Henry Rollins im Interview

„Manchmal vermisse ich die Musik, aber mein Bauchgefühl sagt mir, dass es hinter mir liegt und dem habe ich zu gehorchen.“

HenryRollins1Henry Rollins ist durch viele Dinge bekannt geworden. Er macht Musik und besonders Black Flag und Rollins Band sind den Leuten bekannt. Das Video zu „Liar“ von der Rollins Band ist eines der wenigen, die sich in den 90igern in mein Hirn gebrannt haben. Dann ist er noch Schauspieler und hat in diversen Filmen und Serien wie „Sons Of Anachy“ mitgespielt. Und zu guter Letzt ist er ein Reisender, ein Berichtender, ein Spoken Word Künstler. Er redet auf einer Bühne zu seinen Fans und berichtet von Orten, die man bestenfalls aus den Nachrichten kennt oder mitunter auch nicht. Er spricht über aktuelle Themen und schafft es dabei, einen auch zum Lachen zu bringen und viel wichtiger zum Nachdenken. Er provoziert. Er ist ehrlich. Und mit jedem Lebensjahr, das er bewältigt hat, wird er wütender. Aber er regt mitunter auch dazu an, seinen eigenen Standpunkt nochmals völlig zu überdenken und alles von einer anderen Seite zu betrachten. Ich erinnere mich an Auftritte bei denen er erzählte wie schlecht es einigen Amerikanern geht, die sich nicht mal eine Waschmaschine „einfach so“ leisten können oder was er über die Zensur einiger Bücher etc. in Deutschland denkt – egal was für Bücher es sind, egal ob er dem Inhalt zustimmt oder ob es eine Holocaustverleugnung ist. Seine Shows sind Futter für das Hirn, keine blödsinnige Comedy, die immer in die gleiche Kerbe haut. Das ist einer der vielen Gründe, wieso ich Henry Rollins so bewundere.

Er kommt mit seinem neuen Programm „The Long March“ auf Europatour und hält auch ein paar Mal in Deutschland an. Im Vorfeld hatte ich die  Chance ein Interview mit ihm zu führen, „leider“ nur per E-Mail. Mein erstes und letztes Interview via e-Mail – es gibt nur wenige Künstler für die ich meine eigenen Regeln derart verbiege. Viel Spaß beim Lesen.

Hast du jemals darüber nachgedacht, dass Menschen wegen deiner starken Meinung sie einfach übernehmen könnten ohne ihre eigene zu bilden, ohne selber Informationen zu sammeln?

Das kann mit Sicherheit passieren. Vielleicht tut es das. Wenn das der Fall ist, auch wenn es nur eine Person ist, dann ist das eine Schande. Es gibt ein paar Leute, die ich lese oder denen ich zuhöre und denen ich manchmal zustimme oder wenigstens ihrem Urteil vertraue, aber jedes Mal wenn ich mich in einem Thema festbeiße, komme ich mit meiner eigenen Meinung, die viel mehr „ich“ ist als alles von anderen Leute, selbst wenn ich ihnen zustimme. Es braucht Zeit, aber die ist es immer Wert. Wo ist der Spaß ein Gehirn zu haben, wenn jemand anderes das Denken für einen übernimmt?

Denkst du, dass man jede Möglichkeit nutzen sollte, die einem geboten wird und von der man nicht gedacht hast sie je zu machen oder noch nie gemacht hast?

Ich kann nicht sagen, dass irgendeine Sache gut für alle ist. Ich weiß das für mich selber, dass wann immer ich mich in nicht familiäre Gebiete wage, intellektuelle, physische, geographische – es war immer gut für mich. Ich denke auch, dass eine größere Perspektive eine gute Sache ist. Ich weiß nicht wie man das sonst kriegt außer durch Dinge zu tun, die nicht einfach sind.

Während deiner Spoken Word Vorstellungen sprichst du auch über ernste Themen wie Krisengebiete und Kriege und die Menschen lachen darüber – ist das manchmal merkwürdig? Oder ist es OK, wenn Leute am Ende über das Thema nachdenken?

