Von den Panda Bergen nach Berlin

Ein kurzer Ausflug in die Welt des Indie-Pop-Duos Cocoon.

Cocoon1Wenn eine Band, die in ihrer Heimat bereits die großen Konzerthallen füllt sich aufmacht um ein Land zu besuchen, in dem sie noch nie zuvor war, ist das mit gewissen Verpflichtungen verbunden. Ein Promotion-Marathon ist eine davon. So auch im Fall des französischen Duos Cocoon, dessen Debutalbum „My Friends All Died In A Planecrash“ in Frankreich Goldstatus erreichte, und das diese Woche zum ersten Mal unsere Hauptstadt besuchte – für ein kleines Clubkonzert (aus dem am Ende zwei wurden) und jede Menge Interviews.

Zu unserem Interview in der Lobby ihres Hotels erscheinen Morgane und Mark jedoch sehr gutlaunig. Die Vorzeichen sind gut. „Heute haben wir keine Promotermine mehr“, sagt Mark. „Gerade waren wir bei McDonald’s, jetzt treffen wir Dich, danach kaufen wir alles ein, was wir vergessen haben für die Show morgen mitzubringen.“ Am nächsten Tag, bevor am Abend das Konzert im ausverkauften Privatclub stattfindet, geht es weiter, aber die beiden beschweren sich nicht. „Wir sind zum ersten Mal in Deutschland, da ist das normal“, sagt Mark, und Morgane fügt mit ihrem zauberhaften Lächeln hinzu: „Und es macht Spaß!“

Beide freuen sich sehr darauf, nach Konzerten in den USA und Australien nun auch in Deutschland spielen zu können. Nach Berlin stehen Konzerte in Hamburg, Köln, Erfurt und München an. „Wenn du aus Frankreich kommst, ist es schwierig im Ausland zu spielen“, erklärt Mark. „Wir haben in Frankreich nur 10, maximal 15 Bands, die die Möglichkeit haben, das zu tun. Es ist sehr harte Arbeit, alles zu organisieren. Selbst eine kleine Tour wie diese bedeutet sechs Monate intensive Vorbereitung.“

Nach Deutschland geht es nach Asien. Taiwan, Hong Kong und China. Sie freuen sich darauf, auch wenn sie, wie Mark zugibt, ein klein wenig mehr davon träumen, Japan zu sehen. „Seit fünf Jahren hoffen wir, einmal nach Japan zu kommen. Die japanische Kultur hat Cocoon sehr beeinflusst. Aber letztendlich wird es so sein wie überall, wir werden nicht viel zu sehen bekommen. Man kommt an, geht ins Hotel, duscht und geht los, um seine Show zu spielen. Dann_DSC0753_500px fährt man weiter und ist einfach nur schrecklich müde.“ Aber auch hier setzt Morgane lächelnd nach: „Aber es ist trotzdem großartig.“

Vielleicht bekommen sie in China ja Pandas zu sehen. Der Panda taucht im Artwork von Cocoon immer wieder auf. Die allererste EP, die in Frankreich erschien, hieß „From Panda Mountains“. Im April ist nun das Live-Album „Back To Panda Mountains“ erschienen. Der Kreis schließt sich. Mark erzählt, was Panda Mountains für Cocoon bedeutet:

„Wir kommen aus Clermont, einer richtigen Industriestadt wie Manchester. Es ist nicht wirklich schön dort, das Stadtbild ist sehr grau. Rings herum sind Vulkane, die Häuser sind schwarz, sogar die Kathedrale von Clermont ist schwarz. Für mich sieht die Stadt aus wie ein schwarzes Loch in der Mitte Frankreichs. Also haben wir diese Fantasiewelt erfunden, Panda Mountains. Wir hatten damals kein Geld um wirklich wegzufahren, also sind wir in unserer Fantasie gereist. Lustigerweise fragt uns heute jeder, ob wir ein Problem mit Pandas hätten, weil sie immer wieder bei uns vorkommen.“ Morgane lacht. „Dabei sind Pandas so süß! Der Panda ist so etwas wie unser Maskottchen geworden.“ Auf der Live-Aufnahme, die man auf der Special Edition von „Back To Panda Mountains“ auch auf DVD ansehen kann, trägt Morgane am Ende des Konzerts eine Mütze in Form eines Plüsch-Pandas. „Wir sind gerade eine Kooperation mit dem WWF eingegangen“, fügt Mark noch hinzu. „So fügt sich alles zusammen.“

