Country, R’n’B und Rap sind nur drei Einflüsse, die die Musik der 25-jährigen Singer-Songwriterin Faye Webster geprägt haben. Dafür, dass dieser Genre-Mix sehr wild anmutet, klingt das Werk der aus Atlanta stammenden Sängerin erstaunlich harmonisch und entspannt. Zuletzt überraschte Faye Webster – ein Jahr nach ihrer aktuellen Albumveröffentlichung „I Know I’m Funny Haha“ – mit der fünfteiligen EP „Car Therapy Sessions“. Diese beinhaltet insgesamt fünf Songs, wobei vier davon Fans der Sängerin bereits bekannt vorkommen werden: „Kind Of“, „Jonny“, „Sometimes“ und „Cheers“ stammen aus ihren beiden zuletzt veröffentlichten Alben und wurden für die EP gemeinsam mit einem 24-köpfigen Orchester neu interpretiert. Das titelgebende Stück „Car Therapy“ ist neu. Dafür, dass sich keine einzige (Pedal-Steel-)Gitarre auf der EP findet, hat sie doch – eine für Faye Webster typische – warme und ausgewogen-einlullende Atmosphäre. Ihre Stimme punktet wie gewohnt mit einem rauen und ungeschönten Charme, ihr Stil vereint Gesang und Sprechen – so macht sie sich auch die wunderschönen orchestralen Melodien auf „Car Therapy Sessions“ zu Eigen, die sie selbst an Disney-Musik erinnern würden.
Faye Webster – Entspannter Genre-Mix mit persönlichem Charakter
Der Titel ihrer aktuellen Platte „I Know I’m Funny Haha“ ist Programm: Faye Webster schreibt über die kleinen Dinge im Leben, Details, die ihr zufälligerweise im Kopf geblieben sind und von denen andere denken könnten, dass sie es nicht wert seien, in einem Song erwähnt zu werden. Diese Gedanken verwebt sie mit ihrem trockenen Humor zu Texten, mit denen man sich identifizieren kann und die einen immer wieder zum Schmunzeln bringen. So singt sie etwa in „Sometimes“ über einen Ex-Partner, der sie mit den Worten “There’s other things out there to see” verlässt, um mit jemandem zusammenzukommen, die genauso aussieht wie sie selbst. In „I Know I’m Funny Haha“ schreibt sie darüber, ihrem Freund einen Bass zum Geburtstag geschenkt zu haben – den, den auch der Bassist von Linkin Park spiele, wie sie später im Track anmerkt –, um dann zu erklären, dass der Beschenkte damit allerdings viel besser aussähe.
Der „schmale Grat“ des Songwritings
Obwohl ihre neuen Titel insgesamt aus einer fröhlicheren Zeit mit einem neuen Partner stammen würden, während ihr vorheriges Album „Atlanta Millionaires Club“ viel von Einsamkeit handle, finden sich auch auf der aktuellen Scheibe einige Momente von Melancholie und Selbstironie. So etwa in „Kind Of“, wo es zu Beginn heißt: “Who loved you first? Who loved you last?/Why do I even think of these things? I’ve always been the type to see/All the bad before all the good things” oder in „Both all the time“: “There’s a difference between lonely and lonesome/But I’m both all the time” – kleine Selbstreflexionen, die uns die spontanen Gedankenflüsse der Musikerin offenbaren und äußerst nachvollziehbar erscheinen. So „brutal ehrlich” sei Faye Websters Songwriting noch nicht lang, räumte sie in einem Interview ein. Zuvor hätte sie stets versucht, ihre Lyrics vage zu halten, was sie ihres Erachtens im Nachhinein sehr unpersönlich habe wirken lassen. So hätte sie zu ihren ersten Alben kaum noch einen Zugang, erklärte sie. Es gäbe den „schmalen Grat“ zwischen dem Bedürfnis, fremden Menschen extrem viel über ihre Gefühlswelt zu verraten, aber gleichzeitig auch die eigene Privatsphäre wahren. Richtig ehrlich seien ihre Texte daher erst seit ihrer dritten Platte „Atlanta Millionaires Club“ aus dem Jahr 2019. Zuvor erschienen bereits „Run and Tell“, das sie schon im Alter von 16 Jahren selbst veröffentlichte, sowie ein selbstbetiteltes Album aus dem Jahr 2017.
