Zwei Gespräche, zwei Shows und ein Monat voller „Porzellan“.
Ende August treffe ich Tom Hessler auf dem Highfield, bei einem der wenigen Festival Auftritte der FOTOS in diesem Jahr. Anders als vor zwei Jahren, als FOTOS 2008 vom Festivalguide als die deutsche Band mit den meisten Festivalauftritten in einem Jahr gekürt wurden. „Eine unserer wenigen Chartplatzierungen an vorderster Front“, schmunzelt Deniz Erarslan einen Monat später, als wir bei gefüllten Paprikaschoten kurz vor dem Berlin Konzert in der Kantine der Volksbühne beim Interview sitzen und an das anknüpfen, worüber ich mit Tom beim Highfield gesprochen habe.
Da das Interview mit Tom Hessler recht kurzfristig angesetzt wurde, habe ich nicht mehr die Möglichkeit, „Porzellan“, das dritte Album der Band, vorab zu hören. (Anm.: „Porzellan“ erschien am 17. September) Also unterhalten wir uns erst einmal über die Umstände, die die Veröffentlichung des Albums begleiten und verabreden, zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal ausführlicher über „Porzellan“ zu sprechen.
„Das zweite Album war damals der totale Terror“, erzählt Tom. „Während der Produktion ist unser Label dicht gemacht worden, weshalb wir es schließlich auf dem Mutterschiff Major Label fertig stellen mussten, was wir eigentlich gar nicht wollten. Dementsprechend froh sind wir, dass wir das neue Album nun mit all den Blessuren, die wir aus der Zeit davon getragen haben, eigenständig herausbringen können, mit Freunden von uns, die Snowhite heißen.“
Die Geschichte ist schnell erzählt und inzwischen hinreichend bekannt: Während der Produktion des zweiten FOTOS Albums „Nach dem Goldrausch“ wurde das deutsche Mute Label dem Großkonzern EMI angegliedert und verlor dadurch seinen Independent-Status. Beim zweiten Gespräch umreisst Deniz die damalige Situation: „Das Label legte uns damals nahe, das Album noch vor der Schließung fertig zu stellen, innerhalb eines Monats. Das haben wir versucht, aber der Druck wurde dadurch so hoch, dass alles schief ging, was nur schief gehen konnte. Als der Veröffentlichungstermin sich näherte, brach bei Mute bereits alles zusammen. Die Leute, die mit uns an dem Projekt gearbeitet haben, wurden alle entlassen.“
Nach den letzten Konzerten zu „Nach dem Goldrausch“ zogen FOTOS sich erst einmal zurück, um sich die Wunden zu lecken und neue Kraft zu schöpfen. Man fühlte sich ausgebrannt. „Wir wussten, dass die Band kaputt geht, wenn wir so weitermachen“, sagt Deniz. Geplant war eine Auszeit von einem Jahr, aber bereits nach vier Monaten kamen von Tom die ersten Ideen für neue Songs, und man traf sich, um weiter zu arbeiten. Danach ging alles doch schneller als erwartet. In Bochum und Hamburg wurden die Songs zu „Porzellan“ aufgenommen, und wie sehr sie der Band am Herzen liegen, spürt man.
„’Porzellan‘ ist eigentlich ein Album-Album und hat keine richtigen Singles. Das wollten wir auch so, aber irgendwas muss man ja auskoppeln.“, erklärt Tom. Also holten FOTOS sich bei der Wahl der ersten Singleauskopplung Hilfe von anderen. Das komplette Album wurde an Radiostationen verschickt, die man um ihre Meinung bat. Gemeinsam mit Hagen Decker, der beim ersten Video Regie führen sollte, fiel die Wahl letztendlich auf „Mauer“.
Trotz der unleugbaren Stärke der Single geht das angestrebte Konzept jedoch voll auf. Schon beim ersten Hören entpuppt sich „Porzellan“ als eines dieser seltenen Alben, das einen vom ersten bis zum letzten Song gefangen nimmt. Aber, auch das wird sofort klar: Der Hase läuft schon etwas anders als bei den ersten beiden Alben. Düsterer ist „Porzellan“ geraten, kratzbürstiger, aber auch um einiges größer. Da wird der eine oder andere Fan der ersten Stunde ganz schön dran zu knabbern haben, denke ich.
Bei mir persönlich entwickelt „Porzellan“ eine regelrecht hypnotisierende Wirkung, die nach den ersten Malen hören nicht nachlässt, sondern sich eher noch verstärkt. Schwer zu sagen, welcher der 11 Songs jetzt eigentlich am stärksten ist. Ein „Album-Album“, ganz ohne Frage. Und ein verdammt gelungenes.
Einen Monat später habe ich die Gelegenheit, die neuen Songs live zu hören, einmal in der Großen Freiheit beim Reeperbahn Festival und nur einen Tag später beim Abschluss der Release-Tour im Roten Salon in Berlin. Dort treffe ich auch Deniz und Frieder, um meine restlichen Fragen loszuwerden. Die Sehnsucht des Publikums nach den älteren Stücken wie „Giganten“ oder „Nach dem Goldrausch“ ist bei den Shows deutlich zu spüren. „Porzellan“ ist erst vor zwei Wochen erschienen und mancher Fan kämpft offensichtlich noch mit dem etwas anderen Sound der Platte. Mich interessiert, ob die Band selbst den Bruch genau so stark wahr nimmt.
„Natürlich ist es ein Bruch“, sagt Frieder Weiss. „Für uns selbst ist er trotzdem weniger überraschend oder krass als für Außenstehende. Wir haben den Prozess ja direkt mitbekommen. Es gibt schon Anknüpfungspunkte, aber vom Sound her, mit Hall und Verzerrung auf allem, ist es natürlich das genaue Gegenteil zum letzten Album, das sehr auf Hochglanz produziert war.“ Und Deniz ergänzt: „Das Songwriting ist aber das selbe geblieben. Der Popgedanke steht nach wie vor im Vordergrund, die Songs haben alle einen klassischen Aufbau mit Strophen und Refrain. Es ist hauptsächlich das Klangkostüm, das sich verändert hat.“
Seinen Teil dazu beigetragen hat Produzent Olaf Opal, mit dem die FOTOS bei „Porzellan“ das erste Mal zusammengearbeitet haben. „Mit ihm hatten wir die Möglichkeit, unsere Ideen komplett durchzuziehen“, sagt Frieder. „Wir haben Räume gezielt als Instrument eingesetzt, zum Beispiel das Schlagzeug in einem leer stehenden Bunker in Hamburg aufgenommen. Das Tolle war, dass es diesmal nie darum ging, eine wilde Grundidee in ihre Dämme zu leiten, sondern das Pferd durfte weiter galoppieren.“
Kurz vor Beginn des Konzertes bahnen wir uns den Weg zurück durch die Katakomben der Volksbühne. „Das war jetzt erstmal unser letztes Interview“, sagt Frieder. Wie schön. Zum Glück sind meine Fragen damit auch alle beantwortet. Jetzt sind Fotos erst einmal sechs Wochen lang auf Tour durch Libyen, Indonesien, Bangladesh, Indien, Sri Lanka und Pakistan. Ich bin mir sicher, dass wir auch von dort von ihnen hören werden.
Interview: Gabi Rudolph
Live-Fotos beim Reeperbahnfestival : (c)Michaela Marmulla