6 aufstrebende Singer-Songwriterinnen, die ihr im Auge behalten solltet: Stella Donnelly

Nach Orla Gartland stellen wir euch heute Stella Donnelly vor. Im Jahr 2019 veröffentlichte sie ihr Debüt-Album „Beware of the Dogs“, auf dem sie mit sanfter Stimme scharf formulierte Liedtexte über entspannte Indie-Melodien singt. Die Platte überzeugte neben ihren sensiblen Arrangements auch mit selbst- und gesellschaftskritischem Humor, der die Musikerin charakterisiert. Im August 2022 wird der Nachfolger „Flood“ erscheinen – zwei Single-Auskopplungen, „Lungs“ und „Flood“, präsentierte uns die 30-Jährige bereits in den vergangenen Wochen. Die Tracks unterscheiden sich sowohl voneinander als auch von ihrem ersten Werk.

Stella Donnelly – Scharfzüngige Alltagsbeobachtungen mit viel Charme

Wenn ihre Songs in ihrem Heimatland Australien im Radio gespielt werden, dann meist mit einem vorausgehendem „Explicit Language Warning“-Hinweis. Die Rede ist von Stella Donnelly, deren Songs zwar auf den ersten Hörer unschuldig und verträumt klingen, bei genauerem Hinhören aber viel mehr Bedeutung in sich tragen, als vielleicht gedacht. Nicht selten sind sie außerdem mit diversen Schimpfwörtern ausgeschmückt, die sie live stets mit einem ehrlichen und strahlenden Lächeln überspielt.

Auf „Beware of the Dogs“ berichtet sie unter anderem von ihrer damaligen Arbeit in einer Bar, aufdringlichen Männern, von Liebeskummer und ihrer Stellung als Musikerin – also von allem, was im Leben der jungen Musikerin Platz findet. Die durch diese Themen-Auswahl vielleicht anzunehmende Schwere sucht man bei Stella Donnelly aber vergeblich, stets charmant und mit einer guten Portion Humor zeigt die Sängerin Persönlichkeit und Individualität, in einem gefühlvoll ausbalancierten Spannungsfeld zwischen melodischer Harmonie und frechen Lyrics. Sie haucht, schreit und tanzt – nutzt Fähigkeiten, die sie sich über Jahre hinweg in verschiedensten Bands antrainiert hat.

Ihr Gesang klingt dabei aber durchgängig sanft und lässt einen eintauchen in eine reflektierte Indie-Folk-Welt, der man als Zuhörer so viel Tiefgang abgewinnen kann, wie man möchte. Je nachdem, wie intensiv man sich mit dem Text auseinandersetzt, kann man die Gedankenwelt der Musikerin verfolgen, mit ihr ihre Meinung zur politischen Lage in Australien, eine vergangene, hoffnungslose Liebe und die Wut auf ihren Ex-Chef erkunden oder einfach den träumerischen Melodien folgen. Bestenfalls tut man beides.

Stella Donnelly mag Singer-Songwriter, die „etwas zu sagen haben“

Geboren wurde die Musikerin in Wales. Im Alter von zehn Jahren verließen sie und ihre Familie Großbritannien und wanderten nach Australien aus, wo sie heute noch leben. Der Musikgeschmack Stella Donnellys wurde, so sagt sie, maßgeblich von dem ihrer Eltern beeinflusst. So hätte sie neben walisischen Bands auch viel Radiohead und Billy Bragg – der für sie weiterhin zu den größten Helden der Musikwelt zähle und mit dem sie sogar beim Glastonbury 2019 gemeinsam performte – gehört. Die 30-Jährige sei außerdem, genau wie Orla Gartland, ein großer Fan von Laura Marling. Daraus hätte sich ihre Liebe zu Singer-Songwritern entwickelt, die „etwas zu sagen haben“.

