Der ultimative Tip für gute Laune: Sich eine halbe Stunde mit Graham Candy unterhalten. Ich habe lang nicht mehr jemanden getroffen der so viel Lebensfreude und Begeisterung ausstrahlt, der so viel lacht im Gespräch wie der in Neuseeland geborene und aufgewachsene Wahlberliner. Das Gute ist: sein Debütalbum „Plan A“ erfüllt den gleichen Zweck. Gute Laune Popsongs treffen auf emotionale Balladen, eine gelungene Mischung, die definitiv als Soundtrack für den (hoffentlich bald kommenden) Sommer taugt. Im sehr lustigen Interview hat Graham uns erzählt, wie es ihn nach Berlin verschlagen hat und warum er tatsächlich nie in seinem Leben einen Plan B hatte.
Wie lange lebst du schon im Berlin?
Ich bin im Sommer 2013 hierher gekommen. Bald sind es drei Jahre. Wie du dir bei meinem fantastischen Deutsch wahrscheinlich schon gedacht hast (lacht). Ok, ich habe ein paar Worte gelernt und komme einigermaßen zurecht. Aber die letzten Jahre haben sich nur um die Musik gedreht. Ich habe ein paar Versuche unternommen mich für einen Deutsch Kurs anzumelden, musste es aber jedes Mal wieder absagen. Tatsächlich sollte ich gerade jetzt wieder in der Schule sein, aber dann dachten wir so kurz vor dem Album Release, das ist keine gute Idee. Aber es ist weit oben auf meiner Liste. Vielleicht lerne ich demnächst meine Ehefrau kennen und sie bringt es mir bei wenn ich abends von der Arbeit nach Hause komme (lacht).
Du planst also langfristig hier zu bleiben.
Ja, es ist auf jeden Fall auf Dauer geplant. Mein Musikteam, die Leute mit denen ich arbeite, sie sind hier und wie eine Familie für mich. Ideal wäre, immer dem Sommer hinterher zu reisen, wenn er hier vorbei ist zurück nach Neuseeland und dann wieder hierher. Was soll’s, Träume sind umsonst! (lacht)
Bevor du von Neuseeland nach Berlin gekommen bist, hast du sowohl als Tänzer, Schauspieler und Sänger gearbeitet. Hättest du dir damals vorstellen können, dass Musik irgendwann dein Hauptfokus wird?
Musik war irgendwie immer in meinem Leben. Schon als Kind habe ich Zuhause mit der Familie gesungen und im Chor. Aber zum ersten Mal so richtig um die Musik ging es in meinem letzten Schuljahr. Es gab einen Wettbewerb, ich habe davon gehört und mir eine pinkfarbene Gitarre gekauft. Man sollte einen Song schreiben und wenn man es unter die besten 40 schaffte, landete man auf einer CD. Also habe ich mit meiner pinkfarbenen Gitarre einen Song geschrieben und bin völlig überraschend siebter geworden. Ich dachte wow, ich kann offensichtlich tatsächlich Songs schreiben! Dann bin ich auf die Schauspielschule gegangen und es hat sich erst einmal verlaufen. Aber so ganz war es nie weg.
Als Schauspieler bist du aber auch immer noch aktiv. Du hast in einigen Filmen mitgespielt.
Ja! Ich werde das auch nie wirklich aufgegeben, genauso wie das Tanzen. Ich hasse den Gedanken, mich für etwas entscheiden zu machen. Ich liebe auch Fotografie und das Filmemachen. Im Moment ist der Hauptfokus auf der Musik weil er auf mir selber ist. Ich liebe es einfach ich selbst sein zu können. Es geht um meine Gedanken, meine Gefühle, meine Geschichten. Beim Schauspielen geht es ja darum, jemand anderes darzustellen, nach den Vorgaben die der Regisseur dir gibt, mit den Worten die auch jemand anders geschrieben hat. Das ist auch cool! Ich kann es auf meine Art und Weise machen. Aber im Moment habe ich die Möglichkeit mit meiner Musik etwas Eigenes, Ehrliches zu schaffen. Das ist wundervoll.
Du bist aber nicht ins Blaue nach Berlin gekommen, sondern hast in Neuseeland Leute kennengelernt, die dich dazu ermuntert haben.
