Am vergangenen Freitag war es mal wieder soweit. In der ARD hat man in einer großen Live-Show den deutschen Vertreter für den diesjährigen Eurovision Song Contest in Israel gesucht und nach zweieinhalb Stunden schließlich auch gefunden. Barbara Schöneberger führte zusammen mit Tagesschausprecherin Linda Zervakis durch den Abend. Nach der eher langweiligen Kombination des Vorjahres (Elton und Linda), setzte man nun auf die Allzweck-Waffe Schöneberger. Sie eröffnete die Show am Klavier zu der uns allen bekannten Melodie von „You Let Me Walk Alone” – der Song, mit dem uns Michael Schulte im Mai 2018 in Lissabon aus der ESC-Misere führte. Beim Refrain schwenkte die Kamera um und Michael Schulte gab noch einmal den Song zum Besten, der für ihn so einiges verändert hat. Ihm wurde dieses Jahr obendrein die Ehre zuteil, zusammen mit ESC-Urgestein Peter Urban den diesjährigen Vorentscheid zu kommentieren, was er sehr souverän gemacht hat. Nach ein paar eher mauen Gags des Moderatoren-Duos wurde das Voting System in „Sendung mit der Maus“-Manier vorgestellt und dann war auch endlich der erste Beitrag des Abends an der Reihe.
Gregor Hägele – Sunnboy aus dem Schwobeländle. Der Singer Songwriter hat mit seinem Song „Let Me Go“ die Suche nach dem eigenen Weg und dem persönlichen Glück thematisiert. Leider war die Performance ausdrucklos, worunter die Bühnenpräsenz auch wegen einer gesanglich schwächeren Leistung gelitten hat. Die Jurys sowie das TV-Publikum konnte er damit nicht für sich gewinnen.
Aly Ryan – Dua Lipa blonde edition. Mit „Wear Your Love“ hat Aly Ryan, die im richtigen Leben auf den Namen Alexandra Eigendorf hört, einen fetzigen Song abgeliefert, der meiner Meinung nach recht gute Chancen in Tel Aviv gehabt hätte. Eine gute Mischung aus Pop, Electro und Alternative. Die Lichtshow der Performance war allerdings anstrengend anzuschauen und daher nicht gerade Song-dienlich. Leider.
Makeda – Musicaldarstellerin aus Leidenschaft. „The Day I Loved You Most“ war eine der stimmlich besten Beiträge des Abends. Eine schlichte Bühnenaufmachung, ein bodenlanges goldenes Kleid, Goldregen am Ende und eine grandiose Stimme. Eine wunderschöne Ballade mit zarten Gospelelementen. Am Ende hat es jedoch nicht gereicht, um das begehrte Ticket nach Tel Aviv zu lösen.
BB Thomaz – New York represent. Einige dürften sie noch aus der siebten Staffel von The Voice kennen, als sie dort den vierten Platz belegte. Die gebürtige New Yorkerin setzte sich mit ihrem Song „Demons“ nicht durch, trotz Trampolin springender Dämonen. Man hatte das Gefühl, dass sie sich ausschließlich darauf konzentrierte die Stufen des hohen Bühnenbildes nicht zu verfehlen, statt ihre Power in die Songdarbietung zu stecken. So klangen die drei Minuten eher weinerlich als nach wirkungsvoller Dämonenabwehr.
Lilly Among Clouds – Sympathieträgerin mit Wiedererkennungswert. Mit ihrem Lied „Surprise“ wollte die Bayerin Eindruck machen. Rot gekleidet, barfuß, mystische Nebelschwarten und tolles Licht untermalten ihre außergewöhnliche Stimme. Michael Schulte und Peter Urban zogen später Vergleiche mit der jungen Kate Bush und London Grammar. Das wilde und orientierungslose Herumwirbeln erinnerte jedoch vielmehr an alternative Ausdruckstänze und nicht an eine überzeugende ESC-Performance. Dennoch eine unserer Favoritinnen. Stimmlich wäre aber sicherlich viel mehr drin gewesen, wäre die Songauswahl besser ausgefallen.