Vielseitige musikalische Einflüsse festigten ihren eigenen Stil

Bevor sie 2018 ihre erste EP „Trush Metal“ veröffentlichte, wirkte sie größtenteils an Projekten anderer MusikerInnen mit und arbeitete nebenbei in einer Bar. Letztere Tätigkeit gab ihr des Öfteren Anlass, herrlich wütende Texte über ihre Erlebnisse dort zu verfassen. Stella Donnelly spielte in sechs verschiedenen Bands, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Unter anderem Punk-, Psychedelic-Rock- und Coverbands half sie musikalisch aus, wodurch sie sich schnelle Gitarrengriffe, Keyboard-Skills und kleine Eigenheiten aus dem Gesang anderer KünstlerInnen aneignete. All diese Erfahrungen halfen der Sängerin, sich in verschiedene Richtungen auszubreiten und ihren eigenen Stil zu entwickeln.

Als Musikerin ihren eigenen Weg einzuschlagen, anstatt ihr Talent weiter an andere Künstler zu verleihen, war für die Singer-Songwriterin also ein langer Prozess. Einen ersten Schritt Richtung eigene Musikkarriere wagte Stella Donnelly schon mit 17 Jahren, als sie ein Jahr an einer Musikschule verbrachte. Länger hielt sie es dort allerdings nicht aus, vielleicht sei sie nicht bereit dafür gewesen, sinnierte sie später. Trotzdem hätte sie an der Schule Freunde kennengelernt – die die Ausbildung dort ebenfalls abbrachen. Sie sei für all die Trainings-Jahre in fremden Bands und an der Musikschule aber sehr dankbar, schließlich habe sie sich erst so auf ihre Solo-Karriere vorbereiten können.

Zentraler Ausgangspunkt: Die Gitarre

Ein besonderer Wendepunkt für Stella Donnelly ergab sich durch den Diebstahl ihrer Akustikgitarre. Zuvor waren ihre Songs durch das Ausprobieren mit der Akustikgitarre entstanden, was sich für die Songwriterin irgendwann selbst zu einseitig anfühlte. Also fasste sie sich ein Herz und lernte E-Gitarre, was ihr mehr Möglichkeiten gab, sich auszudrücken. Sie klänge damit nicht mehr „nur folkig“ und könne ihren Songs mehr Bedeutung verleihen als vorher. Was sich nicht geändert hat: Songs schreiben möchte die Musikerin weiterhin allein. Es sei eine zu persönliche Sache, als sie mit anderen zu teilen. Gerade, weil Stella Donnelly in ihrer Musik schwerwiegende Dinge wie zum Beispiel den sexuellen Missbrauch einer Freundin verarbeitet, und sich beim Texten in die entsprechenden Situationen ihres Lebens zurückversetzt, ist dieser Wunsch gut nachvollziehbar.

„Boys Will Be Boys“ – Stella Donnellys Beitrag zur #MeToo-Bewegung

„Boys Will Be Boys“ heißt der Titel, den die 30-Jährige schon im Jahr 2015 verfasste, bevor das Thema Missbrauch 2017 mit der #MeToo-Bewegung erstmals ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit rückte. „Why was she all alone/Wearing her shirt that low/They said, ‘Boys will be boys’/Deaf to the word no“, singt sie im Refrain des 2017 erschienenen Songs. Er handle nicht von ihr, sondern von einer Freundin, die ihr davon erzählte, Opfer eines Missbrauchs geworden zu sein, so Donnelly. Sie sei von anderen nicht ernst genommen und sogar als Täterin dargestellt worden, was die Musikerin schockierte. So richtet sie ihren Song an mehrere EmpfängerInnen: Einerseits an alle Opfer, denen sie sagen möchte, dass sie keine Schuld tragen. Andererseits soll Tätern unmissverständlich vorgehalten werden, dass ihr Verhalten inakzeptabel ist. Aber auch Außenstehende soll der Song zum Nachdenken bringen. Diese Multidimensionalität führte dazu, dass der Track zur #MeToo-Hymne avancierte. Bis heute spielt die Musikerin „Boys Will Be Boys“ fast jedes Mal, wenn sie auf der Bühne steht.

