Brisa Roché sitzt aufrecht auf ihrem Stuhl. Sie trägt Lederminirock und T-Shirt, ihr wildes schwarzes Haar und das exzentrische Augen-Makeup erinnern ein wenig an Mama Munster. Sie bewegt sich kaum beim Sprechen, ihre Stimme klingt ruhig, aber sie erzählt voller Enthusiasmus. Über ihr Elternhaus, die Aufnahmen zum aktuellen Album „All Right Now“ und was sich verändert hat, seitdem sie sich die Beine rasiert. Man könnte ihr stundenlang zuhören.
„All Right Now“ ist dein drittes Album. Was würdest du sagen, ist das Besondere daran?
Es ist in der Tat etwas ganz Besonderes. Heutzutage geht es beim dritten Album um alles oder gar nichts. Außerdem ist es das erste Mal, dass ich ein Album komplett selbst produziert habe, von Anfang bis Ende, finanziell und auf allen anderen Ebenen. Für die ersten beiden Alben hatte ich einen Vertrag mit EMI. Beim ersten Album gab es sogar einen Art Director. Das zweite Album haben sie noch finanziert, aber ich habe die künstlerische Leitung übernommen, ohne zu wissen, ob ich dazu überhaupt in der Lage bin. Es gab keine Vorbereitung und ich war mir nicht sicher, ob sie mir nicht doch die ganze Zeit über die Schulter schauen und irgendwann jemand kommt, der mir sagt, was ich machen soll. Das haben sie nicht getan, aber als ich mit dem fertigen Album ankam haben sie zu mir gesagt: „Das ist nicht dein Ernst. Das werden wir nicht veröffentlichen!“ Also bin ich zu Discograph gegangen, die haben es dann herausgebracht. Aber nach Ende der damaligen Tour habe ich mir fest vorgenommen, es beim nächsten Mal komplett allein zu machen. Das habe ich getan und für die Veröffentlichung wieder einen Lizenzvertrag mit Discograph geschlossen.
Die Art und Weise, wie du das Album produziert hast, hört sich unglaublich an. In Kalifornien im Haus deiner Eltern, wo es keine Elektrizität und kein fließendes Wasser gibt. Wie bist du auf die Idee gekommen, es so zu machen?
Ich würde gern sagen, dass das alles sehr geheimnisvoll und glamourös war… Gut, zum Teil war es vielleicht auch so. Ich liebe meine Band und wollte sie gern an diesen besonderen Ort bringen. Sie hatten alle davon gehört und wollten ihn unbedingt sehen. Aber davon abgesehen war es einfach die praktischste Lösung. Es gibt dort viele Schlafplätze. Mein Stiefvater besitzt einen Bio-Supermarkt, also konnte ich für alle günstig Essen bekommen. Ich bin dort aufgewachsen, konnte also leicht Equipment ausleihen, der Dollar stand schlecht… aus all diesen Gründen war es einfach ein Ort, an dem wir ein wenig weg von allem sein konnten, für die längst mögliche Zeit, gemessen an dem Geld, das ich zur Verfügung hatte.
Würdest du sagen, dass die Limitierungen, die du dir auf diese Weise auferlegt hast, deine Kreativität gefördert haben?
Ich bevorzuge es sehr, innerhalb von Grenzen zu arbeiten, auf jeder Ebene. Manchmal nähe ich Kleider, für die ich mir extra Stoff kaufe. Aber lieber hole ich mir Sachen aus dem Second-Hand Laden und arbeite sie um. Sogar beim Malen. In der Regel male ich etwas sehr schnell und unsauber, reagiere dann darauf und male immer wieder drüber. Oder ich hole mir Papier, das andere Leute bereits bemalt haben und male darüber. Ich mag Grenzen, mit etwas zu arbeiten, das bereits da ist. Stell dir vor du hast alles Geld der Welt – das ist wie eine leere Seite, was willst du damit machen? Das ist keine Herausforderung. Die Sache mit der Elektrizität war aber etwas anderes. Den Sound hat das letztendlich nicht so beeinflusst. Wenn wir nachts gespielt haben und die Batterien zu schwach wurden, musste ich raus gehen und den Generator anwerfen, die Batterien wieder aufladen… Es ging eher darum, aufzupassen, dass man keine Ressourcen verschwendet, da der Ort ja eigentlich nicht für so viele Menschen gemacht ist.
Ist „All Right Now“ durch dieses gemeinsame Leben und Erleben eine richtige Bandplatte geworden?
Ja, das war die Idee, bevor ich überhaupt mit irgendetwas angefangen habe. Heutzutage kannst du mit einem Heimstudio, das in einen Rucksack passt, eine Platte aufnehmen. Das kann ich jederzeit machen, wenn ich will. Eine Band wie diese, mit der ich mich so wohl fühle, werde ich aber nicht immer haben. Bands halten in der Regel nicht für immer. Ich wollte den Moment festhalten, in dem wir leben. Das bedeutete, nicht vorher zu komponieren, sodass wir alle von Anfang an auf dem gleichen Stand der Dinge waren Ich hatte die Texte geschrieben und sie komplett durchstrukturiert, Strophen, Refrain und Bridges, das war alles schon da. Das war unser Gerüst, an dem wir uns festgehalten haben. Ich wusste ja gar nicht, ob wir als Band überhaupt zusammen komponieren können. Das war ein großes Glücksspiel. Ich wusste aber, dass wir gut zusammen improvisieren können. Für die Improvisation sind die Texte wichtig. Sie sind das Gerüst, an dem du dich festhalten kannst. Angefangen haben wir meistens, in dem ich ein Wort in den Raum geworfen habe. Alle haben angefangen zu spielen, chaotisch durcheinander, was ihnen zu dem Wort einfiel. In dieses Chaos hinein habe ich auf die Person gedeutet, der wir alle folgen sollen. Also haben alle demjenigen zugehört und etwas auf das aufgebaut, was er gerade spielt. Dadurch bekamen wir einen Loop, etwas, das wir wiederholen konnten. Dann habe ich meine Texte durchgesehen, und es war sofort etwas da, das gepasst hat, eine Melodie. Die Wörter haben mir sozusagen die Melodie zugeschrien. Wenn im Text der Refrain kam, war automatisch die Melodie dazu da, und ich habe ihn heraus gesungen so laut ich konnte. Und alle haben sofort ihr Arrangement gefunden, das den Refrain unterstützt. Es ist alles so organisch und flüssig passiert.
