King Princess: „Den Menschen durch Musik Freude zu bereiten, ist ein Akt der Rebellion“

Es ist ein sonniger Morgen in Berlin und King Princess, aka die US-amerikanische Singer-Songwriterin und Schauspielerin Mikaela Straus fühlt sich richtig gut. „Abgesehen davon, dass die Welt brennt“, fügt sie mit einem kurzen Lachen hinzu. Es sind interessante Zeiten für Straus, die Ende der 2010er-Jahre mit ihren explizit lesbischen Songs und ihrem offenen Umgang mit ihrer Homosexualität und Genderqueer-Identität erstmals eine treue queere Fangemeinde gewann. Straus veröffentlichte 2018 ihre EP „Make My Bed“ und die ersten beiden King-Princess-Alben „Cheap Queen“ (2019) und „Hold On Baby“ (2022) beim Columbia Records-Label Zelig unter der Leitung von Mark Ronson. Beide Alben erhielten begeisterte Kritiken und wurden für zahlreiche Auszeichnungen nominiert.

Seitdem ist viel passiert, was das dritte King Princess-Album „Girl Violence“, das am 12. September erscheint, stark beeinflusst hat. Die erst 26 Jahre alte Straus ist von L.A. nach Brooklyn gezogen, hat beim Indie-Label Section1 unterschrieben und komplexe Beziehungen und Trennungen gemeistert. Sie hat außerdem eine Schauspielkarriere gestartet, spielte an der Seite von Nicole Kidman in der Fernsehserie „Nine Perfect Strangers“ und gab ihr Filmdebüt in „Song Sung Blue“ mit Hugh Jackman. Es gibt viel zu erzählen. Unser Gespräch dreht sich auch um Veränderung und Wiedergeburt, warum „Girl Violence“ ein Album über „Lesbisches Leben auf professionellem Niveau“ ist und welche Rolle Kunst spielt, wenn die Welt gerade brennt.

Erzähl mir, wie dieses Album entstanden ist. Ich weiß, dass der Entstehungsprozess sehr anders war als bei deinen ersten beiden Alben.

Die Produktion von „Girl Violence“ war tatsächlich ähnlich wie bei meiner ersten EP, als ich noch keinen Vertrag hatte. Es war sehr familiär – ich habe das Album mit denselben zwei Leuten gemacht, daher war die Richtung schnell vorgegeben. Wir haben es im Studio von Grund auf als dreiköpfige Band aufgebaut. Es war ein sehr ruhiger, ziemlich bekiffter Prozess! (lacht)

Ich habe jetzt drei Alben gemacht und jedes Mal wird man ein bisschen besser. Oder zumindest lernt man, was funktioniert und was nicht. Ich habe wirklich versucht, dieses Album isoliert zu halten und nicht viel Feedback einzuholen, bis es fertig war. Es wird kompliziert, wenn man gerade dabei ist, etwas aus seinem Körper herauszulassen und die Leute sagen: „Aber warte, was wäre, wenn es so wäre –?“ Wir waren nur zu dritt und hatten das Gefühl, dass wir uns mit all diesen Teilen auf ein Großes Ganzes zubewegen, und dass es viel Zeit und Mühe kosten würde, bis wir dort waren, wo wir sein wollten.

Es ist wirklich ein ziemlich grooviges Album!

Ja, es hat ein düsteres und unheimliches Konzept, und das auf eine Weise, die sich schön und dynamisch anfühlt. Ich habe das Gefühl, dass ich beim Geschichtenerzählen nur dann effektiv bin, wenn ich es mit Leichtigkeit tue – ernst, aber auf humorvolle Weise – und das war mein Ziel.

Du hast gesagt, dass du mit „Girl Violence“ richtig stellen wolltest wie du wahrgenommen wirst und genau das Album gemacht hast, das du machen wolltest.