Selbstironie und Humor prägen Stella Donnellys Auftreten

Aber Stella Donnelly kann live auch anders. Ihren Song „Die“ zum Beispiel, dessen ironischerweise fröhliche Melodie sie perfekt aufs Joggen abgestimmt hat, präsentiert sie ihrem Publikum gerne auf ganz besondere Art: Mit einer humorigen Tanzeinlage – gemeinsam mit ihrem Bandkollegen choreografiert – versucht sie ihre ZuschauerInnen dazu zu bringen, aktiv zu werden. Die Performerin motiviert ihre Fans, mit ihr gemeinsam im Takt auf der Stelle zu joggen, sich wie ein Krebs von einer Seite des Raumes zur anderen zu bewegen oder kleine Arm- und Beinbewegungen durchzuführen, die alle zum Lachen bringen. Komödiantisch bleiben ihre Sets aber nicht nur kurzzeitig. Durchgängig liefert Donnelly Kommentare oder Selbstbeobachtungen a la „Bisher habe ich während dieses Auftritts ungefähr 22 Mal ‚Fuck‘ gesagt“, die sie komischerweise nicht unhöflich oder vulgär erscheinen lassen, sondern höchstcharmant. Es sei ihr „kleiner Trick“, mit ihrer sanft anmutenden Art zu den Menschen durchzudringen, während sie eigentlich gerade Wut verarbeite oder jemanden beschimpfe.

In „U Owe Me“ singt sie beispielsweise über einen unausstehlichen Chef, für den sie einst in einem Pub arbeitete. Hörbar ungehalten, aber doch mit typisch samtiger Stimme singt sie, er schulde ihr etwas und solle ihr nicht sagen, was sie zu tun hätte. Die Komik hinter dem Song: Am Ende sei doch ihr Chef im Recht gewesen. Beim Tiny Desk Concert erklärte sie in einem lässig-beiläufigen Kommentar, er hätte sie eine Woche später genau wie geplant bezahlt. Sie hätte sich zuvor im Datum geirrt, was die ganze Situation damals sehr dramatisch gemacht hätte, nun sei aber wieder alles okay.

„Ich möchte nicht nur für einen Aspekt meiner Musik bewertet werden“

Besonders wichtig sei ihr beim Musik machen, immer verspielt und humorvoll zu bleiben. Das würde sie aber nicht bewusst forcieren, sondern gehöre zu ihrer Art. Unschön fände Stella Donnelly es dagegen, aufgrund ihrer Themenauswahl als „politische Sängerin“ abgestempelt zu werden. In ihrem Song „Beware Of The Dogs“ beispielsweise, setzt sie sich mit der politischen Lage Australiens auseinander, was ihr das ungeliebte Label „Political Songstress“ einbrachte. Sie quittierte diesen Umstand mit einem gleichnamigen Song, der sich provokanter Weise direkt gegen die australische, rechte Politikerin Pauline Hanson richtete. Es würde ihr manchmal ein bisschen zu viel Spaß machen, andere zu verärgern, äußerte Stella Donnelly einst. Direkt fügte sie aber auch hinzu, es später, wenn sie allein zu Hause die Reaktionen auf ihre Aussagen sähe, unsicher zu werden und es teilweise zu bereuen. Sie wünsche sich eigentlich nur, als Künstlerin mit ihren unterschiedlichen Facetten gesehen zu werden, und ihre gesamte Persönlichkeit auf die Bühne zu bringen, anstatt nur für einen Aspekt ihres Werkes bewertet zu werden. Darüber singt sie auch in ihrem Titel „Tricks“, der von ihrer Zeit als Cover-Sängerin inspiriert ist: Die Leute mochten sie nur, wenn sie genau die Songs sang, die sich ihre Zuschauer wünschten.