Du sagst ja auch, dass das Album quasi sein eigenes Leben entwickelt hat.
Ja, das hat es (klingt, als wäre sie immer noch erstaunt darüber). Es fühlte sich wirklich so an, als hätten die Songs sich zum Teil selbst geschrieben. Ich musste einfach vertrauen. Es liegt viel Druck auf einem, es ist ein Kampf, ein Album zu machen. Du musst versuchen es zu verkaufen, musst es immer wieder verteidigen. Ich habe mich, wenn es stressig wurde, immer wieder an der Kraft der Songs festgehalten, daran, wie es war, als sie geboren wurden.
In Kalifornien habt ihr also komponiert und die Demos erstellt. Dann seid ihr in die Kirche gegangen.
Ja! Das war genau so intensiv. Wunderschöne Fresken, bunte Lichtstrahlen, die durch die Buntglasfenster hereinkamen. Dort wo der Altar eigentlich sein sollte, war die Bühne. Es war unfassbar heiß, wie in einer riesigen Sauna. Das hat auch seinen Teil zu diesem psychedelischen Gefühl beigetragen, mit all dem Platz und den Farben. Wir haben alles live aufgenommen. Was du heute auf dem Album hörst, ist in einem Take aufgenommen. Es ist pur, mit allen Fehlern, Stärken und Schwächen. Wir haben einfach nur den emotionalsten und besten Take ausgewählt. Meine Vocals haben wir hinterher aufgenommen, obwohl ich bei den Aufnahmen meistens mitgesungen habe, aber nur leise, nicht ins Mikrofon. Grundsätzlich ist alles wie bei einer Liveshow aufgenommen worden.
Was hattest du vorher für eine Verbindung zu Kirchen?
Absolut gar keine! Ich habe überhaupt keine persönliche Einstellung zu Kirchen, in welcher Hinsicht auch immer. Ich glaube, ich war noch nicht einmal auf einer Hochzeit in einer Kirche. Mit elf Jahren habe ich überhaupt das erste Mal von Christentum und Kirchen gehört. Ich hatte also gar kein Gefühl… obwohl, das stimmt nicht! Als ich dreizehn war, kurz bevor ich angefangen habe, meine eigenen Songs zu schreiben, habe ich in einem Chor gesungen. Wir waren in Russland und Rumänien. Sie haben damals diese ganzen Kirchen geöffnet, die über 50 Jahre geschlossen gewesen waren. Wir haben in ihnen gesungen. Das war unglaublich, politisch wie emotional. Wir haben Menschen getroffen, die gedacht haben, sie würden niemals einen Amerikaner persönlich zu Gesicht bekommen, und da waren wir und haben in ihren Kirchen gesungen. Aber ich habe jetzt nicht dieses Gefühl, dass eine Kirche ein ganz besonderer, heiliger Ort ist. Aber es war trotzdem eine sehr intensive Umgebung.
In deinen Texten sprichst du fast immer jemanden direkt an. Ist es immer die gleiche Person?
Nein, es sind verschiedene Menschen.
Dadurch klingen deine Texte sehr selbstbewusst. Auch deine Musik, dein ganzes Auftreten wirkt sehr stark. Warst du schon immer so?
Ähm… ja. Ich hatte schon immer ein gewisses Selbstvertrauen. Meine Eltern sind beide sehr charismatische Persönlichkeiten. Ich habe sie als Kind sehr verehrt und hoffe natürlich, dass ich etwas von ihrem Charisma geerbt habe. Meine Kindheit war ziemlich gefährlich und ich habe früh gelernt, Aufmerksamkeit zu erregen und bei Erwachsenen Schutz zu suchen. Das gab mir Vertrauen in mein Auftreten. Was mein Äußeres angeht, war das nicht immer so. Bis zu meinem 25. Lebensjahr war ich eine ziemlich militante Feministin. Das hat mir nicht unbedingt geholfen, nicht für mein Äußeres, nicht für meine Arbeit, nicht für meine Kunst. Sobald ich angefangen habe, mir die Beine zu rasieren, einen BH zu tragen und Makeup aufzulegen, haben sich alle Türen geöffnet. Das war ziemlich enttäuschend für mich. All die Jahre waren für nichts, und jetzt muss ich das Spiel mitspielen um das tun zu können, was ich möchte? Damit kämpfe ich immer noch, aber es macht mir inzwischen auch Spaß, meine Kreativität an mir selbst und meinem Äußeren auszuleben. Und je älter ich werde, desto wohler fühle ich mich damit.
Interview: Gabi Rudolph
Fotos (c) Lynn Lauterbach, aufgenommen bei Brisa Rochés Showcase im Kesselhaus im Rahmen der Berlin Music Week.