Interview mit Finn Andrews von The Veils

Es ist einer dieser ersten Sonnentage des Jahres. Lächelnde Menschenduos, große Flächen nackter Haut und die Straßen vollgestopft mit watteweicher Glückseligkeit. Doch Finn Andrews spürt von alledem nichts. Für einen Tag lang führt er das Leben eines Höhlenmenschen. In einem Raum, der in seiner Größe einer IKEA-Kinderzimmerattrappe gleicht, gibt er im 20-Minuten-Takt Auskunft über die neueste The Veils-Ausgeburt „Time Stays, We Go“. Als ich ihm um 18 Uhr als letzter Termin gegenübertrete, wirft der für ihn so ikonische Hut einen großen Schatten auf sein Gesicht. Weintrauben und Kekse stehen wie bunte Requisiten neben ihm, als er beginnt in dem ermattenden Raumklima zu erwachen. Weit über den Tisch gebeugt, erzählt er mit jäher Nachdrücklichkeit von musikalischen Kreaturen, dem Separatsein und elterlicher Fürsorge. Und ich fühle mich mit einem Mal daran erinnert, welch glühende Freude das Kennenlernen eines zuvor so fremden Menschen mit sich bringen kann.

Wie bereitest du dich auf solch einen PR-Tag vor?

Finn Andrews: Ich habe mich darauf vorbereitet, in dem ich in der letzten Nacht in der 8mm Bar bis 4 Uhr morgens auflegt habe, um 8 Uhr wieder aufgestanden bin und mich jetzt nicht… so gut fühle… Eigentlich bin ich nicht einmal im Stande mich richtig zu artikulieren. (lacht)

Tatsächlich? Aber du siehst so…

…frisch aus?

Ja!

Nicht wirklich. Ich nehme einfach sehr viele Drogen. (lacht) Aber es ist gut zu wissen, dass ich wenigstens nicht so müde aussehe. Ich hatte mir schon Sorgen gemacht.

Hat sich denn der Ausflug in die 8mm Bar gelohnt?

Es lief ganz gut, obwohl es auch ziemlich spontan für mich war. Zum Glück hat mir ein Freund geholfen, denn ich bin ein schrecklicher DJ. Meine Aufgabe war es nur auf Sachen zu zeigen, die er dann gespielt hat.

Und ich wollte dich schon fragen, ob du dich mehr auf Interviews oder DJ-Sets vorbereitest.

Wahrscheinlich sollte ich mich mal auf Interviews vorbereiten. Dann wäre ich vielleicht nicht mehr ganz so schlecht darin. Zwar denke ich schon ein bisschen darüber nach was ich so sagen könnte. Aber generell bin ich der Meinung, wenn ein Interview nur im entferntesten erhellend ist, dann ist es schön noch überrascht werden zu können. Ich stehe also nicht im Badezimmer und gebe meinem Spiegelbild mit einer Zahnbürste in der Hand Interviews.

Nun möchte ich dir aber zum fertigen Album gratulieren.

Danke.

War es eine schwierige Geburt?

Oh, ich glaube wir liegen technisch gesehen noch in den Wehen. Die Entbindung fand noch nicht statt. Aber ja, es war eine ziemlich lange Schöpfungsphase. (lacht) Ich sollte wohl besser mit der Analogie aufhören… Wir sind jedenfalls alle sehr glücklich mit unserer Kreatur.

Steht ein jedes eurer Alben für einen neuen Lebensabschnitt?

Ja, das passt. Aber es trifft mich ein bisschen, dass man Interviews immer direkt im Anschluss der Fertigstellung eines Albums gibt. Man ist dann noch so nah an allem dran, so dass man sich nie sicher ist worüber man da eigentlich genau spricht. Für mich ist das endlos faszinierende am Songs schreiben, dass sie einem etwas zurück erzählen können. Es braucht nur oft eine Weile bis man es hört. So erging es mir zumindest mit den vorherigen Alben. Um ehrlich zu sein ist es mir ein Mysterium, warum ich bestimmte Dinge geschrieben habe. Ich setze mich nicht hin und sage mir, dass ich jetzt eine bestimmte Art von Song schreiben werde. Ich schreibe sehr regelmäßig und versuche dem Prozess so wenig wie möglich mit meinem bewussten Verstand im Weg zu stehen.