Ich denke Humor erlaubt einen Einblick in Sachen, die auf anderen Wegen zu Intensiv wären, um sie komplett zu registrieren. Ich würde niemals den Einfluss einer Situation verringern wollen oder respektlos gegenüber den Leuten in harten Situationen sein, aber manchmal gibt es ein wenig Humor zu finden. Eine Sache, die ich nie tun würde, ist Humor irgendwo rein zu packen, wo keiner ist. Hoffentlich trage ich diese Themen auf eine Art vor, die Interesse bei den Leuten, die zu Show kommen, weckt.

Hast du, als du angefangen hast jemals daran gedacht, dass du Spoken Word für so lange Zeit machen würdest und durch Länder wie Deutschland tourst, in denen Englisch nicht die Muttersprache ist?

Schon bevor ich mit den Nur-Reden-Shows angefangen habe bin ich ein paar Mal durch Deutschland gereist und wusste, dass viele HenryRollins2Leute dort sehr gute Englischkenntnisse haben. Ich bin überrascht, wie gut meine Shows in Deutschland laufen. Ich bin nicht überrascht vom Englisch-Level der Leute, ich bin jedoch überrascht, dass Leute mögen was ich tue. Es hört sich lahm an, aber ich mag Deutschland wirklich sehr. Ich bin sicher, es hat seine Probleme, kein Land, das ich kenne, kann dem entkommen, aber es gibt so viele gute Zeiten dort. Es ist ein Teil der Tour auf den ich mich ehrlich freue.

Wie weißt du, dass dein Programm funktionieren wird? Testest du es bevor du es das erste Mal aufführst (nicht das komplette Programm, aber die Hauptthemen)?

Es ist sehr einfach. Wenn ich von dem Material und der Meinung, die ich rüber bringen will, bewegt werde, dann nehme ich an, dass andere es auch werden. Darauf vertraue ich und dann fange ich an. Es ist ein Bauch/Ehrlichkeit Ding. Ich gehe die Ideen laut durch, mit mir selber redend. Ich mache das auf langen Spaziergängen. Ich gehe außerdem Themen mit meiner Assistentin durch und sehe, was sie davon hält.

Ich habe vor ein paar Wochen gelesen, dass du damit fertig bist Musik zu machen, da es viel Zeit beansprucht und es immer dieselbe Prozedur ist – ist es nicht das gleiche mit Spoken Word Auftritten und dem Schreiben von Büchern?  Oder ist es anders, weil es schneller geht und man besonders beim Spoken Word spontaner sein kann?

Das ist eine gute Frage. Wenn ich Schreiben und Reden fast so lange wie die Musik gemacht habe, wieso nicht die anderen beiden auch fallen lassen? Okay, ich sage Dir warum: Jetzt, mehr als jemals zuvor, entsprechen das Schreiben und die gesprochenen Shows mehr meinem Leben. Ich reise um die ganze Welt. Ich kann auf die Bühne gehen und es dem Publikum berichten, ich kann darüber schreiben, Fotos machen etc. Ich kann darauf reagieren was passiert und es fast augenblicklich mit zu meinem Publikum nehmen und es rüber bringen. Es erlaubt mir, mich sehr schnell und im Moment zu bewegen. Außerdem mag ich es, alleine zu arbeiten und aufzutreten. Ich habe es nie wirklich genossen ein Mitglied einer Band zu sein. Ich habe mich immer alleine gefühlt mit einem Haufen anderer Leute im gleichen Zimmer. Es war gut und ich fühle nicht das Verlangen, es weiterhin zu tun. Manchmal vermisse ich die Musik, aber mein Bauchgefühl sagt mir, dass es hinter mir liegt und dem habe ich zu gehorchen.

Denkst du es ist einfacher heutzutage in einer Band zu sein mit all den Dingen, die verfügbar sind (Aufnahmesoftware, Internet und der Nicht-Notwendigkeit eine physische Veröffentlichung zu haben)? Hättest du das gerne zu Verfügung gehabt, als du mit Musik angefangen hast? Oder nicht, weil besonders mit Dingen wie Blogs und Twitter es manchmal so zu sein scheint, dass der Fokus von der Musik auf die Leute dahinter bewegt wird?

