Ob es sich bei den Sisters Of Mercy namentlich um die barmherzigen Schwestern handelt oder doch eher um Prostituierte, die sich ihren Freiern widmen, sei dahingestellt. Die Einzigen, die an diesem Abend Erbarmen haben mussten, waren die Fans – und zwar mit der Band. Wie eine Karikatur seiner selbst tauchte Andrew Eldritch durch die Nebelschwaden am Bühnenrand auf. Früher noch mit wallenden schwarzen Haaren – der Inbegriff für die Waver und Gothics in den 80ern- trägt er heute nur noch Glatze. Dass ihm die Haare abhanden gekommen sin, ist weniger schlimm, wenn seine Stimme nicht das gleiche Schicksal ereilt hätte.
Eigentlich ist es ja clever mit einem Hit zu starten. Früher war „More“ ein Kracher, zu dem die Darkwave Anhänger tief in den Knien gebeugt mit fuchtelnden Armbewegungen halb über dem Boden schwebten. Nicht nur, dass die Fans mittlerweile in einem Alter sind, in dem sie diesen Tanzstil nicht mehr ohne anschließende Rückenschmerzen vollführen können. Die einstige Waver-Hymne verkümmert zu einem scheppernden Song, der mit druckloser Stimme dargeboten wird. Das Trauerspiel zieht sich durch diesen Abend fort. Man hat fast Angst vor den einst geliebten Liedern wie „This Corrosion“ und „Temple Of Love“. Diese Angst bestätigt sich dann auch spätestens bei den Zugaben. Alle Songs dazwischen führen nur dazu, dass selbst die tanzwilligen Hardcroe-Fans in vorderster Reihe immer ruhiger werden und der anfangs noch euphorische Jubel, verursacht durch die Freude Idole aus der Jugend wieder zu sehen, immer verhaltener wird.
Irgendwann konkurriert das Gebrabbel aus dem Publikum mit Eldritchs sangesähnlichem Genuschel, man versteht nicht wirklich was er da singt – dabei spricht er doch so viele Sprachen – so hört sich jeder Song irgendwie gleich an. Es hilft auch nichts, dass er immer wieder mit hölzernen Bewegungen im Nebel und unter farbigen Lichtkegeln verschwindet. Im Gegenteil, man ist sich manchmal nicht so sicher, ob da gerade Eldritch selbst oder Chris Catalyst, der Gitarrist aus dem Bühnendüster auftaucht. Lediglich die Koteletten unterscheiden die beiden Band-Gefährten. Um dem Abend doch noch etwas Positives abzugewinnen, sollte man den zweiten Gitarristen Ben Christo nicht unerwähnt lassen. Er sieht zwar aus, als wär er beim ersten Sisters Of Mercy Album „First and Last and Always“ noch gar nicht auf der Welt gewesen, dafür beherrscht er Rock `n Roll Moves wie ein Großer und ist zumindest optisch ein Lichtblick. Aus ganzer Kraft versucht er, mit seinem Backgroundgesang Andrew Eldritch zu supporten. Ein Tropfen auf den heißen Stein.
Fazit des Abends: manchmal sollte man einfach nicht versuchen, alte Erinnerungen aufzufrischen. Schließlich trägt man mittlerweile selbst auch keine schwarzen Haare mehr mit literweise Zuckerwasser und Haarlack. Der „Temple Of Love“ ist an diesem Abend eingestürzt.
War dabei: Kate Rock
Fotos: Claudia Weingart