Der Grund warum ich hier bin sitzt da drüben. Als ich 2012 beschlossen habe, mich erst einmal voll auf die Musik zu konzentrieren, habe ich Open Mic Abende veranstaltet. Ein paar Jungs, die gerade eine Bar gekauft hatten, haben mich gefragt ob ich mit machen möchte. Das klang cool, innerhalb von zwei Monaten haben wir alles aufgebaut und dann war ich der Music Event Manager. Ich hatte nicht die geringste Ahnung wie man das macht (lacht). Aber wir wollten dass bei uns Musiker auftreten. Hey, am Ende war ich nicht so schlecht, ich habe es geschafft, dass Mumford and Sons und The Black Keys bei uns gespielt haben! Ohne Gage.
Wirklich? Wie hast du das gemacht?
Das ist eine lange Geschichte. Im Prinzip habe ich aber nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort mit den richtigen Menschen getrunken. Am Ende bin ich einfach zu Marcus Mumford hin gegangen und habe ihn gefragt ob sie noch eine kleine, intime Show spielen wollen. Und die Jungs lieben es einfach zu spielen! Ich habe sie in meiner alten Karre von der Mercedes Benz Arena abgeholt. Sie haben das geliebt! Ich glaube es war genau die Art von Erfahrung, die sie in Neuseeland machen wollten. Aber ehrlich, ich glaube das alles war genau der Tritt in den Hintern den ich damals brauchte. Dabei zu sein wie sie spielen, zu sehen welche Kraft Musik haben kann. Ich hatte nie das Geld mir große Shows anzugucken. Danach wollte ich alles auf eine Karte setzen und es einfach schaffen. Ich habe angefangen in der Bar Coversongs zu spielen, oft mit Musikern zusammen die dort auftraten. Irgendwann saß Matthias, der jetzt dort drüben sitzt, im Publikum. Ich hatte zu dem Zeitpunkt vielleicht zwei bis maximal fünf eigene Songs. Er kam auf mich zu und meinte: Ich besorge dir einen Producer, ich buche Flüge für dich, wir mieten ein Apartment in Berlin für dich… Ich dachte: der Typ ist total betrunken! (lacht) Entsprechend war ich erst einmal zurückhaltend, aber dann haben wir uns zufällig nochmal getroffen und festgestellt, dass wir einfach richtig gute Kumpel sind. Das war eine gute Basis. Vier Wochen später war ich in Berlin. Und alles was er versprochen hat, hat er gehalten. Total cool. Also, ich möchte damit nicht sagen, dass jeder der auf dich zukommt und solche Versprechungen macht seriös ist (lacht). Das kann auch schief gehen.
Was haben deine Freunde und deine Familie in Neuseeland gesagt, als du ihnen offenbart hast dass du nach Berlin ziehst?
Ich glaube sie haben sich große Sorgen gemacht. Zu der Zeit hatte ich in Neuseeland nicht unbedingt beide Beine auf dem Boden. Sie meinten, dass Berlin vielleicht auch nicht die Lösung für all meine Probleme ist. Meine Schwester weiß am besten was für ein Mensch ich bin, dass ich gerne ausgehe. Ich war vielleicht nicht so fokussiert damals wie man es sein muss um erfolgreich zu sein. Tatsächlich hatte Berlin genau den gegenteiligen Effekt auf mich. Statt herzukommen und jeden Tag Party zu machen und mich abzuschießen habe ich mich voll auf die Arbeit konzentriert.
Wirklich? Noch nicht einmal in den ersten Wochen?
Ehrlich gesagt, die ersten ein bis zwei Monate… vielleicht schon (lacht). Dafür habe ich alle meine besten Freunde in diesen ersten zwei Monaten kennengelernt. Ich weiß noch wie ich zum ersten Mal im Kater Holzig war. Das war schon ein besonderes Erlebnis. Ich dachte nur fuck, was ist das? Sowas hatte ich noch nie erlebt (lacht). Die ersten zwei Monate hatte ich frei, ich habe auch viele Museen und Gedenkstätten besucht. Am liebsten wollte ich alles auf einmal machen. Ich war zum ersten Mal in Europa und bin ein bisschen durchgedreht (lacht). Wie ein Kind im Bonbonladen. Aber dann, volle Konzentration auf die Arbeit.
Und wie hat sie dann ausgesehen, die Arbeit? Jeden Tag Songs schreiben?
