Handzahm sind und waren The Horrors noch nie. Aber dass sie nun mit „V“ wirklich noch mal so eine neu nebelige Postpunk-Odyssee starten, ist dennoch überraschend. Nur verdammt: überraschend gut. Endlich wieder richtig verpackte Wut! Doch so düster und introvertiert sich die Band aus Essex auch auf Platte gibt – im Gespräch haben sie andere Qualitäten. The Horrors mögen auf Albumlänge die Aggression wiederentdeckt haben, zum Interviewtermin in Berlin geben sie sich offen, locker und ja, sogar ziemlich handzahm.
Musstest ihr ein Kampf mit euch ausfechten, um „V“ loslassen und hinaus in die Welt geben zu können?
Rhys Webb: Es tut gut, zu wissen, dass man nicht mehr daran herumfuschen kann. Vorher war es wirklich hart. Aber jetzt ist der Moment, in dem wir endlich einen Schritt zurücktreten und das große Ganze betrachten und genießen können. Mitten in der Arbeit an so einem Album, ist man viel zu fokussiert auf jeden individuellen Track, um alles zu sehen.
Faris Badwan: Genau, ich höre unsere Musik jetzt plötzlich ganz anders. Vorher war ich zu nah dran, da habe ich die Perspektive verloren. In so einer Zeit auch noch einen Albumtitel zu finden, ist das Schlimmste. Wie kann man alles mit einem einzigen Titel zusammenfassen? Aber jetzt, nach ein paar Monaten nach der Finalisierung ergibt langsam alles einen Sinn, den es zwischendrin für mich nicht gab.
Rhys: Und genau deshalb ist der Moment, in dem man entscheidet, ein Album gehen zu lassen, so wichtig. Das Kopfzerbrechen hat ein Ende und die Idee nimmt seine fertige Form an.
Was macht für euch Integrität aus?
Joshua Hayward: Die Antwort ist ganz klar Veränderung.
Rhys: Wobei auch Kontinuität essentiell für unsere Integrität ist. Es wäre schon schräg, wenn wir nach all den Jahren mit etwas komplett Anderem um die Ecke kommen würden. Stelle dir nur so ein Rockabilly-Horrors-Album vor! (lacht) Für mich heißt erfolgreiche Kontinuität für eine Band, dass sie schon zig Jahre zusammenarbeitet und dabei immer wieder ihren eigenen Sound kreiert. Genau so arbeiten wir. So kriege ich meine Motivation, weiterhin bei der Band am Ball zu bleiben und dabei zu helfen, Neues zu entdecken und so Veränderung anzuschieben.
Faris: Ich mag es, wenn es Bands schaffen, in jedem Song, selbst wenn sie aus unterschiedlichen Genres stammen, ihre Persönlichkeit zu vermitteln. Das bedeutet für mich Integrität.
Könnt ihr euch vorstellen auch mal vom Albumkonzept abzuweichen?
Rhys: „V“ bedeutet ein neues Kapitel für uns. Und diesen Neuanfang wollten wir zumindest in einem konventionellen Format präsentieren. Aber generell können wir uns schon vorstellen, davon abzuweichen. Darüber hatten wir sogar schon mit Paul [Epworth, Produzent, Anm. d. Red.] gesprochen. Vielleicht machen wir das einfach in ein paar Monaten. Es macht bestimmt Spaß, wenn man nicht eine halbe Ewigkeit neue Songs zurückhält, sondern sie sofort veröffentlicht. Das ergibt sogar richtig Sinn, jetzt wo die Leute mehr Tracks auf Spotify hören anstatt sich ein ganzes Album physisch zu kaufen.
Wenn „V“ ein neues Kapitel für euch ist, was beinhaltet dieses genau?
Rhys: Naja, für die Band ist es ein Kapitel in einem Roman. Wobei das Album an sich eher viele Kurzgeschichten sind, mit unterschiedlichen Themen, Ideen und Widersprüchen… Faris, könntest du mir hier bitte weiterhelfen? (lacht)
Faris: Mir fällt es schwer eine Erklärung zu finden. Das ist etwas sehr Persönliches und jeder sollte sein eigenes Fazit ziehen. Viele von meinen liebsten Songs anderer Bands, habe ich eigentlich falsch verstanden. Das mag ich irgendwie.
Joshua: Es stimmt. So ein Album wird für jeden etwas anderes, mit jedem Mal, dass man es hört. Man kreiert sich damit seine eigene Welt. Nicht so wie beim Konzert: Da erschafft man sich eine Welt mit anderen Menschen zusammen. Das ist etwas anderes. Es ist ein geteiltes Erlebnis. Wir wollten auf jeden Fall in diesem neuen Kapitel mehr von der Live-Energie auf Platte bannen. Wir haben Paul gebeten, uns so rau wie möglich klingen zu lassen. Wir wollten mehr Ecken. Wir wollten mehr unseren Instinkten und nicht irgendeinem Plan folgen. Dadurch klingt das Album auch um einiges gefährlicher.
Faris: Ja, selbst die poppigeren Stücke haben diese Aggression, die wir auf der Bühne so gern erzeugen.
Ist euch Verstörung in der Musik wichtig?
Faris: Verstörung in der Hinsicht, dass wir gern einen Perspektivwechsel möglich machen wollen. Wir wollen selbst nichts sein, was man konsumiert, sondern worüber man nachdenkt.
Joshua: Das ist schon eine Herausforderung. Wir müssen uns immer weiter dehnen können. Dafür ist es wichtig, dass wir aufeinander achten und reagieren. So bricht man aus seiner Blase aus, was wiederum verstörend sein kann. Und das finde ich wirklich bereichernd. Wir Menschen sind schon komisch, oder? Finden Dinge bereichernd, die verstörend sind. (lacht)
Rhys: Paul hat uns auf jeden Fall dabei geholfen, uns mehr zu dehnen. Wir hatten vorher noch nie jemanden von außen, der auch so kreativ bei uns mitgewirkt hat. Er hat unsere Wohlfühlzone hineingefunkt. Doch das war nötig, um Dinge ein bisschen durcheinanderbringen, damit wir raus aus unserem sicheren Umfeld kamen. Ja, das ist verstörend, aber gut.
Was lässt euch selbstbewusst fühlen?
Joshua: Selbstbewusstsein ist nichts, auf das ich mich je verlassen habe.
Rhys: Ich fühle mich dank dieses Albums selbstbewusster. Wir haben es echt durchgezogen. Ich bin generell aber niemand, der besonders selbstbewusst in Neues hineingeht und nur an das Beste in sich glaubt.
Faris: Wir haben alle nicht die großen Egos. Aber wir sind als Gruppe selbstsicher und vertrauen in die Ideen der anderen. Das ist doch schon mal was. (lacht)
The Horrors sind im November auf Tour in Deutschland. Alle Termine findet ihr hier.
Interview und Foto: Hella Wittenberg