ESC-Held Michael Schulte im Interview: „Was in einem Jahr so alles passieren kann, ist echt verrückt!“

2018 war definitiv ein Traumjahr für Michael Schulte. Nicht nur musikalisch hat sich der sympathische Singer Songwriter einen Namen gemacht, auch privat jagte ein Highlight das andere. Wer außer dem lockigen Nordlicht kann schon von sich sagen, dass er Deutschland am 12. Mai aus der ESC Misere geführt hat und dazu im Sommer auch noch geheiratet hat und Vater geworden ist? Gerade hat er die Single „Never Let You Down“ veröffentlicht, die passenderweise seinem kleinen Sohn Luis gewidmet ist, und den ersten Teil der „Dreamer“ Tour gespielt. Wir haben Michael vor seinem letzten Tourkonzert für dieses Jahr im Berliner Columbia Theater zum Interview getroffen. Dabei hat er uns offen erzählt, wie er rückblickend die Zeit in der ESC-Bubble erlebt hat und worauf wir uns die nächsten Monate musikalisch noch alles freuen dürfen

Seit unserem letzten Interview im März ist einiges passiert. Wenn wir an Lissabon zurückdenken, fühlt es sich an wie ein Film, total surreal. Wie geht es Dir damit? Wachst Du manchmal auf und fragst Dich, ob das alles vielleicht nur ein Traum war?

Gute Frage! Das ist tatsächlich ein komplett anderer Kosmos. Man spricht ja oft von dieser besagten ESC-Bubble. Es ist eine Welt für sich, aber auf eine sehr positive Art und Weise! Die Menschen in der Bubble sind alle total ESC-verrückt und lieben diese Veranstaltung – und das merkst Du einfach. Man wird aber sehr schnell in diese ganze Sache reingezogen. Ich war ja schon immer Fan des Eurovision Song Contests, aber ich war logischerweise noch nie so nah dran wie dieses Mal. Viel näher kann man auch nicht rankommen und in dem Sinne fühlt es sich schon ein bisschen an wie ein Film, ein abgeschlossenes Kapitel. Zuvor war der Gedanke für mich extrem surreal und absurd, dass ich Deutschland mal beim ESC vertreten würde. Wenn man sich dann aber in dieser Welt befindet, fühlt es sich völlig normal an. Damit meine ich nicht, dass es für mich eine normale Situation gewesen ist, in Lissabon auf der Bühne zu stehen, aber das war zu dem Zeitpunkt meine Wirklichkeit. Ich habe mir gesagt: „Das ist das Hier und Jetzt und das ist schön und soll genau so sein“. Das habe ich sehr genossen! Wobei es nachträglich betrachtet immer noch verrückt ist, dass tatsächlich alles aufgegangen ist. Meinen eigenen Auftritt habe ich mir allerdings noch nicht angeschaut, da ich extrem selbstkritisch bin. Ich habe nach meiner Performance beim großen Finale sehr viel positives Feedback bekommen, aber ich weiß auch, dass ich nach dem Auftritt nicht zufrieden war. Die Performance war ok, es war einer der besseren Auftritte, aber er war gefühlt eben nicht perfekt und ich habe ein bisschen Angst, dass ich mir Gedanken mache, wenn ich mir die Aufzeichnung ansehe. „Mist! Hätte ich doch noch etwas besser gesungen!“ Total doof eigentlich, denn der Erfolg war ja da… Ich werde mir das aber auf jeden Fall irgendwann mal bewusst anschauen.

Du hast gerade selbst schon gesagt, dass Du den ESC schon immer eifrig mitverfolgt hast. Denkst Du, dass Du somit besser einschätzen konntest, was Dich in Lissabon erwartet?

