Tom Malmquist ist Poet, Schriftsteller, Musikliebhaber. In seinem ersten Roman „In jedem Augenblick unseres Lebens“ verarbeitet der Schwede eine persönliche Geschichte, das einschneidendste Jahr in seinem bisherigen Leben. Als seine Freundin Karin an akuter myeloischer Leukämie erkrankt, ist sie im achten Monat schwanger. Im Krankenhaus verschlechtert sich ihr Zustand so rapide, dass die Ärzte entscheiden, das Kind sofort zu holen. Ein paar Wochen später kehrt Tom mit seiner Tochter Livia nach Hause zurück – aber ohne Karin. Im selben Jahr, in dem er Vater wird und gleichzeitig den Verlust seiner großen Liebe ertragen muss, stirbt auch noch sein Vater. „In jedem Augenblick“ unseres Lebens ist aber keine selbsttherapeutische Schrift über Trauer geworden, sondern ein Roman, eine Geschichte, die zeigt, wie nahe Leben und Tod oft beieinander liegen.
Ich treffe Tom auf der Buchmesse Leipzig und unterhalte mich eine halbe Stunde lang mit ihm. Weniger über seine persönlichen Verluste, mehr darüber, wie er es geschafft hat, etwas Wertvolles aus ihnen zu formen. Und treffe einen Mann, der erfahren hat, wie wichtig es ist, das Leben zu schätzen. Tom Malmquist hat viel zu erzählen.
Es ist deine eigene Geschichte, die du erzählst, nicht wahr?
Ja, wobei es mir wichtig ist, die Geschichte trotzdem als Fiktion zu bezeichnen. Ich wollte keinen Tatsachenbericht schreiben, der sich nur um Trauer dreht. Es basiert auf Dingen, die wirklich passiert sind, aber wir reden trotzdem über Literatur. Ich wollte einfach ein gutes Buch schreiben. Es ist also egal, ob man weiß, dass es tatsächlich passiert ist. Es geht darum, Kunst zu kreieren. Deshalb rede ich im Zusammenhang mit der Geschichte auch gerne von den fünf Sinnen. Das Buch hat fünf Teile und jeder ist einem unserer Sinne gewidmet. Im ersten Teil tausche ich im Krankenhaus eine Decke zwischen meiner im Sterben liegenden Frau und meiner neu geborenen Tochter, damit sie sich gegenseitig riechen können. Als Karin gestorben ist, war es mir wichtig, zu analysieren, was in mir passiert. Ich habe am stärksten ihren Körper vermisst. Ihren Geruch, sie anzufassen. Erinnerungen werde ich immer haben. Wenn ich an sie denke, sehe ich sie vor mir. Aber sie ist nicht mehr da, ich kann sie nicht mehr berühren.
Ich fand es gut, beim Lesen nicht zu wissen was mich erwartet, ob es jetzt eine wahre Geschichte ist oder Fiktion. In dem Teil, in dem du sehr detailliert beschreibst, was die Ärzte dir zu Karins Zustand sagen, kriegte ich das Gefühl, dass es einen realen Hintergrund haben könnte.
Dem durchschnittlichen Leser, der nicht in einem Krankenhaus arbeitet, dürfte das sehr kafkaesk vorkommen. Da steht man, die Ärzte reden mit dir und du verstehst kein Wort. Du weißt nur, hier passiert gerade etwas sehr ernstes.
Dadurch, dass du es so detailliert beschreibst, spürt man gut, wie du dich in dem Moment gefühlt haben musst. So viele Informationen und völlig unfähig, sie zu verarbeiten.
Ich war wie ein Roboter. So leer, nur voller Panik. Deshalb wollte ich den ersten Teil genau so schreiben, wie ich es getan habe. Nur Informationen und Details, nicht was ich in dem Moment sehe oder fühle.
Darüber wird im Internet ja rege diskutiert. Viele irritiert es, wie du schreibst. Dass du kaum deine Gefühle beschreibst, keine Anführungszeichen setzt, nicht im klassischen Sinne, wie man es vielleicht gewöhnt ist, eine emotionale Geschichte schreibst. Mich persönlich berührt es so viel mehr. Man ist so nah an dir dran, dadurch dass du nicht auf die Dramatik der Situation setzt sondern einfach sehr direkt wiedergibst, was dir widerfahren ist. Ganz nebenbei hast du auf diese Weise deinen eigenen Stil kreiert.
Ich habe die Anführungszeichen bewusst weg gelassen. Mit ihnen wäre es eine ganz andere Geschichte geworden. So ist es mehr ein Fluss, es wird intensiver. Und ich finde es auch nicht wichtig, immer zu wissen, wer jetzt was gesagt hat. Ich weiß, dass es viel kritisiert wird. Die Tatsache, dass es nicht so emotional geschrieben ist, dass die Anführungszeichen fehlen und auch, dass man die Hauptfigur Tom nicht immer mag. Viele denken ich bin gemein und unhöflich. Aber das ist doch das Schöne an der Geschichte – er ist einfach ein ganz normaler Typ! Er versucht, mit etwas klarzukommen, das schwer zu ertragen ist. Letztendlich bin ich ein Poet. Es geht wie gesagt nicht darum, ein Buch allein über Trauer zu schreiben. Ich habe diese Entscheidungen bewusst getroffen, sie waren mir wichtig.
Ich finde gerade die Art, wie du dich selbst beschreibst, sehr schlüssig. Niemand reagiert in so einer Situation doch immer vernünftig, heldenhaft oder nachvollziehbar. So über sich selber zu schreiben, fernab jeder Eitelkeit, finde ich sehr ehrlich und mutig.