Die Special Edition von „Back To Panda Mountains“ ist in Form eines Buches gestaltet. Im vorderen Teil befindet sich die DVD, im hinteren die CD, dazwischen auf 24 Seiten alle Texte der dargebotenen Songs, versehen mit kurzen Kommentaren und Anekdoten von Morgane und Mark zu den Live-Versionen. Beide haben eine Vorliebe für Polaroids, die sich nicht nur in der Covergestaltung zeigt, im hinteren Rückumschlag stecken sogar vier einzelne Bilder im Polaroid-Stil. Ich bin völlig begeistert von der Aufmachung, kann es mir aber nicht verkneifen zu fragen, ob man als Musiker heutzutage nicht auch Zweifel daran hat, ob dieser Aufwand sich lohnt.

_DSC0767_500pxWenn Du die Musik liebst, die Du machst, willst Du auch das bestmögliche Gewand für sie“, sagt Mark sofort. „Es geht darum, Respekt gegenüber der Musik zu zeigen und gegenüber denjenigen, die sie machen. Schon als Kind habe ich Bücher sehr geliebt. Wir lieben Bücher, Polaroids und Tiere. In der Gestaltung konnten wir diese drei Dinge vereinigen. Möglich ist auch heute noch alles, es kostet nur Geld. Und man muss sich von Anfang an dessen bewusst sein, dass man mit so etwas kein Geld verdienen wird. Der beste Weg, CDs unter das Volk zu bringen wäre in meinen Augen, sie denjenigen nach der Show in die Hand zu drücken, die 20 Euro bezahlt haben, um Dich spielen zu sehen. Wenn es nach mir ginge, würde ich sie einfach verschenken. Wir haben den Leuten immer gesagt, ladet unsere Musik meinetwegen runter, aber kommt dafür zu unserer Show. Der Markt ist tot. Wir haben 2008 angefangen, deshalb haben wir es nie anders erlebt und jammern nicht darüber. CDs sind sowieso Mist, verglichen zu Vinyl. MP3s eigentlich auch. Auf Vinyl hörst Du Sachen, die Du auf CD einfach nicht hörst. Hör Dir die Beatles auf Platte an und danach auf CD. Das ist ein himmelweiter Unterschied. Außerdem sind diese Plastikhüllen, in denen CDs normalerweise stecken, totaler Mist, die gehen sofort kaputt. Wenn man also heutzutage noch eine CD rausbringt, dann ist das, was wir gemacht haben, in meinen Augen die sinnvollste Form.“

Inzwischen arbeiten Cocoon an ihrem zweiten Album. Nach ihren Konzerten in Deutschland fahren sie nach London, um dort ins Studio zu gehen. Die Grundgerüste der Songs befinden sich bereits auf Marks iPhone. Seit kurzem haben sie auch ein Label in Deutschland, City Slang wird das zweite Cocoon Album herausbringen. „Letztes Jahr wurde es sehr stressig, als es erstmals um ein zweites Album ging. Wir hatten gerade fünf Songs fertig, als unsere Plattenfirma Druck machte und meinte, das müsste schneller gehen. Wir haben gesagt, dann müssen wir damit aufhören, so viel aufzutreten. Über 200 Konzerte haben wir bisher gespielt. Und es ist so hart, unterwegs zu schreiben. Irgendwann habe ich gesagt, ich kann das nicht. Letzten Winter habe ich dann zwei Monate mein Telefon ausgestellt und um die 80 Songs auf einmal geschrieben. Danach sind Morgane und ich die Sache wieder gemeinsam angegangen.“