Ich glaube schon, dass es ein Vorteil ist, wenn man den ESC liebt. Das macht es natürlich einfacher, dieses ganze Konstrukt „ESC“ zu verstehen. Worum geht es eigentlich und was für Songs braucht man, um anzukommen? Musikalisch kann man den ESC ja nicht mit Radioplaylists oder anderen Musikwettbewerben vergleichen. Der ESC ist der ESC. Diese Erfahrung, welche Songs generell bei dem Wettbewerb gut funktionieren, hat mir wahrscheinlich auch dabei geholfen, meinen ESC Song zu schreiben. Zudem ist mein Halbbruder auch eingefleischter ESC-Fan und jedes Jahr für zwei Wochen vor Ort. Er hat mich durchgängig mit vielen guten Tipps versorgt und war auch in Lissabon mit dabei. Das war extrem hilfreich, jemanden an der Seite zu haben, der nicht nur den ESC, sondern eben auch die Bubble und alles, was drum herum passiert, kennt und mir sagen konnte, was wichtig ist und worauf man achten sollte.

Im Prinzip hat alles perfekt zusammengepasst…

Oh ja! Es ist wohl so, dass ich diesen ESC gebraucht habe, um meiner Musik Gehör zu verschaffen und die Leute zu erreichen. Viele Jahre haben ganz viele Leute gesagt „Mensch, das ist mega! Du bist einer der besten Sänger Deutschlands.“ Aber dann ist nichts weiter passiert. Die Leute haben sich nicht getraut, meine Musik weiter zu unterstützen – sei es im Radio oder im Fernsehen. Der ESC war für mich genau das Richtige und offensichtlich war ich auch für den NDR und den deutschen ESC genau der Richtige. Das hat alles genau so sein sollen. Ich bin ja auch ein großer Fan des Schicksals und glaube total dran. Ich denke einfach, dass sich das so gefunden hat, wie es sein sollte. Es war ja auch schon zu Beginn lustig, dass der NDR mich als Kandidat auf dem Schirm hatte und ich mich gleichzeitig auch beworben hatte – als einziger der letzten sechs Kandidaten des Vorentscheids. Es hat alles optimal gepasst.

Im Vorfeld hast Du immer von einer Top 10 Platzierung in Lissabon als großem Ziel gesprochen. Wann hast Du gemerkt, dass eventuell viel mehr als das möglich ist?

Beim Finale habe ich es nach Bekanntgabe der Juryvotes noch nicht so sehr realisiert. Als dann aber nur noch 6 Länder übrig waren, die auf die Punkte deren Zuschauer gewartet haben, gab es einen Moment als ich dachte „Krass, Österreich und Schweden haben schon ihre Punkte bekommen…“ Nach dem Juryvoting war ich auf der 4, sprich zwei von den Top 3 hatten schon ihre Punkte bekommen. Dass ich das Ding gewinne, daran habe ich nie geglaubt, trotzdem habe ich kurz gedacht „Wahnsinn, theoretisch könnte das vielleicht passieren.“ Dass ich am Ende auf Platz 4 gelandet bin, damit hätte ich nicht gerechnet. Ungefähr einen Monat vorher war ich bei den Wettquoten auf Platz 25 und ich bin jemand, der Zahlen liebt und der auch schon immer drauf geschaut hat. Ab und zu lasse ich mich da zu sehr beeinflussen. Dafür war es dann umso spannender als ich gesehen habe, dass wir in den Wettquoten nach den Proben plötzlich gestiegen sind… da waren wir auf einmal auf Platz 4 und das hatte schon was. Ich war auf einmal dieses berühmt-berüchtigte „Dark Horse“, über das jeder spricht. Ich glaube, es hat alles einfach sehr gut funktioniert in Lissabon: die Interviews sind alle super angekommen und ich bin immer schön entspannt geblieben. Außerdem war ich sehr diszipliniert, ich war auf keiner einzigen Party und bin immer früh schlafen gegangen. Ich war total aufs Wesentliche konzentriert und das hat sich ausgezahlt. Zusammenfassend hatte ich im Vorfeld gedacht: „Top 10, das wäre schon krass!“ Auch eine Top 15 Platzierung hätte ich noch als Erfolg angesehen. Aber Platz 4 ist dann natürlich noch etwas geiler (lacht).

Gibt es einen bestimmten Moment, an den Du gerne und oft zurückdenkst aus der Zeit in Portugal?

