Es gibt gewisse Vorurteile, die lohnt es sich einfach aufrecht zu halten. Zum Beispiel dass eine Band, die aus Kanada kommt und Folk-Pop macht, so verkehrt nicht sein kann. Die sechsköpfige Formation The Strumbellas begeistert schon seit mehreren Jahren mit ihrem eigenen Sound und vor allem ihren mitreißenden Live-Performances. Das hat der Buschfunk auch bereits nach Deutschland getragen, wo The Strumbellas schon eine Reihe gut besuchter Shows gespielt und eine begeisterte Fanbase zurück gelassen haben, die nach neuem Material lechzte. Diesen Frühling kam dann das dritte Album „Hope“ in die Läden – „ein gescheitertes Pop Album“, wie Frontmann Simon Ward es mir gegenüber im Interview beschrieb, als wir uns kürzlich nach einem Showcase der Band in Berlin getroffen haben. Was genau er damit meint und warum „Hope“ trotzdem alles andere als ein Fehlgriff ist, könnt ihr hier lesen.
Ich habe das Gefühl, dass ihr sehr leidenschaftliche Fans habt, auch hier in Deutschland.
Ja, wir können immer gar nicht glauben, wie viele Leute hier zu den Shows kommen. Das ist total wild. Wir waren in Deutschland schon in bestimmt zehn verschiedenen Städten und es sind immer Leute da. So großartig. Wir haben es überhaupt nicht erwartet. Als wir zum ersten Mal in den USA gespielt haben war niemand da.
Wirklich?
Niemand! Wir haben in leeren Bars gespielt. Wir hatten keinen Namen, und wenn man zum ersten Mal in ein neues Land kommt, ist das in der Regel so, niemand ist da. Als wir zum ersten Mal durch Kanada getourt sind war auch niemand da. Dann kamen wir nach Deutschland und bei jeder Show waren mindestens 75 bis 100 Leute. Das ist ein richtiger Erfolg für eine Band wie uns.
Ist das der Verdienst des Internets heutzutage?
Bestimmt. Wir hatten damals aber auch einen richtig guten Booker, unglaublich was der alles möglich gemacht hat.
Jetzt habt ihr ein neues Album auf dem Markt. Wo soll es damit hingehen? Habt ihr ein großes Ziel?
Weißt du was, ich bin jetzt schon so glücklich mit allem was passiert ist… Wir haben gerade die ersten Zahlen bekommen und das Album ist in den ersten Wochen bereits sechs Millionen Mal auf Spotify gestreamt worden, die Single „Spirits“ 20 Millionen Mal. Ich bin darüber so glücklich, dass alles was jetzt noch kommt einfach nur großartig sein kann. Überall auf der Welt hören die Leute unsere Musik und sie schreiben uns Nachrichten, wie viel sie ihnen bedeutet. Mehr kann man doch nicht verlangen.
Es hat sich also schon ausgezahlt für euch. Ich habe gelesen, dass ihr als Band durch eine etwas harte Zeit durch musstet und ihr euch von diesem Album gewünscht habt, dass es einen Schritt weiter für euch geht. Es scheint zu funktionieren!
Das ist buchstäblich genau das, was im Moment passiert. Seit unserem ersten gemeinsamen Tag war das Ziel dieser Band Songs zu schreiben, die überall auf der Welt im Radio gespielt werden. Das ist alles, was wir jemals wollten. Wir haben uns nie als Band gesehen, die glücklich damit ist, ein paar lokale Shows im Jahr zu spielen. Was das angeht, sind wir sehr zielstrebig. Die ersten beiden Alben liefen ganz gut in Kanada, aber bei diesem Album musste etwas passieren. Wir sind keine 19 mehr. Wir müssen jetzt aus dieser Band eine Karriere machen. Und wie es im Moment aussieht läuft es besser, als wir uns hätten träumen lassen.
Kann man es denn in irgend einer Form beeinflussen oder ist das mehr eine Sache von Glück, Zufall und der Gunst der Stunde? Gab es etwas bei diesem Album, das ihr bewusst ausprobieren wolltet, um einen Schritt weiter zu kommen?
Ich weiß genau was du meinst. Und ja, dieses Album sind wir bewusst ganz anders angegangen. Das magische Wort in dem Fall ist Pop… ich habe in den letzten Jahren viel Popmusik gehört, Miley Cyrus zum Beispiel…
Ehrlich gesagt wollte ich genau darauf hinaus. Ich habe gelesen, dass sie eine große Inspiration für dich ist.
Eine riesige! Viele Künstler würden das so nicht sagen, aber ich möchte definitiv Popmusik machen. Wir haben wirklich hart daran gearbeitet ein Pop Album zu machen, und am Ende ist es nicht wirklich eins geworden, weil die folkigen Strumbella Einflüsse natürlich immer da sind. Wir sind so und werden es immer sein, das kriegen wir nicht mehr raus. Aber der Grundgedanke, große Popsongs zu schreiben, der war die ganze Zeit da. Und wir sind nicht zusammen gekommen um Musik einfach nur zum Spaß zu machen. Wir haben gezielt versucht Songs zu schreiben, die hoffentlich im Radio gespielt wird.