Ich denke, dass ein paar Werkzeuge von der modernen Technologie kreiert wurden, die es einem erlauben aufzunehmen ohne in ein Studio zu gehen und eine Menge Geld hineinzustecken, und das ist eine gute Sache. Zudem hat diese neue Technologie eine Menge neue Musik ermöglicht. Ich denke nicht, dass es dadurch eine einfachere Aufgabe geworden ist gute Musik zu machen. Dinge, die gut sind, sind nie einfach, dort setzt die Realität ein. Da Bands aus Leuten bestehen denke ich nicht, dass es die Technologie einfacher macht mit dem Bassisten klarzukommen, der meiner Erfahrung nach, damals und heute, eine große Nervensäge sein kann.

Hast du jemals darüber nachgedacht aus den USA wegzuziehen? Ich kenne diverse Künstler hier in Berlin, die wegen der Situation in den USA (z.B. Gesundheitssystem) hierher gezogen sind. Oder ist es besser zu bleiben und zu versuchen die Dinge zu ändern, sie in der Öffentlichkeit anzusprechen, sodass das Bewusstsein dafür wächst?

Ich habe dem nie einen ernsthaften Gedanken geschenkt. Ich habe Probleme mit Amerika, das ist nicht unüblich. Allerdings mag ich es hier wirklich. Ich denke, dass viele Länder zu einem gewissen Grad ähnlicher werden, da ihre Probleme sich ähnlicher werden während die Zeit vergeht und die Wirtschaftsformen kollabieren. Eine Sache, die für mich an Amerika funktioniert, ist, zu wissen, dass ich auf mich selber angewiesen bin. Ich habe keine Illusionen. Ich habe keinen Glauben daran, dass es irgendeine soziale Absicherung für mich geben wird, wenn ich alt bin. Ich habe nie gedacht, dass es der Fall sein würde. Wenigstens weiß ich hier woran ich bin.

Wäre es nicht nett, wenn die Menschen aus der Geschichte lernen würden? Ich denke da unter anderem an Fracking (ein weiterer drastischer Eingriff in die Natur), die Arbeitsbedingungen für Menschen in manchen Ländern oder den Hass gegenüber einer Religion, die alle schon mal passiert sind, aber dennoch in Vergessenheit geraten sind.

HenryRollins3Was veranlasst dich dazu zu denken, dass sie nicht von ihr lernen? Könnte es sein, dass sie die Geschichte als eine Anleitung für die Konstruktion der Zukunft benutzen? Die Geschichte wiederholt sich, weil die menschliche Natur nur wenige Farben auf der Palette besitzt. Um aus der Geschichte auf eine gute Weise zu lernen, müsste man Gier, Ambitionen und Hormone eliminieren. Religionen werden immer kollidieren, weil irgendjemandes Gott besser sein muss als der des anderen. Schlechte Arbeitsbedingungen sind großartig, wenn du der eine mit den Aktien in der Firma bist, der eine große Rendite aus den Investitionen macht. Denkst du, der Typ lässt sich das entgehen? Es muss seiner Umklammerung entrissen werden. Das könnte sehr wahrscheinlich passieren. Wenn du in der Geschichte nachguckst, ist es das auch.

Vielen Dank für das Interview, Henry.

Hier jetzt noch mal die Tourdaten für Deutschland und Österreich:

29.1. Garage, Saarbrücken
30.1. Gloria, Köln
31.1. Huxley’s, Berlin
1.2. Fabrik, Hamburg
10.2. Posthof Linz (Großer Saal), Linz, Österreich
11.2. Konzerthaus (Mozartsaal), Linz, Österreich
12.2. Muffathalle, München
13.2. Alte Feuerwache, Mannheim

www.henryrollins.com

Fotos (c) Dörte Heilewelt, Passionskirche Berlin 2008