Country-Debüt weicht Atlanta-Einflüssen
Der in Faye Websters Debüt noch klar erkennbare Country-Einschlag weicht über die Jahre immer weiter anderen Einflüssen. Ihre Werke zeigen eine spannende Evolution von einer festen Richtung hin zu einem ganz eigenen Mix aus Genres, der der Sängerin mit ihren Eigen- und Besonderheiten Tribut zollt. Ein natürlicher Prozess, der sich auch durch die Verwurzelung mit ihrer Heimatstadt Atlanta ergeben hat. Während sie mit alter Country-Musik wie Americana und Western Swing aufwuchs, die ihre aus Texas stammende Mutter gern hörte, war sie auch mit der Liebe zum klassischen Rock seitens ihres Vaters und ihres Bruders konfrontiert. Später ließ sie sich von der Hip-Hop-Szene der Stadt inspirieren, in der sie dank ihrer Highschool-Freunde Fuß fassen konnte.
Sie hätte so viel mit ihren Freunden bei deren Plattenlabel „Awful Records“ in Atlanta verbracht und dort „abgehangen“, ihnen bei der Arbeit zugeschaut, bis sie irgendwann einfach dazugehörte. Ihren ersten Plattenvertrag unterschrieb die damalige Country-Musikerin also überraschenderweise bei einem Hip-Hop-Label. Dort hätte sie gelernt, neue Einflüsse zuzulassen und offen für Neues zu bleiben, dabei ihre Wurzeln aber nie vergessen. So ist beispielweise die für Country-Musik der 30er Jahre bekannte Pedal-Steel-Gitarre weiterhin ein wichtiger Bestandteil ihrer aktuellen Alben. Gleichzeitig gibt es aber auch ein Feature von Rapper Father in ihrem aktuelleren Song „Flowers“. Obwohl sie mit ihrer Musik damals aus dem Repertoire des Labels herausstach, hätte sie sich nie unpassend gefühlt, im Gegenteil hätte sich alles natürlich angefühlt, als wäre dort ihr Platz.
Faye Websters erster „selbstgeschriebener“ Song: Angst vor Miley-Cyrus-Klage
Faye Websters Interesse für die Musik entwickelte sich aber schon viel früher: Nicht nur ihr älterer Bruder, sondern auch ihr Großvater sowie diverse Cousins hätten Gitarre gespielt, sodass sie schon als Kind habe Gitarre spielen wollen. So machte die heutige Singer-Songwriterin ihre ersten Schritte auf der Gitarre mit Coversongs, ihr erster sei „Lola“ von The Kinks gewesen, berichtet sie. Schnell wäre ihr das allerdings zu langweilig geworden, sodass sie anfing selbst herumzuexperimentieren. Lachend erklärte sie in einem Podcast, in der fünften Klasse einen ersten „eigenen“ Song geschrieben zu haben, der genau dieselbe Melodie wie „I Miss You“ von Miley Cyrus hatte – nur eben mit einem abgeänderten Text. Mit dem Equipment ihres Bruders hätte sie das Werk sogar aufgenommen, ganz zum Entsetzen einer Freundin, die ihr erklärte, dafür verklagt werden zu können. Später spielte sie Coversongs bei Open-Mic-Abenden, bis ihr Vater ihr vorschlug, ihre selbst aufgenommene Musik zu veröffentlichen. Nach der Schule begann die Musikerin ihre Karriere weiter zu formen, indem sie ein Kunst-College in Nashville besuchte, an dem sie Songwriting-Kurse belegte. Dort seien viele demselben Schema gefolgt: Gleicher Stil, gleiche Musik – was zu hohem Konkurrenzdruck geführt hätte. Die Zeit in Nashville habe ihr daher gezeigt, dass sie etwas anderes schaffen wolle, weshalb sie zurück nach Atlanta gegangen sei. Ein Ort, den sie als diverser und interessanter empfunden habe als Nashville.