Ja! Ich bin ein Musikfreak und bin in einem Tonstudio aufgewachsen. Es ist mein „Happy Place“ und der Ort, an dem ich aufblühe. Es ist fast wie eine therapeutische Forschungseinrichtung für mich. Man untersucht jahrelanges das eigene Verhalten und das der anderen in diesen vier Wänden. Das war das Ziel – das Album so ehrlich, witzig und nachvollziehbar wie möglich zu machen. Wenn ich mit meinen Freunden über die Platte spreche, sagen sie mir, dass sie sich mit einzelnen Songs identifizieren können. Und ich weiß, sie werden ehrlich zu mir sein! Sie werden sagen: „Oh Gott, ich war so Cherry [ein fiktiver Erzfeind, den Straus für dieses Album geschaffen hat und der über verschiedene Social-Media-Konten Chaos und Zerstörung verbreitet] letzte Nacht!“ Oder „Ich habe ‘Girl Violence’ begangen.“ Es geht darum, dem einen Namen zu geben, was bereits existiert. Was für eine tolle Aufgabe für mich, etwas benennen zu können, das bereits da draußen ist und die Menschen betrifft.

„Für mich ist es, als hätte ich ein zusätzliches Geschenk bekommen. Künstlerin zu sein ist ein Geschenk, aber auch noch lesbisch zu sein ist einfach himmlisch!“

Der Titel ist großartig. „Girl“ kann so unseriös und herablassend verwendet werden, aber du sprichst so ehrlich über die Herausforderungen lesbischer Beziehungen. Bist du es leid, wenn man dich über deine Rolle als lesbische Künstlerin befragt? Ich bin selbst lesbisch und habe immer ein leicht schlechtes Gewissen, wenn ich die sexuelle Orientierung ins Spiel bringe. Aber sie scheint ein wesentlicher Aspekt von „Girl Violence“ zu sein.

Ich finde, queer zu sein ist ein großes Geschenk. Das sage ich seit meinem ersten Interview, als ich mit 19 darüber gesprochen habe was es bedeutet, eine queerer Künstlerin zu sein. Für mich ist es ein besonderes Geschenk. Künstlerin zu sein ist ein Geschenk, aber auch noch lesbisch zu sein ist einfach, ich meine, himmlisch!

Oder?!

Es ist aber auch schwer, queer zu sein. Queere Beziehungen sind auf eine einzigartige Weise kompliziert. Es ist nicht so, dass wir uns von Heterosexuellen unterscheiden, aber ich denke, lesbisch zu sein ist eine olympische Disziplin. Es ist nichts für schwache Nerven!

Meine Frau und ich sagen manchmal, dass Lesben viel heftiger streiten als heterosexuelle Paare oder sogar schwule Paare!

Absolut! Du streitest mit jemandem, der sich mit Gendertheorie auskennt! Das ist verdammt schwer!

Es ist eine interessante – und schwierige – Zeit für offen queere Künstler*innen. Wir haben Chappell Roan, aber ihr Werdegang ist nicht exemplarisch für die meisten LGBTQ+-Künstler*innen.

Es sind wirklich schwierige Zeiten. Amerika hat Homosexuelle noch nie unterstützt, wenn man die Geschichte betrachtet. Jetzt zeigt es sich wieder ganz offen: “Wir unterstützen euch nicht.” Wir haben aktuell eine der hasserfülltesten Regierungen, die es je gab. Aber man kann queere Menschen nicht loswerden, weil wir diejenigen sind, die die ganze Kunst machen!

„Charli xcx war ihrer Zeit voraus und ihre Stunde ist gekommen.Wenn ich mir die Karrieren von Künstler*innen anschaue, die ich bewundere, sind es normalerweise diejenigen, die über lange Zeit bestehen.”

Wenn ich deine Musik höre, frage ich mich: Warum bist du nicht noch viel erfolgreicher? Glaubst du, dass deine offene Art queer zu sein damit in Verbindung steht?