Es gibt natürlich sehr viele schöne Momente. Der schönste Moment war dann aber doch als wir auf der Couch saßen und die Punkte so nach und nach reinkamen. Diese Szenen hab ich mir übrigens sehr oft angeschaut! Die Kamerateams stehen ja schon vor denjenigen bereit, die eventuell 12 Punkte bekommen. Wenn dann kein Kamerateam bei dir stand, wusste man eigentlich schon, dass es keine 12 Punkte für uns gibt. Wenn du dann aber nicht genannt warst unter den ersten 10 Punkten und das Kamerateam stand vor dir bereit, dann war die Chance schon sehr sehr groß, dass es vielleicht volle 12 Punkte gibt. Das heißt man hatte immer schon so eine Ahnung, und als dann aber wirklich der Satz kam „Twelve points go to Germany.“ war das natürlich großartig. Ich bin aus der ganzen Sache gefühlt als Sieger rausgegangen. Klar habe ich nicht gewonnen, aber es fühlte sich einfach wie ein Sieg an – und ich glaube nicht nur für mich, sondern auch für die Deutschen. Ich bin später noch zu den deutschen Fans gegangen, die mit ihren deutschen Fahnen in der Halle waren und vor Freude geheult haben. Auch die Bilder, die man so aus den Wohnzimmern und den Public Viewings gesehen hat, waren toll.

Jetzt steht ja schon der nächste ESC vor der Tür. Die ersten Kandidaten wurden bereits verkündet und du warst auch beim Songwriting Camp dabei. Wirst Du denn in irgendeiner Art und Weise jetzt auch weiterhin den ESC begleiten, entweder beim Vorentscheid oder danach in Tel Aviv?

In Tel Aviv werde ich nicht mit dabei sein, weil ich da auf der Reeperbahn auftrete und vorher auch noch ein Konzert in Bad Segeberg zusammen mit Max Giesinger gebe. Ich werde aber auf jeden Fall beim Vorentscheid auftreten. Da freue ich mich drauf! Ich glaube, es gibt ein paar ganz spannende Kandidaten, es wird nun also auf den Song ankommen. Und selbst dann ist ein Erfolg noch nicht vorprogrammiert, da ist der ESC völlig unberechenbar. Es kommt viel darauf an, wie der Song rüberkommt, wie die Inszenierung ist, springt der Funken über oder nicht? Aber ich denke schon, dass wir mittlerweile den richtigen Weg gefunden haben, um zumindest nicht ganz hinten zu landen.

2018 war definitiv Dein Jahr! Du hast so viel erlebt, sowohl privat als auch beruflich. Gibt es da überhaupt noch etwas, das das in Zukunft toppen kann?

Toppen kann man das nicht und muss man auch nicht. Denn man rechnet sein Leben natürlich nicht nur in Jahren. Das ist aktuell mein Leben und es sind einfach sehr viele Highlights aufeinander gefolgt, aber ich bin mir sicher, dass es auch weitere Highlights geben wird – sei es irgendwann vielleicht ein zweites Kind oder ein weiterer Song, der total abgeht oder auch Konzerte, weitere Auszeichnungen… Ich glaube schon, dass da noch mehr kommt, aber all das, was dieses Jahr zusammengekommen ist, ist natürlich schon krass, perfekt und wunderschön. Wenn man bedenkt, wo ich noch vor einem Jahr war ist das echt abgefahren. Ich meine, ich hatte damals auch ein schönes Leben, aber es war einfach extrem anders. Was in einem Jahr so alles passieren kann, ist echt verrückt! Jetzt habe ich als krönenden Abschluss ja sogar noch den Bambi gewonnen, was mich wirklich tierisch gefreut hat. Ich war für ein paar Preise nominiert – und dass ich dann genau den wichtigten oder größten Preis mit nach Hause genommen habe, hat mich wirklich sehr glücklich gemacht.

Vor allem war es ja der Publikumsbambi, das heißt die Leute haben für dich angerufen.

