Gehört: „Dr Dee“ von Damon Albarn

Damon Albarn Dr DeeMit “Dr Dee” stellt Blur-Legende Damon Albarn die Treue seiner Fans mal wieder auf eine harte Probe. Erst die Hip-Hop-Ausflüchte seiner Comic Band Gorillaz, dann die Experimentierfreudigkeit mit malinesischer und afrikanischer Musik. Was kann da noch schlimmer sein?, fragt sich der traditionsbelastete Britpop-Verehrer, der seine Ikone immer mehr verkommen sieht. Antwort: eine Oper. Dass sich der Trendsetter der 90er Jahre-Jugend mal auf eine „uncoole“ Oper einlassen würde, lässt seine Anhänger schon an Hochverrat glauben. Zumindest ist Mr Albarn weder jung noch braucht er das Geld, das heißt, er sollte wissen, was er tut. Bislang waren die meisten der unzähligen Soloversuche des 44-jährigen Popstrebers mit Hang zur Extrovertiertheit nicht auf Kommerz aus – und enttäuschten in dieser Hinsicht auch nicht. Einzige glorreiche Ausnahme, die besagte Britpop-Verehrer wieder aufatmen ließ, war die Album-Kollaboration „The Good, The Bad & The Queen“ (2007), die sowohl mit aussagekräftigen Lyrics, bezaubernder Stimme als auch mit malerischem Gitarrenspiel aufwartete. Diese drei Elemente machten gerade den Britpop so liebenswert und bauten gleichzeitig eine Grenzmauer zu „Schandtaten“ wie Hip Hop, Opern und klassischer Musik auf.

Albarns Mauer hat bereits in Blurs letzten gemeinsamen Jahren einige Risse davongetragen und wird nun gänzlich zum Einsturz gebracht. Das musikalische Chamäleon hat es sich zur Aufgabe gemacht, alles einmal auszuprobieren. Manchmal zur Freude, manchmal zum Leidwesen seiner Fans. Mit der Oper „Dr Dee“ hat sich der geschichtsbesessene Brite nun vorgenommen, seiner „Britishness“ auf den Grund zu gehen und erzählt in 18 Stücken aus dem Leben des englischen Wissenschaftlers und Beraters Elizabeth I. Ein Gemisch aus Folkpop, Renaissance-Klängen und moderner E-Musik lassen den vor 400 Jahren verstorbenen Hobby-Okkultisten wieder lebendig werden. Während Dr John Dee mittels Engelskommunikation die Universalsprache der Schöpfung zu ergründen versuchte, lassen sich Parallelen zu Albarn, dem Jäger der verlorenen Universalsprache der Musik, erkennen.

Der Opener „The Golden Dawn“ ist wenig goldig, zeigt aber zu Beginn schon, was das Album eigentlich nur ist: ein Soundtrack und kein vollwertiges Künstleralbum. Geschlagene vier Minuten lauschen wir also Vogelgezwitscher, Kirchenglocken und depressiver Orgel. Albarn geht tatsächlich back to the roots zu Kirchenchorälen und englischem Folk. Hat man sich einmal auf das Experiment eingelassen, wird man von Albarns unverkennbarer Stimme in den Bann der mystischen Atmosphäre gezogen. Trotz Melodielosigkeit und Instrumentenspartanismus lassen sich einige Highlights in „The Marvelous Dream“ oder „Apple Carts“ entdecken. Wer mutig bis zum Ende gehört und sich nicht von sporadisch auftauchenden Sopranistinnen hat irritieren lassen, wird feststellen: „Dr Dee“ ist ein typisches Albarn-Album: unberechenbar, gewöhnungsbedürftig, anders. Man fühlt sich nach dem Hören zwar nicht so british, wie Damon es sich erhofft hat, und es ist definitiv auch kein Gute-Laune-Album. Dennoch strahlt das Album sowohl Multitalent als auch Damon-typische Selbstüberschätzung aus, was wir bereits zu Blur-Zeiten so liebgewonnen haben, und wir stellen erleichtert fest, dass vor allem bei letzterem noch alles beim Alten ist. Mit Spannung wird erwartet, was das Repertoire des Künstlers sonst noch für uns in petto hat. „Go let it out, Damon!“


Künstler:  Damon Albarn
Titel:  Dr Dee
VÖ:  04. Mai 2012
Label:  Parlophone / Capitol


Gehört von: Melanie May