Der typische Strumbella Sound ist tatsächlich nach wie vor da, wenn man mit euren alten Sachen vergleicht. Aber ihr habt da wirklich ein paar ordentliche Ohrwürmer geschaffen…
Das stimmt, es ist immer noch ein Strumbellas Album. Wahrscheinlich könnte man es am Besten als gescheitertes Pop Album beschreiben. Es ist natürlich nicht als Album im gesamten gescheitert, aber als klassisches Pop Album schon. Am Ende ist es ein Strumbellas Album geworden mit mehr Kickdrum und stärkeren Hooks. Wir sind sehr stolz auf die Melodien, die wir geschaffen haben. Und es hat wahnsinnigen Spaß gemacht! Zu versuchen, Popmusik zu machen. Das war der größte Spaß an der ganzen Sache. Und ich bin sehr glücklich damit, dass es genau so geworden ist wie es jetzt ist. Viel glücklicher als wenn es ein richtiges Popalbum geworden wäre.
Hat sich die Tatsache, dass ihr anders ans Songschreiben ran gegangen seid auch auf eure weitere Arbeitsweise ausgewirkt, auf die Aufnahmen zum Beispiel?
Absolut. „Hope“ ist ein reines Studioalbum geworden. Wir haben die Songs zum Beispiel nicht einmal gejammt, bevor wie sie aufgenommen haben. Ich habe sie in meinem Schlafzimmer geschrieben und dann sind wir direkt ins Studio. Das hört sich extrem unkünstlerisch an, aber die Aufnahmen sind komplett am Computer entstanden. Ein reines Studioalbum.
Das ist interessant. Man sollte meinen, dass sich das in der Qualität der Songs niederschlägt, aber dem ist absolut nicht so. Spricht sehr für euch als Band. Wenn du mir erzählt hättest, dass ihr zusammen ins Studio gegangen seid und alles live aufgenommen habt, ich hätte es dir auch geglaubt.
Vielleicht hätte ich das sagen sollen. Tun wir einfach so, als hätte ich dir das andere nicht erzählt (lacht). Genau, wir haben die Aufnahmen direkt im Tourbus eingespielt, in einer Jamsession! Nein, aber es ist gut, dass du das so wahrnimmst. Das freut mich. Aber wir kennen uns schon sehr lange und sind irgendwie auch eingespielt, wenn wir ins Studio gehen und jeder für sich aufnimmt. Außerdem hatten wir einen großartigen Producer. Wenn wir einen Sound im Kopf hatten, er hat ihn genau so hingekriegt. Es war zum ersten Mal in meinem Leben so, dass die Songs am Ende genau so raus gekommen sind, wie ich sie im Kopf hatte. Das hatte ich wirklich noch nie. Das liegt aber auch daran, dass ich mich selbst immer besser kennenlerne und die Band auch immer mehr zusammen wächst. Bei den ersten beiden Alben hatten wir einfach noch nicht so viel Ahnung und wussten gar nicht so genau was wir wollten. Es hat drei Alben gebraucht um dorthin zu kommen. Ich bin natürlich trotzdem stolz drauf, und wir lieben die Producer, mit denen wir früher gearbeitet haben. Außerdem glaube ich, dass wir immer noch nicht am Ziel sind. Man lernt immer dazu. Und ich denke jetzt schon drüber nach, was ich für das nächste Album möchte. Jedes Album ist diese verrückte, großartige Erfahrung und dann geht es weiter. Wer weiß was dann passiert – Disco! (lacht) Oder Rammstein. Wer weiß.
Du hast Kinder, richtig?
Ja, zwei. Sie sind zwei und fünf Jahre alt.
Was für Musik hören die so?
Oh mein Gott, das ist total schräg, aber mein Sohn, fünf Jahre alt, ist besessen von unserer Band. Ich habe ihm einen kleinen CD Spieler gekauft und ihm unsere Alben gegeben und er sitzt wirklich stundenlang in seinem Zimmer, hört diese Musik und singt mit. Das ist mitunter etwas seltsam wenn wir Besuch bekommen und man hört im Hintergrund laut Strumbellas Musik. Ich muss dann immer sagen: ich schwöre, ich sitze nicht Zuhause und höre laut unsere Platten! Mein Sohn ist wirklich verrückt danach. Er fragt mich, was die Texte bedeuten, was ist das für ein Instrument, wer spielt es… Und meine Tochter interessiert es gar nicht! In Kanada läuft „Spirits“ inzwischen viel im Radio und neulich meinte mein Sohn im Auto: Dad, warum läuft „Spirits“ ständig im Radio? Langsam kann ich es nicht mehr hören. Und ich meinte: beschwer dich nicht! Das ist sehr gut für uns, dass es so viel läuft (lacht). Aber Kinder scheinen insgesamt sehr auf „Spirits“ abzufahren. Wir kriegen ständig Videos von Eltern geschickt, die ihre Kinder dabei filmen, wie sie es singen. Und zum Teil die Texte verändern. Ein kleiner Junge hat immer „I got gum in my hair“ gesungen. Ich liebe das! Ich liebe Kinder. Ich liebe es auch wenn Kinder mit zu den Shows kommen. Dann stehen sie da gemeinsam mit ihren Eltern und beide sind glücklich. Das ist doch großartig!
The Strumbellas Live:
29.08.2016, Köln, Stadtgarten
Interview: Gabi Rudolph
Foto: Universal Music