Spontane Sessions halten ihre Musik natürlich
Von ihrer Musik scheinen seither Wellen von Spontaneität und Entspanntheit auszugehen, die sich direkt auf den Zuhörer übertragen. Nichts an Faye Websters Songs klingt gezwungen oder gewollt – alles scheint auf natürliche Weise seinen Platz gefunden zu haben, so wie es sich auch in ihrem Werdegang widerspiegelt. Doch nicht nur dort findet sich dieses Motiv, auch Faye Websters Recording-Sessions sind von spontanen Eingebungen und gemeinsamen Einfällen geprägt. Ihre Demos zeigt sie vor der Session niemandem. Erst kurz bevor aufgenommen wird, hören ihre Bandmitglieder, woran sie arbeiten werden. So möchte die Sängerin vermeiden, dass der Prozess verkopft wird und zu viele Konzepte gesponnen werden, die sich später unnatürlich anhören könnten. Die DIY-Atmosphäre setzt sich in ihrer Art fort, den Gesang hinzuzufügen: Seit eh und je nehme sie nach den Studioaufnahmen ihre Stimme mit „Garage Band“ auf, zu Hause in ihrer Küche. Dort sei sie ungestört und könne am besten arbeiten. Ohnehin sähe sie sich nicht in erster Linie als professionelle Sängerin. Der Gesang sei mehr ein Mittel, um ihre Texte zum Leben zu erwecken. Trotz dieses Understatements ist die Stimme Faye Websters zu einigem fähig: Manchmal klingt ihr Gesang fast als würde sie einfach in einem höheren, angenehmen Ton sprechen, dann zerfließt er sanft mit den loungigen Soul-Sounds. In „Hurts Me Too“ klingt sie rau und verletzlich, in „Jonny (Reprise)“ präsentiert uns Faye Webster pures Spoken Word, auf „I Know I’m Funny Haha“ erklingt ihre Stimme oft in einer ungeschliffenen Sanftheit. Dieses Wechselspiel unterstreicht auf natürliche Weise den Gedankenstrom ihrer Lyrics.
„Ich verbringe mehr Zeit mit Videospielen als mit Musik“
Wenn die 25-jährige nicht auf Tour ist oder Songs schreibt, widmet sie sich unterschiedlichsten Aktivitäten: Neben Videospielen interessiert sie sich außerdem fürs Jojo-Spielen, für Fotografie und Baseball. All diese Tätigkeiten lässt sie wie beiläufig auch in ihr Gesamtwerk einfließen, wodurch es eine persönliche Note bekommt und umso liebenswerter erscheint. Auf der Bühne zeigte die Musikerin so beispielsweise zwischen den Songs ihre Jo-Jo-Künste – und auch ihre Liebe zu Videospielen könnten Fans von Animal Crossing bereits erraten haben. Der Soundtrack zum aktuellen Animal-Crossing-Spiel New Horizons hätte sie so sehr begeistert, dass sie ihn sogar als Quelle der Inspiration an ihre Band geschickt habe. Die leicht schleppende Melodie von „Better Distractions“ mit ihren vereinzelten Höhen und sonst sehr entspannten Klängen könnte ein Beispiel sein, an dem sich dieser Einfluss zeigt. Aber auch die Bassline von „Kind Of“ erinnert an die gelassene Urlaubsstimmung des Nintendo-Klassikers. Faye Webster verriet im Gespräch mit Pitchfork, sogar mehr Zeit mit Videospielen als mit Musik zu verbringen, weshalb es ihr eine Ehre sein würde, einmal selbst einen Spiele-Soundtrack schreiben zu dürfen. Und auch auf Reisen dürften Pokémon und Mario Party nicht fehlen, im Tourbus würde zur allgemeinen Unterhaltung gemeinsam gezockt.
Voller Einsatz für Musikvideos: Bissige Flamingos und Eiskunstlauf-Training
Während ihre Begeisterung für Baseball eher spontan kam und mit der Zeit absurde Blüten trieb, die sich im Track „A Dream With a Baseball Player“ niederschlagen, hält ihre Leidenschaft für Fotografie schon länger an. Faye Webster begann Portraits von Hip-Hop-Größen Atlantas zu schießen und bekam so später unter anderem Killer Mike und Offset vor die Linse. Ihre Lieblingsarbeiten seien inszenierte Porträts, erklärte sie. Zumeist habe sie ohnehin Personen fotografiert, die ihre Freunde waren, sodass die Fotografien immer in angenehmer Umgebung entstanden seien und sie die Freiheit gehabt hätte, ihre Ideen einfach auszuprobieren. „Wenn ich ein Foto mache, stecke ich genau so viel Arbeit hinein wie in einen Song“, sagt sie. In ihren Musikvideos und auf Albumcovers zeigt sie weiterhin ihre Begeisterung für Ästhetik und kreative Gestaltung: Für den Clip zu „Kingston“ fuhr sie beispielsweise in einen Flamingo-Park mit freilaufenden Tieren, um dort die Aufnahme eines weichgezeichneten Traums in Pink zu ermöglichen, der mit einer seidigen Szene in Rot kontrastiert wird. Während des Drehs sei sie sogar von einem der Flamingos gebissen worden. Außerdem ließ sie sich zwei Wochen lang im Eiskunstlaufen trainieren, um im Musikvideo eine Pirouette vorführen zu können. Letztendlich sei es nicht geglückt, weshalb ein Double die Aufnahme übernehmen musste. Sicher ist aber: Für ihre Ideen gibt die Musikerin alles und das kommt auch beim Zuschauer an. Es lohnt sich also auch, einen Blick auf die Videos von Faye Webster zu werfen, die genauso ungezwungen und künstlerisch daherkommen wie ihre Musik. Der DIY-Charakter, der mit allem einhergeht, was sie schafft, macht sie umso interessanter und natürlicher.
