„The Power of our Diversity unites us“ steht groß über der Hauptbühne des SZIGET Festivals – der Bühne, auf der in den vergangenen Tagen internationale Acts wie Ed Sheeran, The 1975, Post Malone, The National, Florence + the Machine und die Foo Fighters sich die Ehre gegeben haben. Das SZIGET Festival fand dieses Jahr zum 27. Mal in Folge in Budapest statt und ist inzwischen das fünftgrößte Festival der Welt. Und während Ungarn als Land sich immer mehr abschottet, öffnet das SZIGET Festival, ganz nach dem über der Mainstage zu lesenden Leitspruch, umso weiter seine Arme.
Mehr als 530.000 Menschen aus über 100 Ländern versammelten sich dieses Jahr auf der „Isle of Freedom“. Vielleicht ist diese Vielfalt der Grund dafür, dass man sofort so ein erhabenes, internationales Gefühl verspürt, wenn man per Brücke über die Donau auf das Gelände zuschreitet. Dass das SZIGET Festival mitten in der Stadt, aber auf einer Insel stattfindet („sziget“ heißt nämlich „Insel“ auf ungarisch, wie wir vor drei Jahren erfahren durften, als wir uns auf dem Weg nach der richtigen „Sziget“ ordentlich verlaufen haben) verstärkt den Eindruck einer Parallelgesellschaft zusätzlich. Und zwar eine, bei der Liebe, Spaß und Miteinander Priorität haben. Über allem liegt der Geist der Suche nach einer besseren Welt. Und auch in diesem Jahr fällt es wieder auf: trotz so vieler Menschen unterschiedlicher Herkunft (oder vielleicht gerade deshalb?) ist das SZIGET ein sehr friedliches Festival. Die Stimmung ist die meiste Zeit über entspannt, und wenn es einem um die großen Bühnen herum vor lauter feierfreudigen Menschen zu eng wird, gibt es viele ruhigere Ecken, in die man sich zurückziehen kann. Dabei besticht das SZIGET jedes Jahr mit seinem außergewöhnlich schön gestalteten Gelände. Überall hängen Lichter und Lampions in den Bäumen, an der Europe Stage kann man in Hängematten entspannen und verpasst trotzdem nichts vom Programm. Der SZIGET Beach macht seinem Namen alle Ehre und verfügt über einen Zugang ins flache Ufer der Donau, wo man sich in einem abgetrennten Bereich des Flusses erfrischen kann – wenn man erst einmal den strengen Toilettengeruch hinter sich gebracht hat, der am Eingang zum Beach-Bereich lauert, ist es dort ganz schön gemütlich.
Und natürlich ist das SZIGET auch programmtechnisch nahezu einzigartig. Eine Woche lang dauert der Spaß, und man könnte sich fast rund um die Uhr beschäftigen. Das Party-Programm geht bis in die frühen Morgenstunden, ab Mittags stehen schon wieder Workshops und die ersten Konzerte an. Eine Runde Yoga oder Bauchtanz nach einer durchzechten Partynacht? Hier ist theoretisch alles möglich – man muss nur unter Umständen etwas tapfer mit dem Wetter sein.
Als wir vor drei Jahren beim SZIGET waren, wurden wir direkt am ersten Abend von heftigen Regengüssen überrascht und sind nachts völlig durchnässt zu unserem Apartment geschlottert. Dieses Jahr gab es Momente, in denen wir uns die ein oder andere Regenwolke sehnlichst gewünscht hätten. Schon damals hatte man uns darüber aufgeklärt, dass es um die Jahreszeit eigentlich heißer in Budapest ist. Was das genau bedeutet, davon können wir uns diesmal gut ein Bild machen. Tatsächlich ist es zeitweise so heiß, dass man es auf dem Festivalgelände vor den Bühnen kaum aushalten kann. Ein Glück, dass es Rückzugsmöglichkeiten im Schatten und den SZIGET Beach gibt. Aber auch vor der Hauptbühne sorgen die Veranstalter zum Glück zumindest tagsüber für ein wenig Abhilfe. Zwei große Wasserkanonen pusten erfrischenden Sprühnebel über die Menge, dem wir begeistert nachjagen, während Mura Masa uns mit seiner Show zum Tanzen bringt. Der unscheinbare Musik-Nerd verschwindet dabei fast vollständig hinter seinen Aufbauten aus Schlagzeug, Keyboards und Gitarren und überlasst das Rampenlicht vor allem seinen zwei Sängerinnen, die mit Power, Stimmgewalt und akrobatischen Tanzeinlagen die Menge anheizen. Nur schade, dass sich das Konzept nach einer Weile ein bisschen erschöpft und am Ende die meisten Songs ein wenig gleich klingen.
