The White Stripes: Für immer weiß und rot

Eine persönliche und höchst sentimentale Hommage an die White Stripes

whitestripesDer junge Mann ist beeindruckend groß. Seine roten Hosen sehen aus, als wären sie ein klein wenig zu kurz geraten. Er raucht eine Zigarette und fragt uns, wie uns die Show gefallen hat. „Es war ein bisschen, als könnte man euch ins Herz gucken,“ sage ich mutig. Er guckt ernst. „Das ist gut. Das freut mich.“
Drei Monate zuvor bin ich in einer Stadt, in der ich nicht wirklich sein will. Ich vermisse Berlin. Auf einem Kofferradio kann ich CDs hören, aber mein Plattenspieler fehlt mir. Musikfernsehen langweilt. Dort, auf einem Bett in einem Hotelzimmer sitzen ein Junge und ein Mädchen. Er spielt Gitarre, sie trommelt auf einem Koffer. Plötzlich passiert etwas. Ich spüre es ganz deutlich. Mein Herz tanzt.
Einen Monat später, zurück in Berlin, renne ich in meinen Plattenladen. „Ich hätte gern das Album von den White Stripes.“ „Klar,“ sagt der Typ hinterm Tresen. „Welches denn?“ Wie, welches? Damals, vor gerade mal neun Jahren, war das Internet noch nicht allmächtig. Ich habe nicht gegooglet und deshalb keine Ahnung, dass die Platte, die ich haben möchte, bereits das dritte Album dieser Band ist. Also gehe ich mit dreien unterm Arm nach Hause. „White Blood Cells“ ist es, die sich in den nächsten Tagen unermüdlich auf meinem klapprigen Kofferplattenspieler dreht. Wunderschön knisternd, in rotem Vinyl. Endlich ist es wieder da, das vermisste Kribbeln. Mit Gitarre, Schlagzeug, Klavier und Stimme passiert hier etwas ganz Großes. Ohne Bass! schreit die Fachpresse erstaunt und begeistert auf. Stimmt, das wäre mir beinah gar nicht aufgefallen. Es hört sich einfach unglaublich organisch an.
Mit einer Freundin fahre ich nach Hamburg, um die White Stripes live zu sehen. An der Tür des Logo klebt ein Zettel mit der Botschaft „Ausverkauft“. Drinnen angekommen benehmen wir uns wie Teenager, geraten in Verzückung beim Anblick des Merchandise Standes und decken uns mit T-Shirts und Vinyl WhiteStripesfingerbiteSingles ein. Alles so schön rot und weiß. Der Abend brennt sich mir in Kopf, Herz und Magen geht da nicht mehr raus. Meine Vermutung hat sich bestätigt: die beiden sind etwas Besonderes. Allerdings sind meine Freundin und ich uns einig, dass sie uns auch ein klein wenig Angst machen. „Wenn er Jolene singt, denke ich immer, er bringt sie gleich um,“ sagt sie. Hinterher hilft Jack beim Abbau, drückt sich im Laden herum, schüttelt Hände und möchte von uns wissen, wie es uns gefallen hat. Meg versteckt sich.
Ein Jahr später erscheint das vierte Album „Elephant“ und ich zahle 80 Pfund, um die White Stripes in London live zu sehen. Der Freund, bei dem ich wohne, ruft erbost bei dem Ticketservice an, über den ich die Karten in Deutschland gekauft habe und möchte wissen, warum ich so viel bezahle – „for some obscure Band noone’s ever heard of“ – wo auf den Tickets doch etwas von 17 Pfund steht. Die Dame erklärt ihm geduldig am Telefon, dass das nunmal der aktuelle Marktpreis sei für Restkarten für ein Konzert, das seit Monaten ausverkauft ist. An diesem Tag fahren wir durch London und ich zeige ihm die überdimensionalen Plakate in der U-Bahn. Die White Stripes sind auf den obersten Stufen des Musikkosmos angekommen. In der Brixton Academy finden sich mehr als zehnmal so viele Menschen zusammen wie vor einem Jahr im Hamburger Logo. Die Stimmung ist extrem aufgeladen, die Masse tobt. Zwei Menschen auf dieser großen Bühne. Irgendwie wirken sie gleichzeitig klein und verdammt groß.
In London treffe ich auch eine Frau, die beim Videodreh zu „Dead Leaves And The Dirty Ground“ mitgewirkt hat und unglaubliches berichtet. „Der Regisseur (kein geringerer als Michel Gondry, Anm) war komplett wahnsinnig. Er hat uns in dieses Haus gesteckt und gesagt, nehmt es auseinander. Fernseher flogen aus dem Fenster, Leute warfen sich gegenseitig die Treppe hinunter. Die Verletzten wurden in den Garten getragen und dort auf dem Rasen aufgereiht.“ Als die Situation völlig außer Kontrolle geriet, soll Meg sich in einem Zimmer verbarrikadiert und geweigert haben, wieder herauszukommen. „Keine Ahnung, was daraus geworden ist.“ Sie hatte das fertige Video nie gesehen.
Weihnachten 2005 sitze ich bei meinen Eltern im Wohnzimmer mit der Live DVD „Under Blackpool Lights“. Ich bin schwanger und kann nicht schlafen und möchte mir etwas Gutes tun. Dummerweise funktioniert es nicht. Die Liveaufnahmen verstören mich. Diese Kraft! Diese Ernsthaftigkeit! Aber auch diese Wut! Plötzlich ist das alles zu viel für mich. Mein pränatales Sicherheitsbedürfnis wird in seinen Grundfesten erschüttert. Die komplette Schwangerschaft über kann ich die White Stripes nicht hören. Mir wird körperlich übel davon.

TheWhiteStripesWas Substanz hat kann man guten Gewissens eine Weile ruhen lassen, es verflüchtigt sich nicht.  Heute höre ich die White Stripes auf meinem iPod, was sich immer noch ein klein wenig wie Verrat anfühlt. Mein alter Plattenspieler hat den Umzug nicht überlebt und überhaupt sind MP3s so viel praktischer. Immerhin weiß ich bei jedem Album noch genau, an welcher Stelle ich einst aufgestanden bin um die Platte umzudrehen. Erst diese Woche fällt mir die Tourdokumentation „Under Great White Northern Lights“ in die Hände, und es fühlt sich an, als würde man eine Schachtel mit alten Fotos öffnen. Den einen Abend sehe ich, wie Meg und Jack nebeneinander am Klavier sitzen, er singt „White Moon“, sie weint, und meine Eingeweide krampfen sich unweigerlich zusammen. Am nächsten Tag geben die White Stripes, nach gut 4 Jahren Funkstille und wenig überraschend, offiziell ihre Auflösung bekannt. Das Timing mag kitschig klingen, aber genau so ist es passiert.
Ein Abschied von den White Stripes bedeutet in erster Linie einen Abschied von Meg White. Jack White ist schließlich eine der lebendigsten Figuren der derzeitigen Musikszene, und nichts läge mir ferner, als jedes seiner neuen Projekte mit den White Stripes zu vergleichen. Letztendlich ist die Trennung nur die logische Konsequenz: Die White Stripes haben von Anfang an betont, dass ihre gemeinsame Zeit begrenzt sei. Aber mein kleines, sentimentales Herz wird wahrscheinlich auf immer und ewig ein klein bisschen rot und weiß schlagen.

Blickt zurück ohne Zorn: Gabi Rudolph

2001: „I don’t think it’s going to be big like we’re going to play arenas or anything like that…“


2007: „Jolene“ beim Rock am Ring, mit 150.000 Besuchern eines der größten der Welt: