Radiohead. Mit diesem Namen öffnet sich für mich jedes Mal eine Kiste voller Geschichten und Gefühle. Ich begleite diese Band nun schon seit 15 Jahren. Oder sie mich. Und viele meiner Lebensereignisse, viele meiner ganz persönlichen Entscheidungen im Leben waren unterlegt mit ihren Songs. Das mag man eine recht eigenwillige Beziehung nennen, und mitunter kommt auch mir mein Verhältnis zu dieser Band ein wenig zu überladen vor, aber aus meiner Geschichte, und sei es auch nur meine musikalische, kann ich nicht einfach fliehen. Nein, Radiohead ist ein Teil meiner Sozialisation und kein unbedeutender. Nun standen also nach langer Zeit endlich wieder zwei Konzerte in Berlin an und ich musste mit Entsetzen feststellen, dass ich zu beiden Terminen gar nicht in der Stadt war. Ohne jetzt das Schicksal überstrapazieren zu wollen, und in diesem Fall wäre das auch eine makabere Wendung, kam es dann doch durch ein tragisches Ereignis auf der Tour zu einer Verschiebung beider Konzerte hinein in den September und so klappte es doch noch
Der Himmel war leicht bewölkt, die Temperaturen gerade noch erträglich und schon die Fahrt in die Wuhlheide mit der S Bahn war mitunter seltsam. In meinem Wagon befanden sich eigentlich ausschließlich Menschen aus alles Welt. Ich hörte viel Polnisch, Russisch, Englisch, Italienisch, Spanisch und hier und da ein wenig genauso verwundertes Berlinerisch. Wie als würde es sich hier um die einzigen zwei Konzerte in ganz Europa handeln, oder als hätten sämtliche Hostels Berlins Freikarten bekommen. Noch absurder fühlte sich der Weg durch den Wald zur Freiluftbühne an, eine alte Naherholungszelle alter Ostzeiten mit diesem so verwittertem Charme untergegangener Königreiche, bereits mit ersten Klängen Radioheads aus diversen Boxen kleinere Getränkehändler untermalt. Die Gänsehaut meldete sich also schon früh an. Wir alle waren früh da, da die Vorband bereits um 19 Uhr spielen sollte, um die strengen Nachtruheregelungen der Wuhlheide nicht zu untergraben und das Konzert möglichst um 22 Uhr beenden zu können. Und so saß ich pünktlich um 18 Uhr auf meinen Lieblingsstufen in diesem postsozialistischen Amphitheater, direkt unterhalb des Mischers und genau so hoch um gerade so über die stehende Menge schauen zu können. Zwei Freunde aus Hamburg, die sich in der Nacht zuvor spontan entschieden hatten los zu brettern, fanden sich auch ein und tatsächlich hämmerten die ersten Beats der Vorband CARIBOU um 19 Uhr in die Menge. Großartige Vorband. Großartige Wahl. Wobei Band missverständlich klingt, denn eigentlich handelt es sich nur den Kanadier Daniel Victor Snaith, der sich live ein wenig Unterstützung mitbringt. Melodiös angehauchter Indie Clubdance. Elektro aus dem Tagebuch. Die ersten Leute fingen an zu tanzen und CARIBOU haben in gewissen tanzlastigen Kreisen tatsächlich zwei Hits hinterlassen, die von den wenigen Kenner dann auch frenetisch gefeiert wurden – „Sun“ und natürlich „Odessa“. Die Stimmung wurde immer aufgeladener. Die Lichtshow bestand eigentlich nur aus Strahlern, die rotierend mal Richtung Publikum, mal Richtung Himmel gerichtet die vernebelte Luft zerschnitten. Erste Tranceartige Energie füllte die Ränge. Nach gut einer Stunde verabschiedete sich CARIBOU unter jetzt schon begeistertem Applaus, und die Erwartung an die Nacht wuchs noch weiter, wurde immer greifbarer. Der Sound war exzellent und für Open Air Verhältnisse mit enormem Druck ausgestattet. Es war also alles bereitet für die Messe, die folgen sollte und als um 20.30 Uhr die ersten Klänge von „Lotus Flower“ erklangen, brach der Sturm an Erwartungen, den ich so gut von Livekonzerten dieser Band kenne, sich seine Bahnen. Was nun folgte waren über 2 Stunden Musik, Gefühl, Gedanken und Tanz, die zu beschreiben ganz schwer fällt.
Ich bin kein religiöser Mensch und auch die Projektion, die immer mitschwingt bei der Verehrung einer Band und ihrer Musik ist mir bekannt, und doch habe ich bei Livekonzerten Radioheads schlicht so etwas wie ein Erlösungserlebnis, Es tut mir leid, aber unpathetischer kann ich es nicht ausdrücken. Die Setlist stammte fast allesamt von den letzten drei Platten und wurde bereichert von vier oder fünf Songs ,die erst im Laufe diese Jahres entstanden sind und vielen vermutlich unbekannt vorkamen. Der neuste aus dieser Reihe heißt „Ful Stop“ und ist gerade ein paar Wochen alt. Das allein ist weniger erstaunlich als die Tatsache, dass diese neuen Songs fast extatischer gefeiert wurden als mach bekannter Song. Auch wenn natürlich Klassiker wie „Paranoid Android“ , „Pyramid Song“ oder „Everything Is In The Right Place“ nicht fehlten, allerdings live teilweise in einander verwoben, mit neuen Intros ausgestattet und bis zu 10 Minuten gespielt wurden. Es war irgendwann allen so ziemlich egal wie diese Songs nun hießen, wie alt oder neu sie waren. Wir wollten uns dem nur noch hingeben.
Die Bühne bestand aus einer Reihe von aufgehängten LED Flächen in Quadratischer Form, die jeweils verschiedene Perspektiven auf die einzelnen Musiker zeigten. Quasi ein flimmerndes Memoryspiel aus den Musikern. Hinter der Band eine einzige Große LED Fläche, die mal orange, mal blau oder grün verschiedene Muster und Lichtverläufe zeigte. Gesehen haben das viele allerdings nur noch am Anfang und Ende eines Songs, denn die meisten waren längst von ihren Stufen aufgestanden und tanzten mit geschlossenen Augen und zuckenden Bewegungen inmitten dieser Soundwolke in ihre ganz eigenen Befindlichkeiten hinein.
Und das unterscheidet Radiohead vielleicht auch von anderen Bands. Man fühlt sich hier allen verbunden und bleibt trotzdem bei sich. Seinen Empfindungen. Wohlwissend, dass der Mensch neben dir seine ganz eigene Geschichte mit dieser Band hat und sie genauso schwer beschreiben kann. Es ist die Mischung aus Pathos, Gefühl, Hingabe auf der einen Seite, und dem eher mentalen Respekt jedem anderen gegenüber auf der anderen.
Zusammengenommen also genau die Eigenschaften die ich von Menschen erwarte die sich nicht zu schade wären eine neue Welt auszuprobieren. Ein Postkommunismus und sein Soundtrack. Die Verbindung von Intelligenz und Rave. Das sind Radiohead 2012. Mit dem schmerzerfüllten Indie der ersten Platten Radioheads hat das kaum noch was zu tun. Seit Jahren bereits tanzt die Band zurück. Und es ist eine gute Waffe!
Ich kann jedem Leser nur raten sich einmal in seinem Leben diese Band live anzusehen. Er wird es so schnell nicht vergessen.
War dabei: Marcus Reinhardt
Fotos: Hella Wittenberg