The Murder Capital: „Wir haben gelernt, die Dingen atmen zu lassen“

The Murder Capital sind endlich wieder auf Tour. Direkt zur Veröffentlichung ihres zweiten Albums „Gigi’s Recovery“ hat die Band aus Dublin ihre Koffer gepackt und ist an diesem Abend in Berlin zu Gast, wo im Backstage Raum des Lidos eine Atmosphäre wie im Bienenstock herrscht. Nachdem mir gefühlt der ganze Raum die Hand geschüttelt hat, dünnt es sich nach und nach aus und Ruhe kehrt ein, bis nur noch Schlagzeuger Diarmuid Brennan und Gitarrist Cathal „Pump“ Roper zum Gespräch bei mir auf dem Sofa sitzen. 

Die beiden haben dafür aber die Ruhe weg und versichern mir, selbst als wir unsere vereinbarte Gesprächszeit schon längst überschritten haben, dass sie keine Eile haben und gerne noch weiter plaudern würden. Am Ende verstricken wir uns in Themen wie Atemübungen, Meditation und yogische Körperphilosophie. Aber ein bisschen über Musik haben wir natürlich auch geredet und, es bleibt immer noch nicht aus, über die durch Corona verordnete Zwangspause, aus der The Murder Capital nun endlich zurück sind. 

Ihr gehört zu den Bands, die zum Beginn der Pandemie auf Tour waren, plötzlich abbrechen mussten und dann ging gar nichts mehr.

Pump: Wir waren in den USA. Wir hatten gerade zwei Shows gespielt, dann hieß es, dass wir nach Hause fahren müssen. Ich erinnere mich, wir waren in New York, ich stand auf dem Times Square, es war gruselig leer. 
Diarmuid: Dann sind wir nach Hause gefahren und haben den Schwanz eingezogen.

Wie ist es euch damit gegangen? Ihr seid ja aus einer sehr intensiven Zeit herausgeworfen worden.

Pump: Ehrlich gesagt war es auch ein bisschen eine Erleichterung. Die erste Woche bin ich nicht aus dem Bett gekommen. Die zweite bin ich aufgestanden und habe gedacht: habe ich jetzt wirklich drei Monate Urlaub? Wir wussten am Anfang ja nicht, wie lang es wirklich gehen würde, aber dass im April nichts geht, war schon klar. Mai dachten wir, gucken wir mal. Aber dann waren die Einschränkungen im Mai in Irland immer noch sehr strikt. Also haben wir einen kleinen Urlaub draus gemacht. Man hatte endlich die Ruhe, ein bisschen nach innen zu schauen, vielleicht sogar ein paar Therapiestunden zu nehmen. Das war ja alles, was man in der Zeit machen konnte. Im Sommer haben wir dann angefangen, in Dublin an unserem zweiten Album zu arbeiten. Irgendwie hatte man durch das Ganze plötzlich Zeit, auch mal nach innen zu schauen und an sich selbst zu arbeiten. 

Diarmuid: Jeder überall auf der Welt saß irgendwie im gleichen Boot. In der ersten Woche saß ich bei meinen Eltern auf der Couch und habe Däumchen gedreht. Es war tröstlich zu wissen, dass es allen anderen genauso geht. Die ganze Welt saß Zuhause auf der Couch. Die, die noch Glück hatten, zumindest… 

Pump: Ich weiß noch, wie sie angefangen haben wieder zu öffnen. Ich meinte zu dir, jetzt geht es wieder los. Dann waren nach zwei Wochen die Krankenhäuser überfüllt und wir waren wieder am Arsch.

Diarmuid: Irgendwie sind Interviews immer noch wie kleine Therapiesitzungen. Wir reden alle über unser Covid Trauma (lacht). 

Ich habe mich neulich gefragt, ob wir irgendwann nicht mehr darüber reden werden.

Diarmuid: Dazu war das Ganze wahrscheinlich zu traumatisch. Es ging so unglaublich lang und die Schäden, die diese Zeit angerichtet hat, werden wir noch lange spüren. So viele Venues haben zum Beispiel zu gemacht. Große Investoren sind angeschwärmt gekommen und haben die Gebäude übernommen. 

Pump: Neue Bands haben bis heute ein Problem. Es muss so hart für sie sein, überhaupt Shows spielen zu können. Es gibt immer noch einen Stau von Acts, die ihre Alben aus den letzten zwei Jahren nicht getourt haben und jetzt unterwegs sind. Und wenn ich an Zuhause denke, da kriegen wir nicht besonders viele neue Acts zu sehen. 
Diarmuid: Wir sind immer noch dabei, uns davon zu erholen. In unserer Branche herrscht Rezension. Und ich meine das gar nicht nur im finanziellen Sinne, sondern auch was die Kreativität angeht. 

Aber ihr seid zum Glück jetzt ja hier, und das schon so früh im Jahr und so schnell nach eurem Albumrelease.