Insgesamt fällt uns dieses Jahr stärker auf denn je: so langsam heben wir ein bisschen den Altersdurchschnitt an. Und das macht sich auch bemerkbar bei den Acts, die beim Publikum den größten Zuspruch finden. Während es bei Macklemore vor der Hauptbühne so voll wird, dass man selbst weit an den Seiten kaum durch die Menge kommt, sind kurz vor dem Headliner Auftritt von The National gefühlt die meisten verschwunden. Nein, ganz so schlimm ist es natürlich doch nicht und wir sind auch nicht undankbar, dass wir überraschend einen guten Platz vor der Bühne finden und dabei nicht Körper an Körper stehen müssen – was bei den Temperaturen eine echte Herausforderung ist, wie wir später noch bei Florence + The Machine feststellen dürfen. Der Auftritt ist dafür umso beglückender, denn es wird weniger melancholisch als erwartet. Matt Berninger ist geradezu überschwänglich euphorisch angesichts der ihm entgegengebrachten Liebe. Auf dem Bauch liegend reißt er sich förmlich den Arm aus, um Blumenkränze entgegen zu nehmen oder in ein Buch zu schreiben. Er lässt sich vom Publikum tragen und genießt es sichtbar.
Das Besondere am SZIGET Festival ist letztendlich auch sein wahrlich eklektisches Programm. Da ist, um es ganz cheesy zu sagen, „für jeden Geschmack etwas dabei“. Aber die jüngere Generation ist eindeutig leichter mit elektronischen Acts aus dem Zelt zu locken. Das zeigt sich auch ganz deutlich beim Headliner Auftritt von Post Malone am Samstag Abend, der mit seiner One-Man-Cloud-Rap-Show für wahre Begeisterungsstürme bei den Massen sorgt. Wir lehnen derweil an einem Baum im Schatten und versuchen das Ganze auf uns wirken zu lassen. Ist das jetzt ein Junge-Leute-Phänomen? Es wird gesprungen und mitgegrölt was das Zeug hält. Schon beeindruckend, wie der Amerikaner im völligen Alleingang die Massen in der Hand hat. Aber irgendwie… werden wir vielleicht doch langsam alt? Wir sind uns einig, es fehlt uns leider komplett der Zugang.
Wie sich das für ein paar echte Oldies gehört, blüht unser Herz jedesmal auf, wenn auf der Bühne in die Gitarrensaiten gehauen wird. Catfish & The Bottlemen zum Beispiel liefern am Sonntag auf der Hauptstage eine solide Rockshow, die zwar nicht überrascht aber doch beeindruckt, vor allem wenn man bedenkt, dass wir die jungen Herren einst im Berliner Miniclub Comet live erlebt haben. Frontmann Van McCann wirkt immer noch etwas schweigsam zurückhaltend, dennoch haben die Waliser kein Problem, die große Bühne zu füllen. Bei ihnen sieht man auch ganz deutlich dass nicht nur wir im Publikum wie die Wahnsinnigen schwitzen. Mitten in der Menge fühlt es sich inzwischen an wie im Backofen. Auf dem Gelände sieht man immer mehr Menschen mit Mundschutz oder Banditentüchern über dem Gesicht, der Staub wirbelt vom trockenen Boden auf und liegt zunehmend wie eine Glocke über allem.
König des Schweißes und der Herzen ist aber eindeutig unser geliebter Landsmann Bosse. Sein T-Shirt ist schon beim ersten Song am Rande seiner Kapazität, was die Aufnahme von Flüssigkeit angeht. Doch selbst bei 36 Grad in der prallen Sonne lässt sich niemand vor der Europe Stage vom Hüpfen abhalten. Vom Mitsingen sowieso nicht. So niedlich seine Moderationen auf Englisch sind, nötig sind sie nicht. Die allermeisten hier sind eh Fans von Zuhause und helfen gern auch bei Textlücken aus. Florence Welch hingehen scheinen die tropischen Temperaturen wenig anzuhaben. Schwitzt diese Frau denn gar nicht? Überirdisch schön ist ihre Performance mal wieder. Gut, das traditionelle Umarmen von Unbekannten kostet Überwindung bei all dem Schweiß, aber zugeworfene Luftküsschen und die Beteuerung, dass man sich liebt, reichen an diesem Abend auch. Und während wir uns, eingekeilt zwischen tausenden von Florence-Jüngern wie wahre Helden fühlen, weil wir den menschlichen Backofen bis zum Schluss nicht verlassen, geht sie selbst auch noch ohne mit der Wimper zu zucken in Vollkontakt mit dem Publikum. Diese Frau ist einfach nicht von dieser Welt!
Es hätte noch so viel mehr zu sehen gegeben, aber manchmal hat die Hitze uns dann doch sehr zugesetzt. Dem ursprünglich wirklich ausgeprägten Willen einen Bauchtanz-Workshop zu besuchen, können wir zum Beispiel hoffentlich nächstes Mal nachkommen. Ein großes Daumen-Hoch an dieser Stelle aber an die SZIGET Organisatoren, die mit günstigen Getränkepreisen und Wasserstationen dafür gesorgt haben, dass wir einigermaßen durchhalten konnten. Und mit seinem vielseitigen und vor allem extrem hochkarätigen Line-Up (alleine die Foo Fighters als Headliner zu gewinnen ist für sich schon preisverdächtig) hat das SZIGET wieder einmal bewiesen, dass es bei den internationalen Festivals ganz weit vorne mitspielt. Der größte Wermutstropfen war für uns, dass Broken Social Scene ihren Auftritt am Montag Abend absagen mussten. Das SZIGET wäre das perfekte Festival für die kanadische Band gewesen – ein weltoffener, freundlicher Ort der Begegnung, des Austauschs, der Liebe und der Musik.
Fotos und Bericht: Gabi Rudolph & Katja Mentzel