Es war ein langsamer Prozess. Ich hatte noch nicht so viel Erfahrung mit dem Songs schreiben. BMG waren von Anfang an eine große Unterstützung, sie meinten du musst einfach schreiben, schreiben, schreiben. Im ersten Jahr haben sie mich mit 30 oder 40 Songschreibern und Produzenten zusammen gebracht. Ich habe so viel darüber gelernt, wie man einen Song strukturiert. Es war also weniger so, dass ich mich in meinem Kämmerchen eingeschlossen und geschrieben habe, ich bin mehr raus gegangen und habe Leute getroffen. Und dabei so vieles darüber gelernt wie man ein Album schreibt.
Und zack, schon hattest du deinen ersten Hit, zusammen mit Alle Farben. Ich habe heute einer Freundin erzählt, dass ich den Typen treffe der „She Moves“ singt und sie meinte: Moment, das singt ein Typ?
Das ist so lustig! Selbst wenn die Leute das Video gesehen haben fällt ihnen trotzdem oft noch alles aus dem Gesicht, wenn ich mit Alle Farben auf die Bühne komme und anfange den Song zu singen. Was? Das ist ein Typ? Sie können es nicht glauben! Selbst unter dem Video gibt es auf YouTube immer noch Kommentare von Leuten die fragen, wo denn in dem Video die Frau ist, die den Song singt (lacht). Aber es war eine großartige Erfahrung, die mir viele Türen geöffnet hat.
Die Pophistorie ist ja voll von Männern, die hoch singen. Ich habe darüber nachgedacht, warum es in deinem Fall so besonders verblüffend ist. Es hört sich an, als würdest du nicht im Falsett singen, oder?
Ja, ich presse mehr als dass ich die Stimme nach oben hin öffne. Die beste Beschreibung meiner Stimme, die ich je gelesen habe war: Er klingt wie eine schwarze Frau, die zu viel geraucht hat (lacht). Ich glaube es ist die Kraft in der Stimme, die die Leute irritiert. Wenn ein Mann im Falsett singt hört man sofort, dass es eigentlich eine Männerstimme ist. Obendrauf ist meine Stimme auch ein bisschen kratzig, weil ich tatsächlich sechs Jahre lang viel geraucht habe.
Ich finde deine Stimme ja vor allem in den langsamen Nummern sehr beeindruckend.
Danke! Ich hatte ursprünglich so viele langsame Songs, die ich auf das Album nehmen wollte. Aber das Label meinte, es wäre gut wenn es zwischendrin auch mal ein bisschen fröhlich zugeht (lacht). Die langsamen Songs sind aber immer noch meine liebsten. Es gibt dort so viel Raum und Zeit, dass man alles hineinlegen kann. Die ganze Emotion und man hört was die Stimme kann.
Hättest du dir vor ein paar Jahren vorstellen können, dass du einmal in Europa lebst und dein eigenes Album rausbringen wirst? Und wohin denkst du wird es in den nächsten Jahren mit dir gehen?
Die Frage kam neulich schon mal auf und ich war fast ein bisschen schockiert, wie schlecht ich sie beantworten konnte. Ich habe nämlich nie wirklich darüber nachgedacht, wo ich in der Zukunft sein werde. Ich glaube mir war schon klar, dass ich mich auf jeden Fall immer irgendwie künstlerisch ausdrücken würde. Vielleicht als Tänzer, als Schauspieler, vielleicht hätte ich auch in Neuseeland irgendwann versucht ein Album zu machen. Auf jeden Fall irgendwas in die Richtung. Selbst wenn ich als Straßenmusiker weiter gemacht hätte, das wäre mir auch scheißegal gewesen, Hauptsache ich kann irgendwie performen. Heute bin ich hier, das ist das einzige was mir wichtig ist.
Stimmt es, dass dein Schulleiter zu deinen musikalischen Plänen damals gesagt hat, du solltest dir dringend einen Plan B zulegen?
So ziemlich alle meine Lehrer haben das gesagt! „Du brauchst definitiv einen Plan B wenn es nicht funktioniert.“ Ich habe gesagt: scheiß drauf, ich brauche keinen Plan B, ich ziehe meinen Plan A durch. Meinen Schulleiter hat das damals schockiert, aber er hat mir geholfen, dass ich es nach New York auf die Hochschule für darstellende Künste geschafft habe. Das war das Beste, was man für einen Schüler wie mich tun konnte. Ich glaube, heute werden junge Leute von ihren Schulen mehr unterstützt was sowas angeht. Damals war es eher die Ausnahme. „Ab auf die Schulbank mit dir! Träume, was ist das, wozu braucht man die?“ Ich bin ein echtes Glückskind. (lacht)
Interview: Gabi Rudolph