Sinead O‘ Brien lädt mich an einem Freitag Abend zu sich nach Hause ein. Gut, nur virtuell über Zoom, aber da Berlin zu diesem Zeitpunkt noch im Lockdown plus Ausgangssperre ist, ist so ein Interviewtermin um neun Uhr Abends fast schon ein soziales Highlight – besonders, wenn meine Gesprächspartnerin sich weit von mir entfernt in London befindet. Ich mache mir also eine Tasse Tee (ganz schön wild, ich weiß) und wir verbringen die nächste Dreiviertelstunde damit, uns sehr nett zu unterhalten.
Wer Sinead O‘ Brien noch nicht kennt: Sie kommt aus Irland und ist Musikerin, Poetin und Modedesignerin. Als letztere arbeitet sie für Vivien Westwood, in den letzten Jahren hat sie außerdem zunehmend mit ihrer Musik auf sich aufmerksam gemacht, in der Spoken Word auf Punk, Haltung auf Poesie trifft. Sie hat eine Reihe von Singles und 2020 ihre EP „Drowning in Blessings“ veröffentlicht. Wie sie mir im Gespräch erzählen wird, nutzt sie für ihre kreative Arbeit sowohl strikte Routine als auch spontane Eingebungen – eine Mischung, die sie definitiv auf den richtigen Weg gebracht hat.
Inspiration ist das magische Stichwort. Wir reden viel über Poesie, über Schreibtechniken und die Vorzüge der bereits genannten Routine. Tatsächlich muss ich mich bei Sinead O‘ Brien bedanken, denn sie hat mich dazu inspiriert, mich selbst wieder meinem kreativen Schreiben zu widmen. Falls ihr also auch ein wenig Inspiration gebrauchen könnt, lest, was sie dazu zu sagen hat. Und hört euch natürlich ihre Musik an, sie ist sehr einnehmend und besonders. Die perfekte Frage für dieses Interview hat mir eine Freundin an die Hand gegeben: Warum bist du so toll, Sinead?
Du siehst großartig aus!
Danke! Ich habe gerade ein Nickerchen gemacht (lacht). Wegen letzter Nacht. Ich habe ein paar Freunde im Pub getroffen und na ja, es hängt einem mehr nach als früher. Ich habe während dem Lockdown nicht sehr viel getrunken. Ehrlich gesagt interessiere ich mich nicht besonders fürs Trinken. Nur ab und zu mal einen.
Das ist irgendwie eine typische Lockdown Entscheidung, oder? Man trinkt entweder gar nichts oder mehr als früher.
Viele Leute trinken viel, viel mehr. Bei mir ist das wie wenn ich zu viel Kaffee trinke. Man muss irgendwie wissen wohin damit. Wenn man draußen unterwegs ist ist es okay, weil es dann einen Weg aus deinem Körper raus findet und du es los lassen kannst. Hingegen wenn du zuhause bist… ich weiß auch nicht, es fühlt sich einfach falsch an.
Nun, ich sitze hier mit einer Tasse Tee. Eine Freundin hat mich schon aufgezogen als ich ihr erzählt habe, wann wir beide miteinander sprechen. Sie meinte: wirst du es schaffen, für dein Drei-Uhr-Morgens-Interview wach zu bleiben? So fühle ich mich, wenn ich abends einen Termin habe.
Drei Uhr Morgens, das gefällt mir. Irgendwann möchte ich mal ein Drei-Uhr-Morgens-Interview machen.
Aber, ich habe es geschafft wach zu bleiben, und ich habe mir die Zeit damit vertrieben, mir deine SXSW Performance anzusehen.
Oh, super.
Das hat mich daran erinnert, wie schockiert ich war, als SXSW letztes Jahr abgesagt wurde. Es war eins der ersten großen Events, das wegen Corona abgesagt wurde. Es ist für so viele Künstler*innen so eine wichtige Veranstaltung.