Diarmuid: Eigentlich wollten wir das Album ja schon letztes Jahr im Oktober veröffentlichen und mussten es dann auf den Januar schieben. Aber wie waren so heiß drauf auf Tour zu gehen, dass wir direkt losgelegt haben. Es war schön, das Jahr so anzufangen. Wir hatten die erste Januarwoche frei, dann sind wir zusammen gekommen um zu proben. Seitdem waren wir jeden Tag zusammen. 

Pump: Es ist schön, beschäftigt zu sein. In den letzten Jahren konnten wir nur vereinzelte Shows spielen. Man hat dann ein Wochenende Festivals und ist danach wieder Zuhause. Das ist keine besonders gute Art zu leben. Ich musste zwischendrin verschiedene Jobs annehmen, um über die Runden zu kommen und mich zu beschäftigen. Ich liebe es einfach, am Stück unterwegs zu sein, jeden Abend zu spielen und nur ab und zu einen Tag frei zu haben. Der bekommt dann eine ganz andere Bedeutung. 

Diarmuid: Ich komme wenn dann besser damit klar, am Stück frei zu haben. Letztes Jahr hatten wir zwei Monate Urlaub, bevor wir mit den Aufnahmen angefangen haben. Ich habe in der Zeit in Paris geliebt, das war großartig, weil ich Zeit hatte, die Stadt richtig kennenzulernen. Sobald der Sommer kam, waren wir zum Beispiel zehn Tage unterwegs, um Festivals zu spielen und sind dann für vier Tage oder so wieder nach Hause gekommen. Da habe ich mich wie ein Geist in Paris gefühlt, hatte überhaupt nicht die Möglichkeit, wieder richtig anzukommen. Transit ist das Wort, das mir immer dazu einfällt. Du bist weder richtig hier noch dort. So wie jetzt mag ich es auch am liebsten. Wir sind alle zusammen, bilden eine Einheit. Und ein Tag frei in Berlin ist pures Gold.

Eure Arbeit als Band lebt ja schließlich davon, physisch zusammen zu kommen und gemeinsam zu arbeiten. Alleine was das angeht eingeschränkt zu sein, stelle ich mir sehr schwierig vor.

Diarmuid: Absolut. Gleich damals, als wir aus den USA zurück gekommen sind, war uns klar, dass wir als Band nicht weiterkommen, wenn wir nicht sehr bald neue Musik machen. Nicht nur logistisch, also in dem Sinn, dass wir neue Musik brauchen, um das nächste Mal auf Tour zu gehen. Auch für uns selbst. Wir mussten immer noch daran arbeiten, gegenseitig das Beste aus uns herauszuholen. Dafür war die Zeit in der Pandemie schon sehr wertvoll. Wir haben drei Monate lang in Dublin geschrieben und dachten, dass wir in der Zeit locker ein Album fertig haben, weil das erste so schnell entstanden ist. Aber das ist nicht passiert. Im Herbst waren wir in Wexford und waren uns sicher, dass wir bis Weihnachten fertig sind. Wir waren dort bis Mai und immer noch nicht fertig (lacht). Stattdessen sind wir noch einmal für sechs Monate nach London gegangen und haben es dort fertig gestellt. In der Zeit haben wir gelernt was es wirklich bedeutet, eine Band zu sein. Eine Band zu sein bedeutet nicht nur, zusammen Musik zu machen. Du musst lernen, mit den Köpfen der anderen genauso klar zu kommen wie mit deinem eigenen. Kreativ zu bleiben, während man lernt mit seinen Zweifeln und Gefühlen umzugehen, sowie mit denen der anderen. Das spielt alles zusammen. Es funktioniert nicht so, dass man jeden Tag zusammen kommt und Spaß hat. So schön die Vorstellung auch ist. Der erste Schritt ist, zu versuchen die andere zu verstehen. Manchmal sitzen wir da und fragen uns, warum wir heute nichts auf die Reihe kriegen. Vielleicht weil einer von uns sich scheiße fühlt. Dann müssen wir uns erst einmal darum kümmern. Wir haben ein bisschen Zeit gebraucht, das herauszufinden und den Raum dafür zuzulassen. 

Pump: Das gemeinsame Schreiben ist die schwierigste Phase, aber auch die spannendste. Man muss sich öffnen und sich erlauben verletzlich zu sein, um weiter zu kommen. Und das kann nicht nur einer Person zufallen. So funktionieren wir zumindest nicht. Wir sind alle auf sehr unterschiedliche Weise sehr kreative Menschen. Keiner von uns soll das Gefühl haben, dass er nicht zum Zug kommt. Das Outlet, das die Band uns bietet ist uns fünf so wichtig, dass es gerecht geteilt werden muss. Das wichtigste, was wir während des Lockdowns gelernt haben ist das zu pflegen, was zwischen uns ist, denn das ist etwas Besonderes. 

Aber war es vielleicht auch schwieriger, mit dem Album fertig zu werden, eben weil ihr mehr Zeit hattet als beim ersten?

