Interview mit Kashmir

Kashmir machen nicht erst seit gestern die Musiklandschaft unsicher. Heute erscheint das siebte Studioalbum “E.A.R.“. Während Schlagzeuger Asger Techau und Bassist Mads Tunebjerg zuhause in Dänemark weilten, kamen Henrik Lindstrand (Keyboard, Gitarre) und Kasper Eistrup (Sänger, Gitarre) nach Deutschland um bei TV Noir zu spielen und einen Tag mit – wie sie es auf Facebook sagten – „talking to some lovely German Press folks“ zu verbringen. Wir waren ein Teil davon und hoffen, dass euch das Interview soviel Freude bringt wie uns.

Für mich fühlt es sich so an als ob ich euch schon seit Ewigkeiten kenne, aber gleichzeitig denke ich, dass ich erst sehr spät auf euch gestoßen bin. Das erste Mal habe ich euch bei Denmark @ Popkomm im Jahre 2005 gesehen und trotzdem denke ich, dass ich euch zu spät entdeckt habe, da ihr schon seit 21 Jahren dabei seid…

Kasper: Ja, das ist wahr. Wir haben ’91 angefangen.

Wie ist es, immer noch mit von der Partie zu sein?

Kasper: Es ist gut, es ist großartig, es ist besser als jemals zuvor. Wir haben das Gefühl, dass wir eine viel bessere Band geworden sind. Wenn wir auf unsere sieben Alben zurückblicken, dann sind wir besser darin geworden unsere Ressourcen zu nutzen. Wir sind vier Typen in der Band und vier verschiedene Charaktere. Und obwohl wir so lange zusammen sind und obwohl wir uns in vielerlei Hinsicht als Familie fühlen, sind wir immer noch vier verschiedene Menschen. Wir sind wie eine Boyband mit vier verschiedenen Charakteren: da gibt es den kleinen Dünnen, den Großen, den gutaussehende Medientypen und den herumtanzenden, dicklichen Typen. Das ist nur ein Witz, aber wir haben alle sehr verschiedene musikalische Einflüsse und Dinge, die wir tun. Bei diesem Album habe ich das erste Mal das Gefühl, dass wir es schaffen all die verschiedenen Informationen zu vereinen. Während viele Bands älter werden, neigen sie dazu sich zu viele Sorgen darüber zu machen, dass sie ihr Leben finanzieren müssen. Sie müssen ein Album aufnehmen um auf Tour gehen zu können, um im Radio gespielt zu werden, um davon mit ihren Familien leben zu können und ihre Interessen, ihr Auto und das alles bezahlen zu können. Ich kann mit Stolz sagen, dass dies nicht der Ausgangspunkt für unser Album war. Wir haben uns selber gefragt, ob die Welt ein weiteres Kashmir Album braucht oder ob es nur darum gehen würde, ein weiteres Kashmir Album aufzunehmen. Und die Welt brauchte ein weiteres Kashmir Album… zumindest denken wir das, aber die Zukunft wird es zeigen.

Wieso habt ihr aufgehört mit euren amerikanischen Produzenten zu arbeiten?

Henrik: Ich denke, dass die Zeit reif war um zur gleichen Herangehensweise wie 2003 beim Album „City Lights“ zurückzukehren. Das war der Punkt an dem wir unser eigenes Studio in Kopenhagen bekommen haben und wir entschlossen uns dazu, das Album selber zu produzieren. „E.A.R.“ hat in vielerlei Hinsicht Ähnlichkeiten zum Arbeitsablauf von damals, aber wir sind ein bisschen weiter gegangen. Wir sind auch ein bisschen älter und haben daher auch aus unseren Fehlern gelernt. Von den großen Produzenten weg zu gehen war wichtig, um der Anfangsidee näher zu kommen. Es war der Weg um der direkten Art Musik zu machen treu zu bleiben: einen Einfall zu haben, am gleichen Tag aufzunehmen und es dann genau so zu behalten. Keine Angst davor zu haben etwas zu haben, dass vielleicht nicht ganz perfekt ist.

Ist es schwer den Song einfach so zu lassen wie er ist und nicht eine Woche später auf ihn zurückzukommen und zu sagen, dass man hier und da doch noch was ändert?

Henrik: Es ist immer schwer, weil es heutzutage so einfach ist – einmal an den Computer gehen und man hat den Song wieder und kann wieder anfangen Sachen hinzuzufügen. Wenn man selber in der Musik drin ist, kann es man manchmal schwer sein, den richtigen Zeitpunkt zum Aufzuhören zu finden. Aber wir waren diesmal sehr bemüht, der Anfangsidee treu zu bleiben. Vieles auf dem Album ist der erste oder zweite Versuch, der aufgenommen wurde – manchmal eine Stunde nach dem der Song geschrieben wurde. Wir hatten keine Angst davor, kleine Fehler drauf zu lassen. Wir waren nicht auf der Suche nach Perfektion, wir waren auf der Suche nach Ehrlichkeit und unmittelbarem Ausdruck.

