Was haben wir auf dem diesjährigen Berlin Festival gelernt? Chilly Gonzales ist immer noch „The Musical Genius“ und gibt dem Begriff „Double Penetration“ eine völlig neue Bedeutung. Peaches Vagina leuchtet. Und nicht alles, was Brüste hat, ist auch wirklich eine Frau…
Ohne Frage, Merrill Beth Nisker alias Peaches und Jason Beck alias Chilly Gonzales sind und bleiben zwei der schillerndsten Persönlichkeiten, die das Musikbiz aktuell zu bieten hat. Das Niveau ihrer beider Darbietungen war auf dem diesjährigen Berlin Festival kaum zu überbieten – sowohl musikalisch aus auch im Bezug auf Spaß- und Showfaktor.
Chilly Gonzales kündigte seine Show im Vorfeld unter dem Motto „Double Penetration“ an. Wenn man bedenkt, dass ein guter Freund von mir heute noch traumatisiert ist von einem der ersten Gonzales Auftritte vor einigen Jahren in Hamburg, bei dem zwei Männer auf offener Bühne Sex hatten, scheint es nur gerechtfertigt, dass man als unwissender Zuschauer im Vorfeld nervös mit den Ohren schlackert. Letztendlich ist die Auflösung so einfach wie genial: Bei Gonzales‘ Auftritt auf der Hangar 4 Bühne waren die beiden tonangebenden Instrumente jeweils in doppelter Ausführung aufgestellt: zwei Flügel, zwei Schlagzeuge. An letzteren nahmen Gonzales‘ treuer Wegbegleiter und Solokünstler Mocky sowie Housse de Racket platz, die Flügel wurden bespielt von Socalled und natürlich Chilly Gonzales. Die Herren Begleitband in weißen Arztkitteln, The Master Himself in Bademantel und Schlappen. Der Sound der vier ist bombastisch, Gonzales‘ Klavierspiel virtuos, seine Rap-Einlagen stets am Rande des Wahnsinns. Vielleicht lag es an der Mischung aus alten „Hits“ und den extrem zündenden Stücken des aktuellen Albums „Ivory Tower“, denn obwohl schon oft erlebt, wirkte Chilly Gonzales selten so größenwahnsinnig genial und dabei so unterhaltsam wie an diesem Abend.
Tatkräftige Unterstützung bekam er von Boys Noize, der das Album „Ivory Tower“ produziert hat und so absurderweise doch noch in den Genuss kam, auf der nach ihm benannten Boys Noize Bühne aufzutreten, bevor es aufgrund der Planänderung für ihn auf die Hauptbühne ging. Außerdem von einer jungen Dame aus dem Publikum namens Emily, die sich für „You Snooze You Loose“ ans Klavier setzen durfte, und sich von Gonzales‘ Versuchen, sie einzuschüchtern gänzlich unbeeindruckt (trotz einer geballten Ladung Schweiß) zeigte. Ein fantastischer Auftritt, der gut und gerne doppelt so lang hätte dauern dürfen.
Peaches‘ Auftritt bildete (ebenfalls auf der Hangar 4 Bühne), den vorgezogenen Abschluss des Samstag Abends. Trotz des geänderten Ablaufplans drängte es sich um zehn Uhr erwartungsfroh vor der Bühne. Der Aufbau dauerte seine Zeit, denn schließlich sollte es, wie Peaches später selbst verkündete, eine „Special Show“ werden. „Peaches Laser Show“ hieß es in der Ankündigung, und wer glaubt, dass Lasershows etwas Peinliches sind, das man höchstens noch in provinziellen Multiplex Kinos zu sehen bekommt, dem sei versichert: Peaches wäre nicht Peaches, wenn bei ihr nicht alles einen Schritt weiter gehen würde.
Es war eine klassische Peaches Show im positivsten Sinne. Krachiger Elektro-Gitarrensound und schräge Kostüme, dazu die Laser, die an den Sound der Instrumente gekoppelt waren oder von Peaches selbst im Rhythmus per Fernbedienung gesteuert wurden. Nackte Tatsachen durften natürlich auch nicht fehlen und zwar bei „Showstopper“, der einzigen Nummer, bei der die Laser ausgeschaltet bleiben. Trotz abgedeckter primärer Geschlechtsorgane lohnte es sich doch etwas genauer hinzusehen, denn es gab eindeutig eine Menge davon. Alte und neue Hits wurden im bekannten Gewand präsentiert, aber wer Peaches gesehen hat, wie sie im Flatterhemd mit leuchtender Vagina „I Feel Cream“ singt, der fragt sich schon ein wenig, wer eigentlich Lady Gaga ist.
Schade, dass es Schwierigkeiten mit dem Ton gab, wir hätten ihre Stimme gerne etwas deutlicher gehört. Trotzdem bewiesen Peaches und Gonzales mit ihren Auftritten mal wieder, dass sie das Showtalent (und die Musikalität) mit Löffeln gefressen haben. Mit Suppenkellen, um genauer zu sein.
Fotos (c) Lynn Lauterbach
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