Pump: Ehrlich gesagt, wenn man uns beim ersten Album mehr Zeit gegeben hätte, dann wäre es länger geworden. Aber wir hatten einen ziemlich engen Zeitrahmen. Als wir ins Studio gegangen sind, hatten wir noch nicht alle Songs fertig. 2020 hat unser Management erwartet, dass wir im selben Jahr im Oktober ein Album fertig haben. Ich erinnere mich, wie ich sofort gesagt habe, das wird nicht passieren, so wie wir mit dem Schreiben voran gekommen sind. Zeit hat bei diesem Album eine große Rolle gespielt. Ich habe ständig an Zeit gedacht. Erst einmal gab es während der ganzen Pandemie keinen wirklich guten Zeitpunkt, ein Album rauszubringen. Wir wollten einfach, dass es richtig und gut wird. Unser Management hat das dann genauso gesehen. Am Ende hat alles Sinn gemacht: wann unser Producer Zeit hatte, wann wir aufnehmen konnten. Wir hatten uns fest vorgenommen, dass nichts passieren wird, bevor wir das Studio verlassen und das Gefühl haben, wirklich fertig zu sein. 

Diarmuid: Das Großartige am kreativen Prozess ist: es ist die einzige Zeit, in der man zurückgehen und Dinge neu und anders machen kann. Wenn du mit jemandem ein Gespräch hast und das läuft nicht so gut, dann kannst du keinen Knopf drücken, in der Zeit zurück gehen, zurücknehmen was du gesagt hast und sagen, was du eigentlich sagen wolltest. Aber wenn du dir genug Zeit nimmst um kreativ zu sein, dann kannst du zurück gehen, etwas wiederholen und sagen: genau so wollte ich das ausdrücken. Vielleicht kommst du trotzdem nicht genau dort hin. Aber es liegt eine gewisse Schönheit darin, zumindest die Möglichkeit zu haben. Erst wenn du mehrmals zurück gegangen bist, Dinge neu und anders gemacht hast, dann weißt du irgendwann, dass du wirklich fertig bist. Und dann: „let the fuck go…“ (lacht)

Ich stelle mir diesen Prozess des Loslassens wirklich hart vor.

Diarmuid: Ich erinnere mich, wie wir unseren ersten Zoom Call mit John (Congleton, Producer, Anm.) hatten und ich das Gefühl hatte, mir fehlt etwas. Ich habe einfach noch nicht den Vibe gespürt, dass das unser Album ist. Und die anderen waren voll drin und begeistert, sie waren bereit, meinten jetzt sprechen wir mit unserem Produzenten, jetzt ist es soweit. Ich konnte gar nicht beschreiben was es war, aber irgendetwas hat gefehlt. John war großartig, er meinte das ist total normal, oft kommt alles erst zusammen, wenn man im Studio ist, manchmal sogar erst am allerletzten Tag. Aber es wird kommen. Das hat mich beruhigt. Und so war es auch. Ich weiß nicht mehr genau wann, aber irgendwann war das Gefühl da. 

Und konntest du irgendwann benennen, was dir genau gefehlt hat? 

Diarmuid: Ich glaube, ich hatte einfach komplett die Erwartung verloren, wie es werden würde. Ich hatte keine Ahnung mehr, was gut oder schlecht ist. Wenn du dann mitten im Prozess bist, bekommst du ein ganz neues Gefühl dafür, wenn etwas einfach super klingt. 

Ich finde es interessant, dass ihr so lang an dem Album gearbeitet habt. Weil ich das Gefühl habe, dieses Album nimmt sich einerseits seinen Raum, klingt aber auch sehr straff und in sich geschlossen.

Pump: Wir haben gelernt, die Dingen atmen zu lassen. Zum Beispiel im Mixing Prozess. Letztes Mal sind wir beim Mixing ein bisschen über das Ziel hinaus geschossen und haben ein paar der spannendsten Kleinigkeiten weg gemischt. Dynamisch ist es dadurch viel flacher geworden. Wir hatten John genau gesagt, was wir haben wollten, aber wir fünf würden das jeder für sich ganz unterschiedlich angehen. John hat das Heft genau im richtigen Sinne in die Hand genommen und wir konnten entsprechend darauf reagieren. Dadurch wurde alles neu und spannend für uns. Das ist eigentlich das Wichtigste, was du lernen musst, wenn du mit Leuten zusammen arbeiten möchtest: lass sie atmen. Jeder hat seine Gründe, warum er hier ist. Lass jeden sein Ding machen. Manchmal braucht es seine Zeit, bis eine Idee sich entwickelt und bis du verstehst, wie der andere sie angehen möchte. Manchmal ist es ein Schock und du gehst automatisch in eine Verteidigungshaltung. Auch das ist okay. Vielleicht passiert gerade etwas, das du zuerst nicht verstehst. Aber wenn du den Raum dafür zulässt, für den Atem und auch für die Auseinandersetzung, dann wird es spannend. 

Foto © Marcus Prouse Jr