Theatertreffen: Der doppelte Ibsen

tt16_john_gabriel_borkman_01_liteboxSchon zu Schulzeiten gehörte Henrik Ibsen zu meinen Lieblingsdramatikern. Seine Konflikte sind klar strukturiert und nachvollziehbar, die Nöte seiner Figuren immer essenziell, ihre Beweggründe nachvollziehbar bis allgemeingültig und seine Stoffe haben bis heute kaum an Aktualität eingebüßt. Einen Ibsen zu verhunzen ist natürlich nicht unmöglich (wie so ziemlich nichts in der Welt des Theaters), aber insgesamt verdanke ich dem norwegischen König der Dramatiker weit mehr gute als schlechte Theaterabende. Im Rahmen des Berliner Theatertreffen gleich zwei Ibsen Stücke sehen zu können, stellte für mich entsprechend ein überaus spannendes Doppelpack Highlight dar. Beide Inszenierungen präsentierten ihre Stoffe in neuen Textfassungen, mit dem Ziel einen besonders deutlich aktuellen Bezug herzustellen – das war aber auch schon die einzige Gemeinsamkeit.
Für das Schauspielhaus Zürich verfasste Autor Dietmar Rath auf Anregung von Regisseur Stefan Pucher eine textliche Neufassung des bereits 1883 uraufgeführten Dramas „Ein Volksfeind“. So wird aus der im Original thematisierten Grundwasserverunreinigung ein Fracking-Skandal, den Kurarzt Doktor Tomas Stockmann aufzudecken versucht. Der „Volksbote“, das städtische Tagesblatt, mit dessen Hilfe er an die Öffentlichkeit gehen möchte, ist in Puchers Inszenierung das Internetportal „DEMOnline“. Bloggen, Crowdfunding, Cross Border Leasing, Social-Choise-Theorie… in der ersten halben Stunde werden einem aktuelle Begriffe en masse vor den Latz geknallt und zum Teil so ausgiebig dargelegt, dass einem fast unangenehm schwindelig wird. Dazu wird über Handykameras miteinander kommuniziert, die Dialoge zum Teil aus dem Off auf die Hintergrundleinwand übertragen, es herrscht eine Farbgebung zwischen pastell und grell, alles betont modern, hyper, so so 2.0. Zum Glück weicht sich das Ganze durch pointierte Dialoge und das wortwitzige Zusammenspiel der Protagonisten auf, bevor es anfängt zu nervig zu werden. Becky Lee Walters als ferngesteuerte Aufziehmusikbarbie setzt mit ihrer Live-Musik charmante Akzente und das Ensemble tanzt mit, diese Art der Verspieltheit tut der Inszenierung gut und verhindert immer zur rechten Zeit, dass sie zu sperrig wird. Nach 90 Minuten erreicht das Ganze dann einen genialen Höhepunkt. Die Kernszene des Stücks, eine Bürgerversammlung, während der Stockmann eine Wutrede hält, die Sympathien seiner Gemeinde verspielt und letztendlich zum titelgebenden „Volksfeind“ degradiert wird, nutzt Pucher, um die Inszenierung in ihrer klassischen Struktur auseinander fallen zu lassen. Die Türen zum Foyer werden geöffnet, das Ensemble fordert das Publikum auf, der Versammlung selbst beizuwohnen. Man kann dies entweder im Saal oder vom Foyer aus tun. Dieser Kniff, gepaart mit der genialen Kraft, mit der Markus Scheumann als Doktor Stockmann seine Wuttiraden ins Publikum schleudert, lässt eine Unmittelbarkeit entstehen, die sich so völlig von der kühlen Distanziertheit der ersten Hälfte unterscheidet. Damit ist der Abend nahezu in Perfektion auf den Punkt gebracht, sodass selbst zwei ältere Damen auf dem Weg aus dem Saal treffend bemerkten: „Das war doch mal eine Inszenierung, in der der ganze moderne Videoquatsch wenigstens Sinn macht.“
tt16_ein_volksfeind_01_liteboxAuch der Australier Simon Stone benutzt die Originaltexte seiner Inszenierungen meist nur als Skelette, um die herum er sich mit jeder Menge Alltagssprache und aktuellen Anspielungen austobt. So auch geschehen bei seiner Version von „John Gabriel Borkman“, inszeniert fürs Akademietheater der Wiener Burg, am vergangenen Wochenende ebenfalls im Rahmen des Theatertreffens zu sehen. Sein Setting ist dabei aber eher klassisch, wenn auch technisch nicht weniger verblüffend, im Gegenteil. Auf der von Katrin Brack entworfenen Bühne schneit es zwei Stunden ohne Pause. Dabei spielt alles eigentlich drinnen, Figuren erheben sich für ihre Auftritte aus Schneebergen, auch ein Telefon muss erst aus dem Schnee geborgen werden, bevor es benutzt werden kann. Martin Wuttke als Titelfigur Borkman schleppt einen Fernseher herbei, dieser zeigt nur Testbild. Der gleiche Effekt in klein, eine verschachtelte Welt, in der sich die Figuren rund um den gescheiterten Fabrikanten Borkman bewegen. Birgit Minichmayr als seine Frau Gunhild, Caroline Peters als ihre Zwillingsschwester, Max Rothbart als Sohn Erhart, an dem alle mit vereinten Kräften zerren. Sie tragen ihre Konflikte aus, nebenher geht es um Facebook, ums Googlen, um YouTube und um Britney Spears und man fragt sich zwischendrin durchaus, warum das alles nicht in der Lächerlichkeit versandet, die Figuren nicht völlig demontiert werden. Es liegt natürlich an dem großartigen Ensemble, allen voran Birgit Minichmayr, die als krächzende, dauerbetrunkene Fabrikantengattin mit Absolutely Fabulous Charme einfach nur zum Niederknien ist. Aber auch insgesamt vertraut die Inszenierung voll auf ihr Ensemble, dem Stone viel Freiheit gibt, seine Figuren zu entwickeln, ad absurdum zu führen aber dabei trotzdem ernst zu nehmen. Es ist diese „Das-Gute-Kann-So-Einfach-Sein“ Euphorie, die einem bei so einem Abend ergreift.

Foto „John Gabriel Borkmann“: Reinhard Maximilian Werner
Foto „Ein Volksfeind“: Tanja Dorendorf

Bericht: Gabi Rudolph

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