Kasper: Es sind Fehler, die die Kunst besonders machen. Ich denke, es gibt einen buddhistischen Spruch über das Thema, der besagt, dass man mindestens drei Fehler im Kunstwerk lassen sollte, da man, wenn man nach Perfektion strebt, nach Indifferenz strebt und das ist wirklich wahr. Das gilt auch für die visuelle Kunst. Deswegen denke ich, dass es wichtig ist manchmal schnell zu arbeiten, nicht zu viel aufzuwenden, nicht zu viel drüber nachzudenken und die Musik, das Herz und die Gänsehaut den Weg leiten zu lassen.

Macht ihr euch wenn ihr Songs aufnehmt Gedanken darüber, wie ihr sie auf der Bühne abliefern werdet? Oder ist das weit, weit weg in der Zukunft?

Beide: Nein.

Henrik: Nein, aber es kommt jetzt eine vierwöchige Phase auf uns zu, in der wir proben und schwer arbeiten müssen um herauszufinden wie wir die Songs live spielen können, weil wir keinen Gedanken daran verschwenden, wenn wir sie aufnehmen. Es geht dann nur um das Album und die Musik und was dir in den Kopf kommt, dass du aufnehmen möchtest. Mit den Konzerten muss man sich erst im Nachhinein beschäftigen. Einige der Songs können auf eine komplett neue Art und Weise gespielt werden. Wir erlauben uns, sie zu reduzieren oder umzusetzen oder was auch immer. Gestern traten wir bei TV Noir auf und spielten zum ersten Mal drei neue Song nur auf dem Klavier und der Gitarre. Es ist zwar eine andere Ausdrucksweise, aber es sind immer noch die gleichen Songs.

Ich habe mal gehört, dass ihr verschiedene Instrumente spielt, wenn ihr die Songs aufnehmt. Habt ihr dabei jemals denjenigen, der das Instrument live spielt, gefragt, ob er es dann auch spielen kann? Oder muss er einfach damit klarkommen?

Kasper: Naja, so stolz sind wir da nicht drauf. Natürlich ist Mads ein besserer Bassist als ich und Asger ist ein besserer Schlagzeuger als Henrik. Es geht mehr um die bestimmte Rolle, die gespielt wird. Wenn es da also eine schöne Phrasierung beim Bass gibt, dann wird der Bassist die beste Phrasierung auswählen und wenn es sie Phrasierung ist, die den Songs trägt, dann ist es egal wer die Idee dazu hatte.

Henrik: Wenn zwei Jungs ohne den Schlagzeuger im Studio sind und der Song nach Schlagzeug verlangt, dann geht man halt hin und versucht es und sieht es sich später nochmal an, wie zum Beispiel bei „This Love, This Love“, auf dem ich Schlagzeug spiele. Es war nicht so beabsichtigt, aber irgendwie hatte es einfach die richtige Energie, weil es so frisch war und es den Song vervollständigte. Der Tag hatte etwas magisches, das wir hinterher nicht mehr herstellen konnten. Es ist egal wer was spielt. Die anderen spielen auch viel Keyboard auf dem Album und es ist egal.

Kasper: Die Idee ist der ausschlaggebende Faktor. Wenn die Idee gut ist und die Performance OK, dann nehmen wir es. Und das ist eines der wunderbaren Dinge am Älter werden, man muss nicht mehr so sein wie: „Ich bin es! Ich bin der verdammte Gitarrist! Ich werde….“. Man ist eh ein Teil davon, es ist ein Album und eine Leistung der Band.

Es ist ja nicht so, dass ihr aufschreibt wer was in jedem Song gespielt hat…

Kasper: Wir haben die Idee fallen lassen. Wir hatten darüber gesprochen das zu tun, aber es wäre einfach zu verrückt.

Ich denke, Queen hat sehr lange Zeit immer genau aufgeschrieben wer was geschrieben hat…

Kasper: Das werden wir machen. Wir werden sagen wer was auf dem Album geschrieben hat…

Henrik: …aber nicht wer was gespielt hat. Man muss Listen für das Plattenlabel ausfüllen – keiner wird es sehen, aber man muss es für jeden Song einzeln ausfüllen. Es war wirklich schwer bei diesem Album. Ich habe mir jeden auf dem Computer angesehen und dachte nur wer hat wohl Keyboard auf diesem Song gespielt…

Kasper [zu Henrik]: Hast du das gemacht?

Henrik: Naja, wir mussten es. Alle Alben brauchen das. Asgar und ich haben uns gegenseitig geholfen.

Kasper [grinst]: Das würde ich nicht gerne sehen.

Henrik: Ich singe auf jedem Song.

Kasper: Und ich habe nur Gitarre gespielt. [alle lachen]

Der Song, der direkt bei mir hängen blieb war ist „Peace In Our Time“, weil er an die alten politischen Songs erinnert, diese Folk Stimmung hat und trotzdem eure Note besitzt. Ich habe mich gefragt, ob das wohl die Inspiration war, da ihr zwar Songs in diese Richtung habt, aber nicht…

Kasper: …nicht viele, nein. Für mich ist er verwandt mit anderen Songs, die wir gemacht haben. Er ist ein wenig verwandt mit dem Song „Danger Bear“ vom letzten Album und vielleicht „The New Gold“ von „City Lights“. Ich bin ein großer John Lennon Fan und beneidete ihn immer um die Art wie er seine Wut und seine Frustrationen darüber wie die Welt ist in Worte hüllte. Ich hatte etwas zu sagen, nämlich dass es ein Ungleichgewicht in der Welt gibt. Ich weiß, dass es ein altes Thema ist, da John Lennon und viele andere Protestsänger das schon seit vielen Jahren sagen, aber ich finde es nunmal interessant, dass wir soviel über Demokratie reden, wenn Demokratie nur ein Konzept ist.