Deine Perspektive auf das Songs schreiben klingt sehr speziell.

Mein bewusster Verstand ist ein Arschloch. Deshalb ist es ganz gut ihn aus dem Weg zu schaffen. Er ist voller Mangel und Angst. Mein bewusster Verstand würde darüber nachdenken was Leute davon halten würden und ob uns eine bestimmte Art von Song Geld einbringen könnte. Natürlich habe ich das alles schon ausprobiert. Ich habe schon alle möglichen Songs geschrieben. Doch das führt in eine Sackgasse. Daraus wird nur ein herzloses Stück zähes Fleisch. Und man hat seine Energie, mit der man etwas Nettes hätte machen können, verschwendet.

Wie sahen deine ersten Schritte als Autor aus?

Am Anfang ist man noch unfassbar selbstbewusst und versucht andere Bands, Sänger und Autoren zu verkörpern. Mit der Veröffentlichung unseres ersten Albums sind wir so langsam darüber hinweg gekommen. In den ersten Songs, die ich schrieb bevor überhaupt irgendetwas davon veröffentlicht wurde, ging es um meine Adoleszenz. Es ging um Angst und Beklemmungen, Liebe und Tod. Eigentlich die gleichen Themen, über die ich noch heute singe. Ich glaube darüber kann man immer schreiben. Aber jetzt bin ich disziplinierter und schreibe regelmäßiger, so dass ich viele Songs wegwerfen kann und trotzdem noch gute übrig habe.

Wie kannst du da voll und ganz im Moment leben, wenn du rund um die Uhr an neuen Songs schreibst?

Naja, der Schreibprozess ist nicht ganz so romantisch. Ich glaube nicht, dass ich etwas verpasse. Weißt du, es regt mich auf, dass in Filmen über Musiker das Schreiben immer so wahnsinnig sexy und mysteriös rüberkommt. Ich meine, es ist irgendwie schon mysteriös. Aber nicht auf eine sexy Art und Weise. Es ist eher eine Art Digestion. Es kleidet Menschen, die nicht auf eine normale Art und Weise verarbeiten und auch nicht so denken wie es normale Menschen tun. Sie brauchen das Schreiben damit das, was in ihrem Kopf ist, Sinn ergibt. Man schreibt nicht über das, was um einen herum ist. Sondern darüber, was um einen herum ist, interpretiert von dem komischen kleinen Gehirn. Es geht immer um das Separatsein. Wenn man schreibt, kann man nicht voll und ganz in der Welt sein. Es ist es ein losgelöster Prozess für losgelöste Menschen.

Fällt es dir schwer die Arbeit an einem Album abzuschließen? 

Man wird besser. Auch darin, ein Album so lange nicht gehen zu lassen bis man es genau da hat, wo man es haben will. Wir haben es dieses Mal langsam angehen lassen. Jetzt sind wir sehr stolz darauf und können es heraus in die Nacht fliegen lassen. Es ist gut weitermachen zu können. Zuvor fiel es schwer an irgendetwas anderes zu denken. Ich habe anderthalb Jahre daran geschrieben und dann haben wir 6 Monate lang aufgenommen – das beinhaltete noch nicht einmal den Mix. Es fühlte sich wirklich wie eine mutierte Kreatur an, die vernachlässigt in der Ecke sitzt. Selbst wenn ich versucht habe etwas anderes zu tun oder etwas anderes ernst zu nehmen, spürte ich es im Nacken.

Nachdem Rough Trade eure ersten 3 Alben veröffentlichte, wird „Time Stays, We Go“ auf eurem eigenen Label Pitch Beast Records erscheinen. Inwiefern seid ihr nun tatsächlich freier und wo sind Grenzen spürbar?

Wir sind in jeder Hinsicht freier. Allein weil weniger Leute involviert sind. Rough Trade war gut zu uns und richtig für diese Zeit. Doch nachdem wir schon 2 Alben dort veröffentlicht hatten, lernten wir die Leute besser kennen und das war ein Desaster. Es schien uns der richtige Zeitpunkt zu sein es selbst auszuprobieren. Wir kennen genug Leute, denen wir vertrauen können. Aber es bleibt trotzdem ein großes Experiment.