Ja, das ist der ehrlichste Preis, quasi vom Volk gewählt zu werden. Das war schon echt toll und den kann mir auch keiner mehr nehmen! Egal was noch kommt, ich werde für immer ein Bambi-Preisträger sein!

Euer kleiner Luis ist ja mittlerweile drei Monate alt. Gibt es einen bestimmten Song, den Du ihm am liebsten vorsingst oder -spielst?

Ich singe ihm immer wieder eigene Sachen vor. Das ist jetzt kein Lied in dem Sinne, eher kleine Jingles mit einem Chorus. Das gefällt ihm immer sehr und er fängt an zu lachen. Ich versuche auch so viel wie möglich mit ihm zu singen und nehme ihn mit ans Piano in der Hoffnung, dass er das irgendwie aufsaugt und dadurch ein eventuelles Talent, was in ihm schlummert, schon mal stimuliert wird. Meine Frau spielt auch Klavier und singt auch sehr gut. Es würde mich auf jeden Fall wundern, wenn er absolut untalentiert ist, was Musik angeht. Wir werden sehen.

Arbeitest Du derzeit an neuen Songs? Dürfen wir uns im kommenden Jahr auf ein neues Album freuen?

Oh ja! Im Herbst des nächsten Jahres kommt ein neues Album. Aber es gibt auch dieses Jahr noch einen neuen Song, und zwar am 14. Dezember. Das ist ein Song aus der ESC-Zeit, weil viele immer gefragt haben, ob man nicht auch die anderen Songs zu hören bekommen kann, die ich damals geschrieben habe. Also haben wir uns entschieden, diesen einen Song zu veröffentlichen. Es wird eine Ballade sein über das gleiche Thema wie „You Let Me Walk Alone“. Es ist einfach ein schöner Song bei dem ich dachte, dass wir den gern als Weihnachts-Goodie veröffentlichen wollen. Damit die Leute auch hören können, was ich damals alles getrieben habe und ich bin einfach auch total stolz auf den Song. Es wird darüber hinaus noch einen weiteren Song dieses Jahr geben, ein Projekt mit einem Radiosender. Es kommt also auf jeden Fall noch etwas an Musik dieses Jahr. Ich schreibe außerdem gerade schon wieder fleißig für die nächste richtige Single, die Ende Januar/Anfang Februar erscheinen soll. Dementsprechend ist gerade alles „on fire“. Und da wir im Januar nach Neuseeland in den Urlaub fliegen bis zu Teil zwei der Tour, muss praktisch dieses Jahr noch alles im Kasten sein. Sonst könnte ich mir nicht erlauben, drei bis vier Wochen weg zu sein.

Du warst ja nun auf Teil 1 deiner Dreamer-Tour unterwegs in Deutschland. Wie hast Du das empfunden? Deine Auftritte in größeren Locations und vor mehr Publikum?

Das ist schon echt toll! Dass so große Läden alle fast komplett ausverkauft sind. Gestern habe ich im Gruenspan in Hamburg gespielt, wo alles angefangen hat : Damals mit Max Giesinger, die erste Headliner-Tour. Und jetzt nach fünf Jahren, in denen ich auch deutlich kleinere Läden gespielt habe, wieder in nem vollen Gruenspan zu stehen, das war schon toll! Man entwickelt sich natürlich weiter. Ich habe das Gefühl, dass ich dieses Jahr, gerade auch mit der neuen Tour, ein neues Level erreicht wurde. Es wird zudem alles immer professioneller. Wir haben aktuell zum ersten Mal einen Lichttechniker dabei. Das kostet natürlich alles Geld, aber wir können uns das nun leisten und können nach und nach alles ein bisschen größer aufbauen. Max (Giesinger) hat diese Wachstumsphasen ja auch durchlebt, mittlerweile sind die mit fast 20 Leuten unterwegs, eine riesige Produktion! Wir arbeiten fleißig daran, immer größer und immer cooler zu werden. Und Wir sind da definitiv auf nem guten Weg!

Interview: Mirjam Baur & Marion Weber
Fotos: Mirjam Baur

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