Ja, genau. Als es abgesagt wurde, war ich noch nicht eingeladen. Wir sind erst kurz vor Weihnachten eingeladen worden zu spielen, das war alles ziemlich Last Minute. Und ich dachte: oh, ich werde SXSW spielen, aber ich werde nicht nach Austin fahren. Verdammt… das ist doch das was ich will, ich will nach Austin fahren! Ich hoffe dass wir fahren können, wenn es wieder geht. Sie meinten, es wirkt sich nicht negativ auf die Chancen aus noch einmal zu spielen, im Gegenteil, es ist sogar wahrscheinlicher. Das sind schon mal gute Neuigkeiten. Aber den Auftritt aufzuzeichnen hat Spaß gemacht. Die Crew war wahnsinnig nett. Sie haben uns unseren Mix hören lassen, man war irgendwie Teil von dem Ganzen. Man hatte nicht das Gefühl, dass jemand alles macht und du selbst weißt gar nicht, was gerade passiert. Na ja, ich bin immer so. Ich stelle immer jede nur mögliche Frage (lacht).
Deine Band und du, ihr habt gewirkt, als würdet ihr euch wohlfühlen. Ich stelle es mir so seltsam vor, ohne Publikum zu spielen.
Es sind ja immer ein paar Leute da. Die Crew ist da. Alle waren so lustig. Ich habe mal einen Livestream gemacht, wo wirklich niemand anderes im Raum war. Alle waren in getrennten Räumen. Das war so seltsam. Ich glaube, wenn du einen Punkt im Raum fixierst sieht das anders aus, als wenn du eine andere Person ansiehst. Man sieht es im Gesicht, an den Augen. Ich möchte nie wieder für eine Wand spielen (lacht). Ich meine, ich glaube es kommt drauf an. Wenn es eine schöne Produktion mit ein bisschen Budget ist, dann kann es auch toll sein. Aber manchmal gibt es gar nichts, du sollst alles selber machen, und es ist einfach nur ein Video, das man Zuhause aufnimmt. Das ist nicht so mein Ding. Am Anfang vom Lockdown gab es diese Anfragen, ein Konzert Zuhause mit dem Handy für Instagram Live aufzunehmen. Und ich dachte: mein Schlafzimmer, da hängen überall meine Kleider! Wie kann das eine gute Atmosphäre für ein Konzert hergeben? Ich habe nicht mitgemacht. Ich war ziemlich anti (lacht).
Eine Freundin von mir ist großer Fan von dir und deiner Musik. Ich habe sie gefragt, was sie dich fragen würde, und sie meinte nur: Warum bist du so toll?
(lacht) Warum? Ich sage einfach meine Wahrheit. Ohhh. Das ist so lieb.
Dann lass mich die Frage so formulieren, dass du sie besser beantworten kannst. Was sind die Momente, in denen du dich selber richtig toll fühlst?
Ich fühle mich sehr gut bei dem was ich mache, wenn ich das Gefühl habe, es ist ehrlich. Wenn ich nicht zu viel Arbeit hinein stecken muss etwas zu konstruieren, wenn es einfach raus kommt und ich es nur noch in Form bringen muss, aber ganz leicht, ganz mühelos. Wenn es einfach passiert und sich ganz organisch anfühlt. Das ist das ultimative Gefühl. Etwas kommt, und ich kriege es genau richtig nach außen. Die richtigen Worte, der richtige Sound, die richtige Stimmung, der richtige Tenor. Und am Ende verstehen die Leute genau das was ich sagen wollte und spiegeln es mir zurück. Wenn Klarheit herrscht und ein authentischer Prozess. Das ist für mich das beste Gefühl auf der Welt. Aber so ist es nicht immer. Manchmal ist es harte Arbeit, und das ist auch okay. Aber ich glaube an tägliche Arbeit. Mach einfach jeden Tag deine Arbeit. Dann kommt mehr Gutes dabei raus. Ich bin nicht zu hart mit mir selbst an den Tagen, an denen es nicht so läuft wie ich es mir wünsche, ich glaube, das gehört einfach dazu. Du musst dich der Sache hingeben und akzeptieren, dass es Höhen und Tiefen gibt. Wenn ich jeden Tag schreibe, dann kommt beim vierten Mal etwas dabei raus, womit ich richtig zufrieden bin. Aber das ist auch glücklicher Zufall. Während dem Lockdown habe ich die Disziplin gefunden, mich jeden Morgen an den Schreibtisch zu setzen. Wenn ich mich losreißen muss weil ich arbeiten gehen muss, was ich immer noch tue, lohnt es sich trotzdem. Aber es ist nicht leicht.
