Ich bin ein Kind der Generation VIVA. Ich bin von der Schule nach Hause gekommen, habe gegessen, meine Hausaufgaben gemacht und dann erst einmal geguckt, was es in der Welt des Musikfernsehens Neues gab. VJane stand lange Zeit auf der Liste meiner Wunschkarrieren ziemlich weit oben. Ich hege also meine Sympathien für Nilz Bokelberg. Er war so wahnsinnig jung damals, irgendwie cool, zumindest recht eigen in seinem Stil, dann aber auch wieder so unccool, dass man sich gut mit ihm identifizieren konnte. Die Meinungen über ihn gingen damals ziemlich auseinander. Ich fand er hatte diesen unverkrampften Charme, der bei mir immer ein leichtes Gefühl von „och, das könnte ich doch auch“ ausgelöst hat. Ich habe sogar mal ein Fax in seine Sendung geschickt (ich habe keine Ahnung wofür wir unser privates Faxgerät damals sonst so genutzt haben) und er hat es auch vorgelesen! Aber lassen wir das.
Heute ist Nilz Bokelberg natürlich nicht mehr 17, er ist vor kurzem 40 geworden. Seinen Berufsjugendlichen-Charme ist er aber nie so ganz los geworden. Er lebt in Berlin, schreibt einen Blog und seit 2010 auch Bücher. Für sein neuestes Werk „Tristesse Renesse“ hat er sich auf die Reise begeben, mit dem Interrail Ticket quer durch Europa. Sein Ziel: noch einmal die Ferienorte seiner Kindheit besuchen, gucken wie es da jetzt ist, Erinnerungen wiederbeleben. Das Ganze, weil es ja sonst langweilig wäre, unter erschwerten Bedingungen, jenseits der Hauptsaison im trüben November, das Handy nur für Notfälle ganz unten im Koffer, Orientierung nur per Stadtplan und der Nase nach. Das klingt doch wirklich nach einer netten Idee. Man erwartet locker flockige Wohlfühlliteratur, Nostalgie gepaart mit Wortwitz und netten Anekdoten.
Zum Teil geht das tatsächlich auch auf. Nilz Bokelberg hat wirklich einen netten, unterhaltsamen Schreibstil, eigentlich folgt man ihm, so wie er loslegt, ganz gerne auf seine Reise. Das Problem ist dann nur: es passiert so wenig auf ihr. Gut, das an sich sagt noch nichts aus über die Qualität seiner Erzählung. Oft sind die besten Geschichten die, in denen über Seiten hinweg gar nichts passiert. Und das Ziel der Reise soll ja auch eine Auseinandersetzung mit ihm selbst sein. Diese versucht er aber hauptsächlich durch das eins zu eins kopieren von vergangenen Situationen herzustellen. Er hört die Musik, die er damals gehört hat, er sucht die Orte, an denen er früher war und wenn die nicht mehr so aussehen wie vor 25 Jahren, wenn die Musik, die er damals gehört hat nicht mehr das gleiche Gefühl auslöst wie damals, dann ist er enttäuscht. Zwischendrin geht es ihm dann wieder „total gut“, hauptsächlich wenn es leckeres Essen gibt. Das ist alles auf eine Art total nachvollziehbar, aber irgendwie auch ein wenig deprimierend.
Zum Glück gibt es auch immer wieder Passagen, an denen man mit Freuden hängen bleibt, wenn er zum Beispiel davon erzählt, wie er als Kind am Strand gespielt oder auf dem Balkon sein Lieblingsmüsli gegessen hat. Niedlich, der kleine Nilz! Aber wenn er sich dann selbst beschreibt, wie er heute Comic lesend und Fanta trinkend im Hotel auf dem Bett liegt, dann beschleicht einen wieder das Gefühl, dass seit damals nicht so viel passiert ist. Er macht daraus auch nicht wirklich ein Hehl, sagt von sich selber, es gäbe Momente in seinem Leben, in denen „man mich für einen Fünfzehnjährigen im Körper eines fast Vierzigjährigen halten könnte“. Was aber ein Image ist, das er auch definitiv pflegt. Manchmal ist es ein bisschen schwer zu ertragen, wie possierlich er sich selber inszeniert. „Nilz! Pack die Fanta weg! Sei ein Mann!“ möchte man ihm dann zurufen.
Nach der Lektüre von „Tristesse Renesse“ wünscht man sich fast, Nilz Bokelberg hätte sich auf seiner Reise mehr gegönnt als in Erinnerungen schwelgen, Plattenläden besuchen (okay, nichts gegen Plattenläden!), im Supermarkt einkaufen und im Hotelzimmer Sandwiches essen. Dass er sich lieber neue Erinnerungen geschaffen hätte als alten hinterher zu hängen. Ihm selbst hat der Trip durch Holland, Italien und Österreich offensichtlich den einen oder anderen kathartischen Moment beschert. Deshalb mag es vielleicht auch vermessen sein, überhaupt zu beurteilen, wie er dabei vorgegangen ist. Aber nein, er hat er ein Buch darüber geschrieben, dessen Ziel es ja sein soll zu unterhalten, und da darf man sich als Leser schon mehr wünschen als eine Geschichte deren gefühlter Höhepunkt der kurzzeitige Verlust des Interrail Tickets auf dem Bahnsteig ist.
Mit einigem, was er schreibt, hat er aber auch Recht: wie gut es zum Beispiel tun kann, das Handy mal eine Weile auszulassen und Orte wirklich zu sehen anstatt Bilder von ihnen auf Instagram zu posten. Das ist doch schon mal was.
Info: Nilz Bokelberg ist ehemaliger VIVA Moderator und heute einer der bekanntesten Blogger Deutschlands. Sein drittes Buch „Tristesse Renesse“ ist im KiWi Verlag erschienen und kann hier käuflich erworben werden.