Wenn weniger Leute involviert sind, ist es zumindest leichter auf genau die Person den Finger zu richten, die das Desaster angerichtet hat.

Dann muss wohl jeder auf mich zeigen. Aber das ist in Ordnung. Irgendwie ist das sogar der beste Teil daran. Man kann niemand anderen die Verantwortung zuschieben. Weißt du, ich habe dieses Album zum ersten Mal auch mitproduziert und es gibt da so viele Rollen zu spielen. Zum Beispiel muss man jemandem die Illusion geben, die finale Kontrolle über etwas zu haben, so dass man selbst dafür nicht endgültig richten muss. Wobei das natürlich genau das ist, was man die ganze Zeit tut. Denn wer auch immer ein Album produziert, der kümmert sich nicht auf die gleiche Weise wie man selbst um das Resultat. Ein anderer macht einfach weiter und produziert das nächste Album. Aber man selbst bleibt für immer mit diesen Alben zurück. Das Label ist eine gute Antwort darauf.

Hattest du das Gefühl, dass deine Fähigkeiten als Produzent in irgendeiner Weise limitiert waren?

Ich habe es langsam angehen lassen. Aber ich konnte mir bereits bei den drei vorherigen Alben einen Eindruck davon machen wie man produziert. Gleichzeitig bin ich froh, dass ich nicht schon unser erstes Album produziert habe. Das hätte ein Desaster werden können. Jetzt habe ich mich dafür bereit gefühlt. Zumindest zum Koproduzieren. Wir hatten ja noch Adam Greenspan. Es war also nicht ich allein, der ungefähr ein Jahr lang nur das gehört hat und sonst nichts. Da war es gut jemanden mit ins Boot zu holen, der frischen Wind in die Sache bringt. (wechselt in den Flüsterton und trommelt unentwegt mit den Fingern auf den Tisch) Also ja….

Du wirkst nervös.

Ja, ein bisschen. Aber so wie ich jetzt gerade bin, bin ich eigentlich immer. Das hat nicht so viel mit dem Label zu tun. Und ich habe einen Kater… Ich stelle es mir übrigens sehr interessant vor Interviews zu führen.

Wen würdest du interviewen wollen?

Einen Naturwissenschaftler stelle ich mir im Gespräch ganz spaßig vor. Da würde ich versuchen mit viel Charme zu punkten, ohne am Ende echte Frage gestellt zu haben. Auf jeden Fall würde ich jemanden interviewen wollen, der in einem Bereich arbeitet, über den ich nichts weiß und wo ich mir auch völlig fehl am Platz vorkommen würde. Aber niemanden aus der Musik- oder Filmbranche. Schauspieler sind so langweilig! Ich lese mir auch keine Interviews mit Schauspielern durch, weil sie einfach nichts zu sagen haben. Sie sind fast so schlecht im Interview wie Musiker.

Wie kommst du darauf?

Wenn ich Interviews mit Musikern lese, und das kommt nicht oft vor, habe ich das Gefühl sie wüssten nicht worüber sie sprechen. Ich habe mal einen passenden Spruch dazu gehört. Musikjournalismus bedeutet: Menschen, die nicht schreiben können, sprechen mit Menschen, die nicht sprechen können für Menschen, die nicht lesen können. Es scheint etwas Wahres dran zu sein. (lacht) Erst neulich habe ich mir auf BBC Interviews aus den 40er und 50er Jahren angeschaut, wo sich ein jeder sehr gut artikulierte und rasierklingenscharf sprach. Gleichzeitig hatten viele Menschen noch nicht gelernt wie es ist, interviewt zu werden. Weshalb selbst große Filmstars sichtlich nervös waren. Sie hatten noch nicht diese ganze PR-Maschinerie hinter sich und keine vorarrangierten Antworten. So wurde zum Beispiel über Alkoholismus geredet und all diese raren menschlichen Dinge wurden zum Vorschein gebracht. Für mich macht so etwas ein Interview wertvoll.

Mich würde interessieren wie du aufgewachsen bist.