Als ich ihn das erste Mal gehört habe, kamen Bilder von der Occupy Bewegung und dem Arab Spring in meinem Kopf hoch. Ich denke auch nicht, dass es mittlerweile genug Songs über das Thema gibt, weil es viele immer noch nicht realisiert haben.

Kasper: Man kann es nicht oft genug sagen. Stimmt. Aber es ist schwer sich auf diese Welt einzulassen. Für mich ist es schwer, weil ich mich in meinen Texten eher auf die Poesie, den Verlust der Liebe oder das Finden von Liebe oder den Verlust von Freundschaft oder die Frustrationen von Freundschaften und Beziehungen konzentriere. Es ist etwas ganz anderes zu sagen, dass man eine Botschaft an die Welt hat, weil man von vielen überprüft wird, was man da sagen will und wie viel man über das Thema weiß. Das ist etwas vor dem man nicht zu viel Angst haben sollte, weil man als Künstler tun kann was man will und sagen kann was man will. So sollte es sein. Das ist das Wichtige an Kunst und es ist die eigentliche Antwort auf die Frage, wieso Kunst wichtig ist. Sie kann unzeitgemäß sein, sie kann grundlos sein, sie kann das kommentieren, was auch immer der Schaffende im Kopf hat. Diese kleine Insel der Freiheit kann den Rest der Idioten dazu inspirieren, Dinge auf eine andere Art zu machen.

Wieso habt ihr Marco Mazzoni für die Illustration des Covers gewählt?

Kasper: Ich bin seit vielen Jahren sehr in die visuelle Seite vom Artwork involviert. Es war ein Zufall. Ich habe nur das Internet ein wenig nach Galerien und Künstlern, die ich mag, durchstöbert. Das mache ich viel, wenn ich gelangweilt bin. Und dann bin ich über einen Künstler namens Marco Mazzoni gestolpert und in dem Moment, in dem ich seine Kunst gesehen habe, dachte ich, dass sie die visuelle Verkörperung unseres Sounds auf diesem Album ist. Ich dachte einfach „Oh, das ist großartig“. Ich dachte, es wäre großartig, eines seiner Bilder für das Cover zu benutzen. Ich habe es den Jungs gezeigt und sie sagten wow. Sie haben es absolut geliebt und haben völlig zugestimmt.

Was denkt ihr ist die Verlinkung zwischen eurer Musik und seiner Kunst?

Henrik: Ich denke, es ist sehr romantisch und trotzdem düster und melancholisch. Ich meine, es ist sehr vielschichtig in der Art wie diese ganzen Dinge an das Gesicht der Frau gehaftet sind, so wie unsere Musik auch aus vielen Schichten besteht. Und ich werde nicht müde es zu betrachten. Ich kann es anschauen und finde viele neue Dinge. Es gibt viele kleine Details, bei denen ich denke, dass sie auch unsere Musik verkörpern.

Kasper: Und es war wunderbar für mich loszulassen und zu sagen „OK, jemand anders kümmert sich darum“.

Als ob der der Druck von dir genommen wurde?

Kasper: Ja, weil es ist immer… es ist eines meiner Lieblingsparts beim Herstellen eines Albums, weil man am Ende des Aufnahmeprozesses angekommen ist. Ich habe es immer als einen Spielplatz empfunden, bei dem man seiner Musik ein Gesicht verpasst. Man findet die richtige Schriftart, in der alles geschrieben wird und setzt es zusammen. Ich liebe diesen Teil einfach und ich hätte es auch geliebt etwas für dieses Album zu zeichnen, aber es fühlte sich einfach so an als ob…. Ich habe es gesehen und wusste das ist es. Wir haben ihn gefragt, ob er es machen würde und er hat zugesagt. Es war sehr schwer an ihn ran zukommen. Ich sendete ihm eine lange E-Mail und sie landete in seinem Spamfilter. Für lange Zeit konnten wir ihn nicht erreichen, aber plötzlich hat er geantwortet und das Cover speziell für uns gemacht. Er hörte die Musik während er es herstellte.

Vielen Dank für das Interview!

Kashmir werden am 22. März ihr siebtes Studioalbum „E.A.R.“ veröffentlichen und kommen anschließend auf Deutschlandtour.

09.04. Hamburg, Übel und Gefährlich
13.04. Köln, Gebäude 9
18.04. München, Hansa 39
20.04. Berlin, Postbahnhof

Kashmir
Marco Mazzoni
Interview: Dörte Heilewelt
Fotos (c) Katrine Berglund Rohrberg


Flattr this