Du arbeitest also mit Routine, jeden Tag?
Oh Gott ja, ich liebe Routine. Ich finde sie ist so gesund für das Gehirn. Ich bin sehr organisiert wenn es darum geht, Dinge zu kategorisieren und zu sortieren, dadurch fühle ich mich frei. Struktur gibt mir Freiheit. Wirklich, ich fühle mich am freisten, wenn ich mir Strukturen auferlege. Das Gute an Routine ist, sie ist wie Training. Wenn du dich jeden Tag an deinen Schreibtisch setzt, dann erwartest du nicht, dass du jeden Tag deine beste Arbeit leistest, du erwartest in erster Linie von dir, dass du dich ran setzt und dein Ding machst. Alleine wenn du an dich glaubst und daran, dass du weiter machst, das hat schon etwas Gutes. Wenn ich ein oder zwei Wochen lang nichts geschrieben habe und ich denke verdammt, ich muss dringend etwas schreiben, und wenn ich dann erwarte, dass es jetzt richtig gut werden muss, dann würde ich mir furchtbar Druck machen. Es geht immer darum, in den Flow zu kommen. Das ist es, wonach ich immer suche. Ich glaube, ich verbringe inzwischen mehr Zeit in dem Zustand als nicht, weil ich meine Voraussetzungen kenne. Ich weiß, was ich tun muss, um ihn zu erreichen. Aber manchmal muss man die Routine auch über Bord werfen und etwas Spontanes passieren lassen. Auch das ist Inspiration. Das untergräbt die Routine nicht. Weil auch das mich an den Schreibtisch zieht, an den richtigen Ort um es rauszulassen, wenn es kommt. Ich glaube, für mich funktioniert das ziemlich idiotensicher. Und es bedeutet auch, dass man das Schreiben ernst nimmt.
Du hast die Frage ja quasi schon beantwortet. Ich nehme an, dass du immer mit Worten anfängst, wenn du Musik schreibst?
Ja. Ich habe ein dutzend Notizbücher, jedes für einen anderen Zweck. Ich habe eins, in das ich nur Blödsinn schreibe. Nur das. Es dient nicht der Inspiration, es hat keinen tieferen Sinn. Es ist nur dazu da, um den Mist loszuwerden (lacht). Wirklich, das ist eine super Idee! Du musst es nie wieder durchblättern, nie wieder lesen. Das ist wie Detoxing. Dann, meistens am Morgen, wenn ich meinen ersten Kaffee trinke, setze ich mich an meinen Schreibtisch, der nur wenige Meter von meinem Bett entfernt ist (lacht). Aber es fühlt sich an wie ein anderer Ort, weil ich von dort aus dem Fenster und auf die Straße blicke. Ich fange mit dem Datum an und schreibe das erste auf, das mir in den Sinn kommt. Ich denke vorher nicht darüber nach, was ich am Morgen schreiben werde. Ich schreibe einfach irgendetwas. Manchmal brauche ich Musik, manchmal Stille, um die Form zu fühlen von dem, was ich schreibe. Und ich versuche immer, etwas zu Ende zu bringen. Ich höre nicht auf, wenn ich müde bin oder keine Lust mehr habe. Das habe ich früher gemacht, aber jetzt gehe ich so lange drüber, bis ich das Gefühl habe, es ist fertig. Und ich versuche, das möglichst in einer Sitzung zu tun. Weil ich festgestellt habe, dass dabei meine besten Sachen rauskommen. Sie kommen raus, und ich muss sie nur noch in Form bringen.
Und wann kommt die Musik dazu? Und kommt sie immer dazu? Oder gibt es viele Worte, die nie vertont werden?
