Sion im Interview: „Sobald ich meine Musik für Publikum verändere, ist es nicht mehr meine Musik“

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Mit seiner neuen EP „eigensinn“ geht Sion mutige Schritte. Der in Bielefeld geborene und inzwischen in Seoul lebende Musiker verbindet Hyperpop-Energie mit persönlichen Beobachtungen über seine Generation, digitale Erschöpfung und Identität. Im Interview verrät uns Sion, warum dieser Release für ihn wie ein Neustart ist, welche Rolle Gaming und Popkultur in seinem Leben spielen und wieso ihn prominente Fans wie V von BTS oder Mark von NCT besonders bestärken.

Dein neues Projekt trägt den Titel „eigensinn“. Was bedeutet dieser Begriff für dich persönlich – und warum passt er zu dieser EP?

Dieses Album trägt viele meiner Gedanken über meine Generation und unsere digitale Interaktion. Was mir dabei am meisten aufgefallen ist: Uns fällt Kommunikation, vor allem echte Interaktion, sehr schwer. Ich wollte dem Album deshalb einen Namen geben, der dieses Gefühl meiner Generation am besten zusammenfasst.

Du sprichst über Themen wie digitale Erschöpfung, Identitätskrisen und Reizüberflutung. Als Teil der Gen Z: Sind das Beobachtungen aus deinem Umfeld oder auch eigene Erfahrungen?

Definitiv eigene Erfahrungen. Die Art und Weise, wie meine Generation fast ausschließlich für ihre Social-Media-Präsenz lebt, ist ziemlich erschöpfend. Es wirkt oft so, als hätten wir keine Kraft mehr für echte Interaktion, weil wir all unsere Energie in die digitale Welt stecken.

Welcher Song der EP bedeutet dir selbst am meisten – und warum?

Mein persönlicher Favorit ist “Avoid 2”, weil er meine Veränderung als Künstler am deutlichsten zeigt. Bisher war meine Musik eher minimalistisch und kalkuliert, während dieser Song sehr chaotisch und laut ist. Ich hatte unglaublich viel Spaß bei der Produktion – und die Release-Party hier in Seoul war dazu absolut crazy.

Dein Sound bewegt sich diesmal stark in Richtung Hyperpop und Indie-Elektro. Was hat dich zu diesem Stilwechsel inspiriert?

Bis zu “sociavoidance” war mir nicht richtig bewusst, welche Musik ich wirklich mag und machen will. Letztes Jahr habe ich jedoch viele Freunde in Japan gefunden. Die Art und Weise, wie sie Popmusik mit elektronischen Strukturen verbinden, hat mich begeistert – und es war das erste Mal, dass ich mit meiner eigenen Musik etwas sehr Spezifisches ausdrücken wollte.

Du hast mit „Love“ und „Live“ deine Fanbase aufgebaut und später „sociavoidance“ veröffentlicht. Inwiefern ist „eigensinn“ ein nächster Schritt? 

Einige meiner Fans werden diese Veränderung sicherlich nicht feiern. Ich würde sagen, dieses Album ist kein nächster, sondern ein neuer Schritt. Dennoch war es ein notwendiger Schritt, um mich als Künstler weiterzuentwickeln. Ehrlich gesagt habe ich etwas Angst, weil es sich wie ein kompletter Neustart anfühlt – aber ich bin sicher, dass ich auf dem richtigen Weg bin.

Welche Künstler oder Produzenten haben dich auf diesem Weg am meisten beeinflusst?

Ich habe viele Freunde in Japan, die wirklich interessante Musik machen – zum Beispiel das Duo Peterparker69. Sie haben mich wahrscheinlich am stärksten beeinflusst. Außerdem bleibt Porter Robinson eines meiner größten Idole, und Jane Remover inspiriert mich jedes Mal aufs Neue, wenn sie etwas veröffentlicht.

Welche Rolle spielen Gaming und Popkultur für dich – und wie stark prägen dich die Mode- und Kunstszene in Korea?