Ich habe mich geoutet, als Queersein gerade erst „trendy“ wurde. 2018 war die Szene noch ganz anders. Jetzt ist es irgendwie trendy und jeder will queer sein und einen schwulen oder lesbischen Song machen. Ich glaube, ich war einfach etwas zu früh dran. Ich wurde anders beäugt, als es heute der Fall wäre, glaube ich. Ich war 19 und wurde gefragt, was es bedeutet, queer zu sein, und gebeten, für die gesamte Queer-Community zu sprechen. Niemand sollte das tun, und niemand sollte mit 19 für andere sprechen. Ich war damals einfach nicht qualifiziert, darüber zu reden. Aber ich habe viel über die Branche gelernt und darüber, was es bedeutet, ein bisschen eine Vorreiterin zu sein. Jetzt bin ich 26 und habe das Gefühl, ich bin immer noch dabei, erwachsen zu werden. Meine Frontallappen haben sich gerade erst gebildet! ​​Ich denke, langsam und stetig gewinnt man das Rennen. Ich habe es nicht eilig. Die Welt wird aufholen. Charli xcx war ihrer Zeit voraus und ihre Stunde ist gekommen. Wenn ich mir die Karrieren von Künstler*innen anschaue, die ich bewundere, sind es normalerweise diejenigen, die über lange Zeit bestehen. Ich hoffe, ich kann das hier machen bis ich sterbe!

Ich habe gelesen, dass „Girl Violence“ die Platte ist, die du als 15-Jährige gebraucht hättest. Ich hätte diese Platte mit 15 definitiv geschätzt!

Ja, sie ist wie ein abschreckendes Beispiel. Ich denke, sie beschäftigt sich mit dem Lesbischsein auf Expertenniveau. Ich bin schon so lange lesbisch, es geht hier nicht mehr um Spaß! Wenn ich mich heute mit meinen Anfängen vergleiche, denke ich, dass ich jetzt das Recht habe zu sprechen. Ich habe meine Zeit abgesessen. Das Album ist die Geschichte von jemandem, der das Chaos liebt. Es ist meine Version von [Leonardo Di Caprios epischem Westerndrama von 2015] „The Revenant“.

Woher kommt „RIP KP“?

Dieser Song markiert den Beginn meiner „Girl Violence“-Reise: die Sexyness, der „Killed by Pussy“-Vibe. Er gibt den Anfang vor für den Rest der Geschichte. Ich wollte mich selbst aufgeben, um neu anzufangen. Es gab viele Wiedergeburten für mich – Umzüge, Labelwechsel, der Einstieg ins Indie-Geschäft. Wie ein kleines Blatt, das während all dem wächst!

„Ich schätze es, dass mein Label mir vertraut und meine Musik liebt. Das war für mich wirklich befreiend.“

Wie war der Wechsel zum Indie-Label für dich? Es gibt diese Legende, dass du mit 11 Jahren einen Major-Label Deal abgelehnt hast.

Haha, nein! Es ist schon komisch, wie sich die Dinge online verdrehen. Das ist nicht passiert! Mit elf hat mir niemand einen Plattenvertrag angeboten. Aber es gab Interesse an mir, als ich noch ein Teenager war und ich konnte die Grundlagen für das legen, was ich später wollte. Ich bin in einem Studio aufgewachsen [Strauss’ Vater war ein erfolgreicher Toningenieur] und habe gesehen, wie Verträge unterschrieben und dann wieder auf Eis gelegt wurden oder unterschrieben wurden, es lief gut und dann hat sich das Blatt doch wieder geändert. Ich konnte die Auswirkungen des Systems auf Künstler beobachten, daher hatte ich definitiv ein realistischeres Verständnis davon, was es bedeutet, einen Vertrag zu unterschreiben.

