigartige an der Musik. Du kannst sie weg geben, ohne dabei etwas zu verlieren.
Da hast du recht. Das ist wirklich cool. Außerdem ist Musik glaube ich das einzige, worin ich mich inzwischen als Insider bezeichnen kann. Wenn ich ein Comicbuch veröffentliche bin ich ja quasi ein Outsider, der von der Seite rein grätscht und das einfach mal ausprobiert. Es fällt mir leicht, in einem Raum gemeinsam mit anderen Musikern zu sein. Bei bildenden Künstlern zum Beispiel habe ich immer das Gefühl sie riechen, dass ich nicht Kunst studiert habe.
Meine Lieblingszeile aus „War and Paradise“ stammt übrigens von der Figur Napoleon. Er sagt: „A song is the closest you can get to a magic spell“. Das ist wunderschön!
Danke! Und ich glaube es ist wahr. Wenn du einen Song spielst, dann ist das wie eine Beschwörung. Wenn der Song richtig ist, dann wird er bei den Leuten eine Art emotionalen Eingriff vornehmen. Es mag vielleicht hoch gegriffen klingen, Musik als eine Art Therapie zu beschreiben. Aber ich glaube es ist so. Die Leute gehen zu einer 40 minütigen Therapiesitzung und sagen, danach geht es ihnen besser. Warum soll es ihnen nach einem Konzert nicht genauso gehen?
Das Album „Engine of Paradise“ ist bei 30th Century Records erschienen. Die Graphic Novel „War and Paradise“ steht im Internet zum kostenlosen Download bereit. Das PDF bekommt ihr hier.