Linus Bruhn – Hamburger Teenieschwarm. Linus ruft mit seinem Song „Our City“ die Smombies (Smartphone Zombies) dazu auf, das Handy mal aus der Hand zu legen und den Moment zu genießen. Ansich ein ganz netter Versuch ein aktuell brisantes Thema aufzugreifen. Dass das jedoch aus dem Mund eines 20-jährigen kommt, der damit quasi groß geworden ist, war etwas befremdlich. Nichtsdestotrotz hat er einen radiotauglichen Popsong mit angesagten Beats abgeliefert. Den gewissen Eurovision Faktor habe ich in dem Song aber vergeblich gesucht.
S!sters – Castingprodukt goes Israel. Das Duo singt für mehr Zusammenhalt und weniger Gezicke unter Frauen. Leider wird der Beitrag von zwei Frauen wiedergegeben, die zumindest auf der Bühne den Eindruck erwecken, dass sie keinerlei Beziehung zueinander haben. Stimmlich gesehen passen Carlotta und Laurita ganz gut zusammen, auch wenn hier noch Luft nach oben ist. Insbesondere die Stimmfarbe der dunkelhaarigen Laurita lässt hoffen, dass da noch was geht bis Tel Aviv. Am Ende gewannen die beiden zwei Voting-Runden (TV-Publikum und Experten Jury) und fahren somit im Mai nach Tel Aviv.
Während die Jury-Votings ausgewertet wurden und das TV-Publikum abstimmen konnte, hat die ARD keine Kosten und Mühen gescheut den Zuschauern einige Hochkaräter der deutschen Musikindustrie zu präsentieren. Allen voran durfte Michael Schulte seine neue Single „Back to the Start“ vorstellen, im Gegensatz zu einigen anderen Pausenacts ließ er sich nicht nicht nehmen, live zu singen. Michaels Auftritt war in der Tat unser absolutes Highlight des Abends. Auch Lena, unsere ESC-Siegerin aus dem Jahr 2010, durfte im Rahmenprogramm auftreten und performte ihre aktuelle Single „Thank You“. Johannes Strate, die deutsche Vertretung in der internationalen Experten-Jury (eine Tatsache, die durchaus zu hinterfragen ist), trat mit seiner Band Revolverheld auf. Im Doppelpack beendete Altmeister Udo Lindenberg den Reigen der Interval Acts und gab zusammen mit Andreas Bourani die neue Version seines Hits „Radio Song“ zum Besten.
In den letzten Tagen wurde viel geschrieben über bestimmte Dinge, die beim deutschen Vorentscheid durchaus verbesserungswürdig beziehungsweise zu hinterfragen sind. Zum einen wurde das Erfolgsrezept von 2018 mit einer langwierigen Kandidatenfindungsphase durch die Wildcard der S!sters quasi ad absurdum geführt. Es wird sich zeigen, wer sich 2020 unter diesen Voraussetzungen noch freiwillig bewerben wird. Auch die Teilnahme eines deutschen Juroren in der internationalen Jury im Form von Johannes Strate muss man nicht verstehen, zumal dieser die 12 Punkte an seinen ehemaligen The Voice Kids Schützling Carlotta vergeben hat. Dazu kommt eine nicht überzeugende Kameraführung und einige Faux Pas der Moderation (Fan im Publikum: “Mein Favorit war die 5.” – Linda: “Wer war nochmal die 5?”) haben uns kurz zusammenzucken lassen.
Anyhow, es ist wie es ist. Die S!sters fahren nach Israel und wenn man den Aufrufzahlen des Videos auf dem offiziellen ESC YouTube Kanal Glauben schenken will, ist das Interesse aus dem Ausland durchaus vorhanden. Wir gratulieren den „Unser Lied für Israel“ Siegerinnen und freuen uns schon jetzt auf eine spannende und aufregende Zeit in Tel Aviv. Masel tov!
Bericht: Mirjam Baur & Marion Weber
Fotos: NDR