Kommen sie oder kommen sie nicht? Wie sind sie drauf? Schafft es Pete überhaupt, wenn vorher zwei Vorbands spielen? Die ewig bangen Fragen die man sich stellen muss, wenn man bereits das ein oder andere Absturz-Desaster mit Pete Doherty erlebt hat.
Unglaublicherweise gehen um halb zehn, fast Beamten mässig pünktlich, wie angekündigt die Lichter aus. Scheinwerfer erleuchten die Bühne. „We’ll Meet Again“ von Vera Lynn hallt durch die Lautsprecher. Endlich sehen wir uns wieder! Mit einem „Ohhh Yeah!“ stehen sie plötzlich auf der Bühne: Pete Doherty und Carl Barât Seite an Seite. Nach dem was zwischen den beiden Frontmännern über die Jahre vorgefallen ist für manch einen Fan kaum noch Vorstellbar. Die Beziehung der beiden scheint aber doch so tief zu sein, dass sie einige Höhen und Tiefen aushält.
Schon beim ersten Song „Delaney“ bebt die Halle. Leider wird schnell klar, dass der Sound – wie immer in der Arena – ziemlich schlecht ist. Das Schlagzeug überrollt Bass und Gitarren und leider auch oft die Stimmen. Aber das bleibt wohl auch der einzige Wehmutstropfen an diesem Abend.
Alte Kinoscheinwerfer sind auf die Fans gerichtet, eine große Videowand zeigt Bilder aus ihrer Heimat England oder die Band selbst. Carl wird es schnell zu heiß, er zieht seinen Libertines typischen roten Coldstream Guards Mantel aus. Und so stehen sie Seite an Seite in schwarz, meist ins gleiche Mikro singend und auf ihren Gitarren klampfend. Man spürt förmlich, wie es zwischen den beiden wieder knistert. Nach dem dritten Song „Vertigo“ ist klar, der Abend läuft. Die Frontmänner fallen sich fast erleichtert unter lautem Jubel der Fans in die Arme.
Aber auch der Rest der Band wird immer wieder integriert. Mit John Hassall, dem Bassisten, gruppieren sie sich immer wieder um das Drum-Kit von Gary Powell und bilden eine fast verschworene Einheit. Sie trotzen den Unkenrufen, dass sie nur wegen des schnöden Mammons wieder auf die Bühne gehen. Das ist eine Band, der Spaß macht was sie tut. Ganz eindeutig. Und die Fans danken es, indem sie jeden Song des wunderbar ehrlichen Rock-Geschrammels inbrünstig mitsingen.
Wahl-Hamburger Pete versucht sich zwischendurch in gar nicht schlechtem Deutsch. Mehrmals zählt er mit „eins, swuai, droi ,vier“ ein und kommentiert seine Akord-Versuche mit „I almost got it“ , was in „Almost When The Lights Go Out“ mündet. Den wunderbaren Song „What Katie Did“ kündigt er Rosen winkend an. Die ganze Halle ist in einem grölenden shoop shoop-shoop-de-lang-a-lang vereint und schunkelt glückselig vor sich hin. Und ich singe voller Glück meine Lieblingszeile „But since you said goodbye, polka dots fill my eyes, and I don’t know why.“
Bei „Ballad For Grimaldi“ ist Barât ganz alleine auf der Bühne und intoniert nur mit Gitarre und verführerischer Stimme, angetrieben vom Klatschen des Publikums, eine sehr schöne Akustik-Version. Kurz darauf kracht es wieder so richtig schön bei „Boy Looked At Johnny“. Dann hat auch Pete seinen Solo-Einsatz mit dem Bandits Cover „The Warning“. Der Song geht nahtlos über in das legendäre, fast verschollene „Albion“. Schon bei den ersten Akkorden setzt das Publikum textsicher ein. Das wird von Pete mit einem schiefen Lächeln und Kopfnicken quittiert. Er ist sichtlich gerührt. Carl kommt mit Zigarette auf die Bühne und begleitet ihn auf der Mundharmonika. Diese zwei Songs sind ganz abseits der eigentlichen Playlist.
Pete fordert die Reaktionen des Publikums streng ein. „Oh schön… we got a better reception in Dublin“, beschwert er sich neckisch und verkündet er spiele nur weiter, wenn entweder jemand die Bühne stürmt oder mindestens vier Schuhe auf die Bühne fliegen. Diese kommen natürlich sofort in großer Anzahl, ebenso ein BH. Den trägt kurzzeitig der gut gebaute Gary Powell, der mittlerweile mit nacktem Oberkörper Schlagzeug spielt.
Nach 90 Minuten Hochform verabschieden sich The Libertines und lassen sich verdient feiern. „Wir wollen Käsebrötchen!“ ruft Pete, als sie kurze Zeit später zurück auf die Bühne kommen und beißt auch herzhaft in ein solches. Und wieder springt Carl ihm vor Freude in die Arme. Sie spielen voller Inbrunst die letzten vier Zugaben. Und wenn sie damit nicht ihre beiden Studioalben durchgespielt hätten, wären sie wahrscheinlich noch länger auf der Bühne geblieben.
Heute war ein guter Tag für Pete und die Band. Ein sehr guter! Ein Freund sagt zu mir: „Pete kann alle Texte, Wahnsinn“. Und leider ist das bezeichnend, denn bei den Jungs gibt es nur Himmel oder Hölle. Dazwischen passiert wenig. Heute waren wir gemeinsam im Himmel.