Inzwischen gibt es so viele Worte, die Jungs kommen nicht mehr hinterher (lacht). Das ist gut, es bedeutet ich kann auswählen, was wir für einen Song benutzen. Ich kann heute viel wählerischer sein als früher, weil ich durch meine Morgen-Sessions viel zusätzliche Zeit gewinne. Es wird immer Worte geben, aber für dieses Projekt wird es auch immer Musik geben. Ich habe früher meine Gedichte in verschiedenen Settings gelesen, aber das hat sich nie so aufregend angefühlt. Ich liebe diesen Kontext wirklich. Durch die Musik werden noch einmal ganz andere Sinne angeregt. Dadurch bleibe ich interessiert, ich liebe es und es inspiriert mich. Das bedeutet Musik für mich. Sie ist eine Kraft, die ich nicht vollständig kontrollieren kann. Ich kann sie leiten, aber gleichzeitig ist auch eine gewisse Gefahr dabei. Es fühlt sich immer sehr elektrisch und interessant für mich an.
Und dann der nächste Schritt: die Performance. Wie du deine Texte rezitierst, wie du performst und dich kleidest, das ist alles sehr besonders. Was bedeutet es für dich, mit deiner Musik nach draußen zu gehen, besonders auch als Frau?
Das ist eine schwere Frage. Zum Glück habe ich, soweit ich mich erinnern kann, noch keine schlechten Erfahrungen als Frau in der Musikindustrie gemacht. Ich meine, ich könnte mich darüber beschweren, dass ich nicht weit genug nach oben in den Festival Line-Ups komme. Das stimmt. Das ist ein großes Problem und das nicht nur für mich, sondern für alle Frauen im Musikgeschäft. Das Komischste was mir mal passiert ist, ist dass jemand zu mir meinte: Du hast keine Zeit mehr Soundcheck zu machen und dich umzuziehen, was von beiden würdest du lieber machen? Und ich meinte: Danke, ich ziehe mir mein Kleid an und mache dann Soundcheck (lacht). Manchmal musst du die Kontrolle übernehmen, und ich kann sehr gut für mich selber einstehen. Aber die Festivals, das ist wirklich ein Problem. Und es passiert dieses Jahr schon wieder. Es ist so ermüdend! Ständig die gleichen alten Bands ganz oben im Line-Up zu sehen, wie anstrengend. Als neue, junge Künstlerin musst du gesehen werden, du brauchst Unterstützung und Sichtbarkeit. Nur so machst du Karriere. Diese ganzen Typen, die haben schon eine Karriere! Es könnte so einfach sein. Aber man hört immer wieder die gleichen Entschuldigungen: Es gibt zu wenig Frauen, die auf dem Level sind. Sie werden das Level aber nicht erreichen, wenn man ihnen nicht die nächst größte Bühne gibt. Man spielt nicht einen Tag in einer schmuddeligen Kneipe in Dalston und den nächsten auf der Hauptbühne. Ich meine, ich kann das machen (lacht). Ich fühle mich ehrlich gesagt sehr wohl auf größeren Bühnen, ich fühle mich sogar viel besser. Man lernt, die Rolle auszufüllen. Du musst sie einfach ausfüllen. Ich mag so etwas. Ich sage ja, und dann lasse ich die Dinge passieren.
Hast du im letzten Jahr auch eine Veränderung darin gemerkt, worüber du schreibst?
Ja, auf jeden Fall. Okay, inhaltlich weiß ich es noch nicht. Ich glaube, inhaltlich wird sich bei mir alles immer um Dinge drehen, die mich interessieren. Es ist schwierig, einen Überblick über den Inhalt zu haben, wenn man erst relativ kurz dabei ist. Ich denke es wird ein paar Jahre dauern, bis ich zurückblicken und sehen kann, wie alles miteinander Sinn macht. Die Sachen die ich schreibe ändern sich definitiv. Aber das liegt daran, wie gewissenhaft ich mich jeden Tag an den Schreibtisch setze. Früher habe ich im Bus oder in der Bahn auf dem Weg zur Arbeit geschrieben, in der Mittagspause habe ich Interviews gegeben… das hat sich alles geändert. Meine Arbeit hat sich geändert. Diese Stunden möchte ich nicht wieder hergeben. Ich möchte so weitermachen, so lange es möglich ist. Meine gesamte freie Zeit gehört dem Schreiben.
Unser Interview mit Sinead O’Brien könnt ihr hier auch auf Englisch lesen.
Foto © Wanda Martin