Künstlerisch abstoßende Cover-Art
Das Albumcover von „Atlanta Millionaires Club“ zeigt ein recht spezielles Porträt der Singer-Songwriterin. An ihren ohnehin schon schokoladenverschmierten Mund hält sie eine Handvoll Schokoladen-Taler, während sie abwesend an der Kamera vorbeizusehen scheint. Für das Vorhaben hätte sie um die 100 Schokomünzen gekauft und es habe drei Fotoshootings gebraucht, bis ein zufriedenstellendes Bild entstanden sei, so Faye Webster. Die Schokolade in ihrem Gesicht sei auch keine geschmolzene, sondern schlicht Nutella, was sie im Nachhinein selbst ekelhaft fände. Das Konzept ging aber trotzdem auf: In Plattenläden sollen Menschen nur durch das abstoßende Cover auf ihre Musik aufmerksam geworden sein. Angesichts des Titels „Atlanta Millionaires Club“ ergeben die Münzen auf dem Coverfoto Sinn, die Geschichte hinter dem Namen ist dabei umso spannender: Wer genau hingehört hat, wird bemerkt haben, dass der Titel kein einziges Mal auf dem Album vorkommt, es handelt sich also nicht um eine Textzeile. Viel mehr war der Musikerin schon vor Beginn der Arbeit am Album klar, dass es so heißen sollte. Die Inspiration dazu kam von ihrem Vater, der mit seinen Jugendfreunden den gleichnamigen Club gründete. Gemeinsam hätten sie absurde Aktionen wie Donut-Wettessen veranstaltet und sich für jegliche Aktivitäten T-Shirts drucken lassen, die Faye Webster später wiederentdeckte und auch trug. Der Name gefiel ihr so gut, dass er ihr Werk schmücken sollte.
Inspiration ist überall – auch im Geschäft für Bürobedarf
Weniger intuitiv ergab sich die Betitelung ihres aktuellen Longplayers. Auf der Suche nach einem Namen ging sie ihre Lyrics durch, um eine prägnante Zeile zu finden. Es sei deutlich schwieriger gewesen als beim Vorgängeralbum, so die Musikerin. Schließlich habe ihr Bruder ihr vorgeschlagen „I Know I’m Funny Haha“ zu wählen. Trotz bleibender Zweifel darüber, ob andere sie dadurch für eingebildet halten könnten, entschied sie sich für die Idee, <gerade weil sie sie als untypisch für einen Albumtitel empfand. Aus einem Besuch im Bürobedarf-Handel entwickelte sich dann prompt auch ein Einfall für das Cover. Rote Etikettenaufkleber stachen Faye Webster ins Auge und die Vorstellung solche mit der einfachen Aufschrift „Haha“ zu bedrucken, erheiterte sie so sehr, dass die kleinen Sticker es in den Mittelpunkt ihres Brandings schafften.
Warum sollten wir Faye Webster im Auge behalten?
Mit vielschichtigen, genre-übergreifenden Arrangements zeigt uns Faye Webster, wer sie ist und woran tagtäglich so denkt, ohne den Hörer dabei zu überfordern. Oft kombiniert sie schleppende Drums mit prägnanten Basslinien und loungigen Gitarren, die einen zu einem entspannten Abend auf dem Sofa einladen – bei dem man entweder selbst seinen Gedanken nachhängen oder den ihren folgen kann. Warm, aber gleichzeitig durch den trockenen Humor und die immer wiederkehrenden Zweifel und Selbstironie-Einschübe auch nicht langweilig, erschafft Faye Webster eine Welt, die echt klingt und trotzdem zum Träumen anregt. Mühelos und natürlich wirkt der Stilmix, den die Musikerin geschaffen hat, wozu auch eine Aussage Faye Websters zum Songwriting passt: „Ich finde, je mehr man beim Songwriting darüber nachdenkt, desto schlimmer wird es.“ Sie mag es also nicht, Dinge zu korrigieren oder immer wieder zu ändern. Diese Spontaneität prägt ihr Werk und erscheint gerade durch manchmal zufällig wirkende Details in Design, Text und Instrumentals authentisch.
Foto © Pooneh Ghana