Ich bin größtenteils bei meiner Mutter aufgewachsen. Eine Single-Frau mit 3 Kindern. Meine Eltern haben sich getrennt als ich 2 Jahre alt war. Aber ich hatte eine gute Beziehung zu meinem Vater. Wir sind viel umgezogen, was einen großen Effekt auf mich hatte. Als ich 5 war, sind wir nach Neuseeland gegangen während mein Vater in London blieb. Ich habe dann eine Weile in Neuseeland und auch eine Zeit lang bei meinem Vater gelebt. Irgendwie saß ich zwischen den Stühlen. Immer diese langen Distanzen, die ich überfliegen musste, um auf die andere Seite der Welt zu kommen. Das ist schon sehr extrem. Aber meine Eltern waren immer sehr ehrlich zu mir und haben mich nie versucht zu disziplinieren. Sie waren eher an experimenteller Elternschaft interessiert. Irgendwie waren sie Hippies. Oder Punks. Zumindest war mein Dad in Punk-Bands. Sie haben mich fortwährend in ihre Sachen einbezogen, was schön war. Mein Vater nahm mich zum Beispiel einmal mit zu so einer Art Schriftsteller-Camp. Oder wir sind gemeinsam nach Wales gefahren, haben in Tipis übernachtet und Schwitzhütten ausprobiert. Geheimnisse gab es keine. Und sie hatten ein ziemlich kompliziertes Liebesleben. Das war nicht nur verwirrend für mich, sondern auch furchterregend. Wenn man noch so jung ist, dann versteht man noch nicht die Komplexität von Erwachsenenbeziehungen. Ich habe viel Zeit damit verbracht, herauszufinden was da um mich herum vor sich geht und wer all diese Leute sind. Ich habe mir Fragen gestellt wie: Ich dachte sie liebt ihn, aber wieso hat sie mit einem anderen Typen Sex? Dennoch war ich sehr glücklich, weil meine Eltern so liebevoll waren und immer nur das Beste für mich im Sinn hatten. Durch sie wusste ich eine Menge, was ich vielleicht auch nicht zu der Zeit hätte wissen wollen. Dadurch bin ich später mit dem Gefühl in Beziehungen gegangen bereits in 10 gewesen zu sein. (lacht) Trotzdem bin ich schrecklich in Beziehungen.

Welche Werte haben dir deine Eltern mit auf den Weg gegeben?

Am wichtigsten war ihnen Ehrlichkeit und Wissen. Sie sind sehr clevere, belesene und gut artikulierte Menschen. Viel, viel mehr als ich. Sie beeinflussten mich hinsichtlich der Musik und der Kunst. Sie sind ja auch beide Künstler – mein Vater ein Großteil seines Lebens und meine Mutter mehr als sie noch jünger war und noch mit Mode zu tun hatte. Und sie vermittelten mir, dass man sich selbst treu bleiben muss. So kitschig das auch klingen mag.

Und umso schwieriger einzuhalten.

In einer Band ist das einer der größten Kämpfe. Insbesondere wenn man noch jünger ist, versuchen manche Menschen einen immer wieder in irgendwelche Ecken zu schieben, wo man eigentlich nicht hin will. Das ganze Musikbusiness ist so strukturiert, dass es leicht fällt junge Künstler zu manipulieren. Um nicht zu irgendwelchen Sachen gedrängt zu werden, haben wir unser Label gegründet. Wir wollen Kontrolle über unser Schaffen haben.

Ist deine wohl überlegte Wortwahl ein Teilaspekt deines Wunsches nach Kontrolle?

Ich mache Dinge nicht gern ohne Grund. Und oftmals verstehe ich nicht den Sinn von Interviews. Es ist schön mit dir zu reden, aber manchmal können Interviews auch eine komplette Zeitverschwendung sein. Da erscheint eine simple Pressemitteilung passender. Wobei es ganz interessant für mich ist, was ich so sage, wenn ich versuche meine Gedanken zu artikulieren. Über die meisten Dinge denke ich sonst nicht so nach. Dies ist also eine kostengünstige Therapie für mich. (lacht)

Interview und Fotos: Hella Wittenberg

„Time Stays, We Go“ ist am 26. April 2013 erschienen.


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