Die meisten Cocoon Songs schreibt Mark. „Ich habe vor zwei Jahren erst damit angefangen und brauche deshalb noch sehr lang für einen Song“, erklärt Morgane. Obwohl beide auch erst in den letzten Jahren auf Reisen Englisch gelernt haben, sprechen sie es quasi fließend. Auch ihre Lieder haben sie von Anfang an in Englisch geschrieben. „Es funktioniert einfach nicht, auf Französisch zu schreiben und es dann zu übersetzen“, sagt Mark. Und die Entscheidung, grundsätzlich in Englisch zu singen, stand die von Anfang an? „Das war das einzige, was am Anfang überhaupt fest stand“, lacht Mark. „Wir wollten kurze, akustische Popsongs in Englisch. Auf Französisch etwas zu schreiben, das auf die Musik passt, empfinde ich als viel schwieriger. Außerdem wird Französisch in der Musik bei uns meist mit Chansons, oder noch schlimmer, richtig schlechten Varieté Nummern in Verbindung gebracht. Natürlich gibt es auch großartige Künstler, die auf Französisch singen, wie Serge Gainsbourg zum Beispiel, aber das ist dann wieder nicht die Art von Musik, die wir machen wollten. Morgane wollte am Anfang aber auch auf Französisch singen.“ „Ich habe früher mit anderen Musikern auf Französisch gesungen, aber es ist wirklich sehr viel schwieriger“, bestätigt Morgane. „Außerdem klingt Französisch irgendwie aggressiver als Englisch, wenn man singt.“ „Es war also auch eine ästhetische Entscheidung“, schließt Mark ab.Back to panda mountains

Wir bleiben noch eine Weile sitzen und reden über Musik. Morgane hört im Moment gerne das neue Tunng-Album, Mark hält die Alben von Owen Pallett und The Tallest Man On Earth bis jetzt für die besten des Jahres. „Morgane und ich mögen nie dieselben Sachen“, sagt Mark, und Morgane lacht. Die Chemie zwischen den beiden scheint das nicht zu beeinträchtigen (bei ihrer Show im Privatclub am nächsten Abend erzählt Mark, dass sie immer wieder betonen müssen, dass sie kein Paar sind). „Aber wir wollten Dich etwas fragen“, sagt Mark. „Kannst Du uns nicht ein paar gute deutsche Bands empfehlen? Bei uns in Frankreich kennt man nur Rammstein, Tokio Hotel und The Notwist.“ Wir hätten wohl noch eine Weile so weiter gemacht, wenn die Zeit nicht gedrängt hätte.

Der Privatclub in Berlin Kreuzberg, in dem Cocoon am nächsten Abend ihr erstes Deutschlandkonzert geben, ist restlos ausverkauft. Aufgrund des großen Andrangs entschließt man sich, im Anschluss an das Konzert direkt ein zweites zu geben, um niemanden wegschicken zu müssen. So konnten sich einige hundert Berliner (von denen, wenig überraschend, etliche eigentlich aus Frankreich kamen) davon überzeugen, warum Cocoon in ihrer Heimat bereits so erfolgreich sind. Dem Charme, mit dem die beiden mit nicht mehr als Gitarre, Keyboard und einem kleinen, pilzförmigen Shaker (den Morgane bezaubernderweise als „Champignon“ bezeichnet) vortragen, kann man sich schwer entziehen. Bleibt zu hoffen dass Marks Befürchtung, sie könnten sich schwer tun an den Erfolg ihres ersten Albums anzuknüpfen, sich als unbegründet herausstellt. Gegen weitere Ausflüge nach Panda Mountains hätte ich nichts einzuwenden.

www.myspace.com/listentococoon

Interview: Gabi Rudolph

Konzertfotos (c) Lynn Lauterbach