Vor allem Gaming ist meine größte Inspiration für Kunst und Musik. Meine gesamte Kindheit war von Nintendo, Playstation und Steam geprägt. Viele meiner Songs sind von Videospiel-Soundtracks beeinflusst, und auch heute gehe ich oft in PC-Cafés in Korea, um zu zocken. Mode ist mir ebenfalls wichtig, aber ich finde es entscheidend, dass Kleidung meinen Charakter unterstreicht und nicht verdeckt. Am Anfang hatte ich hier in Korea mehrere Stylisten, aber mein Charakter ist eher nerdy und ungezwungen – deshalb habe ich aktuell keinen Stylisten mehr. Selbst bei Konzerten halte ich meinen Stil bewusst minimal.

Du hast in der koreanischen Musikszene prominente Fans wie Mark von NCT oder V von BTS. Welche Bedeutung hat das für dich – auch in Bezug auf Selbstvertrauen und künstlerische Entwicklung?

Es gibt mir natürlich sehr viel Kraft und Selbstvertrauen – vor allem, weil meine Musik nicht unbedingt die zugänglichste ist. Wenn aber K-Pop-Ikonen wie Mark oder Taehyung ein Shoutout geben, fühlt es sich so an, als wäre ich auf dem richtigen Weg. Künstlerisch motiviert es mich, noch mehr “eigensinnig” zu bleiben und Musik zu machen, die mir selbst gefällt. Denn sobald ich sie für ein bestimmtes Publikum verändere, ist es nicht mehr meine Musik.

Du bist in Bielefeld geboren, lebst und arbeitest heute in Korea. Welche kulturellen Unterschiede prägen deine Musik?

Die Kultur hier hat zwar keinen direkten Einfluss auf meinen Sound, aber auf meine Arbeitsweise. Die “Hard-Work”-Mentalität in Korea hilft mir, Songs auch wirklich fertigzustellen und zu veröffentlichen – manchmal ist das allerdings auch sehr stressig.

Was hast du in Korea über dich selbst gelernt, das du in Deutschland vielleicht nicht entdeckt hättest?

Ich habe gemerkt, dass ich extrovertierter bin, als ich dachte. Es macht mir inzwischen richtig Spaß, andere Künstler zu treffen und mich mit ihnen auszutauschen. Früher hätte ich mich das gar nicht getraut.

Du hast 2020 bei The Voice of Germany teilgenommen. Was bedeutet dir dieser Startpunkt deiner Karriere rückblickend?

Ich bin sehr dankbar für diesen Startpunkt. Mein Label hat mich kontaktiert, nachdem sie meine Blind Audition auf YouTube gesehen hatten. Das gibt mir eine besondere Verbindung zu meiner deutschen Fanbase, und ich habe während dieser Zeit viel über die Industrie gelernt. Ich hatte großes Glück, meine Karriere dort starten zu können.

Deine Eltern haben dich sowohl zu The Voice als auch zum Umzug nach Korea ermutigt. Wie wichtig ist dir diese familiäre Unterstützung?

Ohne meine Eltern hätte ich mich gar nicht erst getraut, Popmusik zu machen. Alles, was ich hier in Korea und darüber hinaus erlebt habe, verdanke ich ihnen. Selbst jetzt, wenn ich Zweifel habe, geben sie mir die besten Ratschläge.

Im Dezember gehst du auf Europa-Tour. Worauf freust du dich bei den Konzerten in Deutschland und Europa am meisten?

Am meisten freue ich mich auf die Fans. Ich bin gespannt, wie stark die Energie und Atmosphäre mit den neuen Hyperpop-Songs sein wird. Ich bin mir sicher: Es wird abgehen.

Sion live:

07.12.2025 Köln, Yard Club

09.12.2025 Berlin, Kantine am Berghain

10.12.2025 Frankfurt am Main, Nachtleben

www.instagram.com/sionjung

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