Als ich anfing, war die Idee eines Indie-Labels ganz anders als heute. Heute sind wahrscheinlich die größten Künstler*innen der Welt bei Indie-Labels unter Vertrag. Ich denke, mein Werdegang ist stark vom Wandel der Branche geprägt und davon, dass Labels nicht mehr über Geschmack oder Inhalte entscheiden. Sie sind eher Unternehmen als kreative Kooperativen. Entweder man passt in diese Struktur und spielt mit, oder man tut es nicht. Ich war an einem Umfeld interessiert, in dem die Kunst an erster Stelle steht. Ich bin ehrgeizig genug. Ich weiß, was ich will, und ich verstehe das Geschäft. Ich schätze es, dass mein Label mir vertraut und meine Musik liebt. Das war für mich wirklich befreiend.

Du hast vor Kurzem eine Schauspielkarriere gestartet. Wie wirkt sich das auf deine Musikkarriere aus und umgekehrt?

Sowohl in der Musik als auch in der Schauspielerei geht es darum, den eigenen Körper als Medium zum Geschichtenerzählen zu nutzen. Schauspielerei fühlt sich an, als würde man einen anderen Muskel trainieren. Ich bin etwas weniger preziös und ehrlicher geworden, was meine Darstellung angeht, nachdem ich vor der Kamera gestanden und mich mit anderen Charakteren auseinandergesetzt habe. Es ist alles symbiotisch, und ich schätze mich sehr glücklich, verschiedene Medien erkunden und sie auf meine große Liebe, die Musik, übertragen zu können. Aber ich liebe die Schauspielerei! Ich habe definitiv Blut geleckt!

Es scheint, als würde es dir gerade richtig gut gehen.

Ja, ich fühle mich ziemlich gut. Ich bin sehr dankbar für dieses Leben, in dem ich ständig Kunst machen kann. Ich habe wirklich tolle Freunde und eine tolle Familie und es gibt nicht viel zu meckern. Davon mal abgesehen brennt die Welt. (lacht).

„Ich denke, Menschen durch Musik Freude zu bereiten, ist eine Form der Rebellion.“

Nach Glastonbury gab es viele Diskussionen über Politik und die richtige Art, in der Kunst darauf zu reagieren.

Ich denke, Menschen durch Musik Freude zu bereiten, ist eine Form der Rebellion. Ich denke, politische Statements abzugeben, ist eine Form der Rebellion. Es gibt nicht den einen richtigen Weg. Es müssen viele Teile zusammen kommen. Unter Künstler*innen tolerieren wir keine Engstirnigkeit. Kunst sollte die Menschen nicht spalten. Sie ist ein Ort, an dem man zusammenkommt, Freude hat und Empathie empfindet. Es herrscht derzeit ein gravierender Mangel an Empathie auf der Welt. Ich denke, Kunst hat die Kraft, Menschen zusammenzubringen, und Künstler*innen wissen, wann der richtige Zeitpunkt ist, ein Statement abzugeben, auf welche Weise auch immer. Sei taktvoll, sei kreativ und nimm dir Zeit und Sorgfalt in dem, was du sagst und tust. Das ist mein Ansatz. Wenn ich einen Ort schaffen kann, an dem queere Menschen zusammenkommen, tanzen, feiern, mitsingen, weinen und Leute treffen können, dann habe ich meinen Job gemacht.

Meine Musik in den physischen Raum zu bringen und eine Verbindung zum Publikum aufzubauen, ist mir sehr wichtig. Ich fühle mich am wohlsten, wenn ich live spiele. Es entsteht dabei eine enorme Energie, und ich profitiere genauso davon wie das Publikum. Ich habe so viele unglaubliche Momente auf der Bühne und im Publikum erlebt. Darüber bin ich sehr glücklich. Ich habe ganz besondere, lustige, witzige und coole Fans, von denen ich viel lernen kann.

„Girl Violence“ erscheint am 12. September 2025 auf Section1.

King Princess wird im Dezember ein exklusives Deutschlandkonzert in Berlin spielen. Weitere Infos findet ihr hier.

Das Interview ist ursprünglich auf Englisch erschienen und wurde ins Deutsche übersetzt. Das Original lest ihr hier.

www.kingprincessmusic.com