Neue Musik ist schon auf dem Weg

Neue Facetten wird Stella Donnelly schon im August auf ihrem kommenden Album zeigen. Am 26. August 2022 erscheint ihr zweiter Longplayer „Flood“, der während des harten Lockdowns in Australien entstanden ist. Die erste Single „Lungs“, veröffentlichte sie bereits im Mai. Untypisch schlagzeuggetrieben beginnt der Track, auf dem Stella Donnelly aus der Sicht eines Kindes singt, dessen Familie gerade vertrieben wurde. Später gesellt sich eine nostalgische und beruhigende Klaviermelodie hinzu, die dem Song eine verspielte Seite verleiht. Donnellys Stimme bleibt durchgängig zurückhaltend. Die Musikerin berichtete zuvor, sehr sensibel zu sein, was auditive Reize angehe. Das kommt auch ihren ZuhörerInnen zugute: Nie wirkt etwas an den Arrangements der Künstlerin zu viel oder zu laut. Getragen wird das Werk der Singer-Songwriterin von einer angenehmen Harmonie, die nie langweilig wird.

Im Musikvideo zu „Lungs“ stakst sie auf Stelzen in einen exzentrischen, roten Overall gekleidet durch einen weißen Raum. Unterstützt wird sie in dem Clip von zahlreichen Kindern, die wie sie eine weiße Haube auf dem Kopf tragen. Die Stelzen stehen sinnbildlich für einen „wackeligen Erwachsenen“, der versucht das Leben „einfach aussehen zu lassen, aber auf unsicherem Boden steht“. Im Kontrast dazu tanzen die Kinder eine freiere Choreo mit großen Bewegungen. Das Video soll „das Kind feiern, das fest auf seinen Füßen steht, einschüchternd ehrlich ist und mit dem man sich nicht anlegen sollte“, heißt es in der Pressemitteilung zum Video.

Neuausrichtung am Klavier

Der Lockdown in Australien gab der Multiinstrumentalistin die Chance, sich intensiv mit dem Klavier zu beschäftigen und das Pianospielen neu für sich zu entdecken. So hätte sich auch ihre Herangehensweise ans Komponieren geändert, die zuvor immer nah an die Gitarre geknüpft war. Mit der neuen Ausrichtung auf das Klavier wäre auch eine neue Dimension der Verletzlichkeit hinzugekommen, so Stella Donnelly. Nachdem eine lange Touring-Phase sie etwas verkrampft zurückgelassen habe, hätte sie sich durch die unkontrollierbare Corona-Situation wieder etwas entspannen können. Daher ließen die Lyrics ihres kommenden Albums immer wieder ihr inneres Kind durchblicken, was ihr ermöglicht habe, sich noch frecher und ehrlicher zu artikulieren.

Nach dem poppig-dynamischen „Lungs“, präsentiert sich die Musikerin auf ihrer zweiten, kürzlich erschienenen Single-Auskopplung „Flood“ deutlich introvertierter. Leicht schleppende Drums treffen auf eine erneut spielerische, nicht zu kompliziert klingende Klaviermelodie, die gepaart mit Stella Donnellys warmer Stimme einlullend, fast hypnotisierend wirkt.

Warum sollten wir Stella Donnelly im Blick behalten?

Als sensible, reflektierte Beobachterin teilt Stella Donnelly ihren ZuhörerInne mehr oder weniger ungefiltert ihre Wahrnehmung der Welt mit. Ihre Texte sind eine erfrischende Mischung aus Weltanschauung und humorvoller Bewältigung ihrer Eindrücke, die sie in entspannte Indie-Sounds einbettet. So zeigt sie nicht nur ihre Qualitäten als Singer-Songwriterin, sondern bietet auch noch niveauvolles Entertainment – eine Mischung, die uns in angespannten Zeiten helfen kann, ebenfalls mehr Humor an den Tag zu legen und trotzdem nicht die Schwere der Welt zu vergessen.

Fotos © Olivia Senior