Danke. Es freut mich, dass du das sagst. Meine Geschichte mit Karin ist ja auch eine Liebesgeschichte. Und es ist viel schöner, über Liebe zu schreiben, wenn man erzählt, wie schwierig es sein kann, sich gegenseitig zu finden. Jede Tag aufs neue. Das ist viel schöner als künstliche Romantik, bei der alles immer golden ist.
Ja, du beschreibst auch eure Beziehung sehr offen und ehrlich. Das ist künstlerisch und emotional sehr spannend, weil du dich in den Rückblenden nicht nur auf die romantisch verklärten Momente konzentrierst. Und die schönen Momente, die du beschreibst, sind eher alltäglich, wie zum Beispiel ein Silvesterabend im Kreis der Familie.
Als ich diese Szene geschrieben habe, wurde mir bewusst, wie wichtig solche Erinnerungen sind. Karin war da, sie war schwanger, mein Vater war noch da, wir waren alle zusammen. Das sind die besonderen Momente, an die man sich erinnern muss.
Wann wurde dir bewusst, dass es diese Geschichte ist, die du schreiben musst? Zum einen hattest du als Autor ja ursprünglich andere Pläne, wie du im Buch auch beschreibst. Zum anderen denke ich, man muss an den Punkt kommen, an dem man sich dem gewachsen fühlt.
Ich musste es einfach schreiben. Ich musste über Karin und meinen Vater schreiben. Als ich damit fertig war, habe ich mich noch einmal an das Manuskript gesetzt, das ich ursprünglich geschrieben habe und wovon ich am Anfang erzähle, über einen Mord in meiner Heimatstadt. Und ich habe festgestellt, dass ich jetzt ein ganz anderer Mensch bin. Der Typ, der das damals geschrieben hat war jung und hat gar nichts vom Leben verstanden. Ich habe es weg geworfen und noch einmal ganz von vorne angefangen. Wenn man ein derartiges Trauma erlebt hat, ist man automatisch ein anderer Mensch.
Zumal du nicht nur zwei tragische Verluste erfahren hast, sondern jetzt auch eine Tochter hast, um die du dich kümmern musst.
Ja. Meine Tochter ist jetzt fünf. Sie hat mir beigebracht im Dunkeln zu sehen. Und ich muss funktionieren. Das war eine klare Entscheidung. Im Buch gibt es eine Szene, in der ich zu Karins Mutter sage, sie soll mir ab sofort nicht mehr mit den Nächten helfen, ich muss es alleine schaffen. Das war sehr wichtig für mich. In dem Moment habe ich beschlossen, ein Vater zu sein. Das ist ein wichtiger Wendepunkt in dem Buch, erst da wird Tom wirklich zum Vater. Man fragt sich als Leser ja auch, ist Tom dem wirklich gewachsen? Wird er es bewältigen können? Kann er wirklich ein guter Vater sein? Ich weiß natürlich, dass ich ein guter Vater bin, aber im Buch ist das manchmal nicht so klar. Am Ende gibt es eine Szene, wo Tom seine Tochter in den Kindergarten bringt. Du weißt als Leser nicht, ob er wiederkommen und sie abholen wird. Das ist auch ein sehr intensiver, wichtiger Moment.
Ich finde ja, man spürt sehr viel Liebe zu deiner Tochter. Sie wird selten konkret ausgesprochen, aber sie ist auf jeden Fall da.
Natürlich! Ganz viel Liebe. Aber es ist eine extreme Situation. Und es ist ganz am Ende des Buches. Theoretisch weiß man es also nicht, ob er dauerhaft in der Lage sein wird, sich um sie zu kümmern. Ich werde das von Journalisten auch oft gefragt, wie es mir heute mit meiner Tochter geht. Ich beantworte das nicht so gerne, das ist mein Privatleben. Die Geschichte endet bewusst dort.
Das soll auch so sein. Ich komme nur nicht umhin mir vorzustellen, wie es sein wird wenn sie groß ist und deine Geschichte lesen wird.
Dieses Buch ist natürlich auch ein Geschenk an meine Tochter. Ich erzähle die Geschichte, wie Karin und ich uns getroffen haben, wie wir uns 2002 bei einem Schreibkurs getroffen haben, wie daraus eine Beziehung wurde. Es ist auf jeden Fall ein Geschenk an sie.
Wie haben die Menschen um dich herum reagiert, als sie erfahren haben, dass sie in deinem Buch portraitiert werden?
Am Anfang war die Situation sehr angespannt. Karins Eltern mochten nicht, wie sie beschrieben werden. Ich habe immer gesagt, das hier ist meine Version der Geschichte. Es ist nicht die Wahrheit. Es ist ehrlich, aber allein meine Version. Ihr habt eine andere. Aber es war sehr angespannt. Einer der besten Freunde meines Vaters hat mich angerufen und war sehr wütend. Er mochte nicht, wie ich meinen Vater dargestellt habe. Er fand, ich wäre zu hart mit ihm. Ich kann ihn aber nicht so beschreiben, wie er ihn als Freund gesehen hat. Er war mein Vater und nur so habe ich ihn gesehen. Es ist eine ganz andere Geschichte.
„In jedem Augenblick unseres Lebens“ von Tom Malmquist ist bei Klett-Cotta erschienen und kann hier käuflich erworben werden.
Interview: Gabi Rudolph
Foto: Vilhelm Stokstadt