Staatsballett Berlin: Hinter den Kulissen von „Herrumbre“

Herrumbre2Ein Tanztheaterstück über Gewalt, Folter und Terror? Es klingt ungewöhnlich, was Nacho Duato, Intendant des Staatsballett Berlin in seinem neuesten Werk „Herrumbre“ auf die Bühne bringt. Am letzten Sonntag war Premiere, nur wenige Tage zuvor, am Donnerstag, durfte ich das Staatsballett in seinen Räumlichkeiten in der Deutschen Oper besuchen und einer Probe beiwohnen. Auf einer Empore, gemütlich auf großen Sitzkissen fläzend, kann ich dabei zusehen, wie die 20 Tänzer und Tänzerinnen ihre Bewegungsabläufe trainieren. In kleinen Gruppen, meist zu zweit, werden die einzelnen Teile der Choreografie wiederholt und bis ins kleinste Detail verinnerlicht. In dieser Probe arbeiten die Tänzer mehr für sich und untereinander, es bleibt also weiter spannend zu erfahren, wie „Herrumbre“ am Ende auf der Bühne aussehen wird.

Nacho Duato entwickelte die Choreografie im Jahr 2004, in dem Jahr als morgendliche Pendler in Madrid Opfer terroristischer Bombenanschläge wurden. Im Februar ist das Stück nun erstmals in Berlin zu sehen. Nach der Probe unterhalte ich mich mit Kompanie-Mitglied Alexander Abdukarimov über die Arbeit an dieser besonderen Produktion. Sein Ellbogen ist bandagiert.

Hast Du Dich verletzt?

Ja, das ist gestern bei der Probe passiert. In „Herrumbre“ gibt es eine Passage, da werde ich von zwei Männern gefoltert. Es ging etwas härter zu. Man muss aufpassen, aber manchmal passiert es.

Verletzungen gehören also dazu?

Man muss seinen Körper genau kennen. Die Leute denken oft, Ballett ist eine leichte Sache, da es am Ende natürlich leicht aussehen soll. Ich komme ursprünglich aus der Akrobatik. Ich weiß, was harter Sport bedeutet. Mit Ballett habe ich erst mit 15 angefangen, das ist spät. Ich habe schnell gemerkt, dass Ballett sogar noch härter ist als Akrobatik. Man muss die gleiche Kondition wie ein Sportler haben aber zusätzlich seine Seele und sein Herz involvieren. Aber die Akrobatikschulen in Russland gehören zu den besten Schulen der Welt – und zu den härtesten. Ich habe gesehen, wie ein Lehrer ein Mädchen genommen hat, vielleicht, neun Jahre alt, sie auf den Bauch gelegt hat und ihren Kopf bis zu den Fersen hinunter gebogen hat. Ihr sind die Tränen nur so heruntergelaufen. Das ist dort normal. Ich bin also einiges gewöhnt.

Warum bist Du überhaupt auf die Idee gekommen, zum Ballett zu wechseln?

Ein Mädchen aus meiner Straße hat mich gefragt ob ich mitkommen möchte. Ich war der einzige Junge in der Gruppe. Das hat mir gefallen. Ich bin wahnsinnig gerne unter Frauen, ich liebe Frauen. Ich fühle mich in ihrer Umgebung wie ein Fisch im Wasser. Heute kann ich mir nicht vorstellen etwas anderes zu tun. Höchstens vielleicht etwas, das auch mit Sport oder Bewegung an sich zu tun hat. Ich könnte niemals acht Stunden am Computer sitzen und arbeiten.

Herrumbre1Was ist das Besondere an dieser Produktion?

Ich finde diese Arbeit großartig. Sie ist genau richtig für mich. Es gibt wie gesagt diese Szene, in der ich gefoltert werde. Sie töten mich am Ende. Aber Nachos Choreografie ist so gut ausgearbeitet, dass es nie wirklich zu schlimm wird. Es sieht sehr hart aus, aber wir haben die Kontrolle. Der Part ist nur zwei Minuten lang, aber er löst wahnsinnig viel aus, sowohl beim Publikum als auch bei uns Tänzern. Die Emotion, die man in so eine Arbeit einbringt, passt sehr gut zu mir.

Aber nimmt einen so eine Arbeit emotional nicht auch stärker mit?

Es geht in dem Stück gar nicht mal so sehr um das Erzeugen starker Emotionen. Es geht um das wahre Leben. Das Leben, das wir heute führen, die ganzen schlimmen Sachen, die ständig passieren. Deshalb hat Nacho das Thema gewählt. Natürlich muss man sich in so eine Arbeit 100 Prozent einbringen. Aber man darf sich auch nicht zu 100 Prozent davon beherrschen lassen. Man muss die Kontrolle bewahren. Es geht nicht darum, auf der Bühne durchzudrehen. Aber die Ästhetik ist eine andere als im klassischen Ballett. Ich öffne mich gerne emotional auf der Bühne, das kann man bei diesem Stück natürlich noch viel mehr. Für mich persönlich ist das Thema der Ästhetik an sich irgendwie durch. Heutzutage kann jeder Regisseur, Videokünstler oder Fotograf werden. Es ist so einfach. Deswegen spielt Ästhetik für mich eher eine untergeordnete Rolle. Ich glaube, Gefühle sind wichtiger. Deshalb ist Nachos Stück für mich am Puls der Zeit. Es wird nicht jedem gefallen. Manche Leute werden sogar raus gehen. Viele werden nicht direkt danach etwas dazu sagen können. Aber nach ein paar Tagen, einer Woche vielleicht sogar, werden sie eine Meinung dazu haben. Und dann werden sie es nicht vergessen. Darauf kommt es an.

Wer „Herrumbre“ sehen möchte, hat am 26. Februar zum vorerst letzten Mal Gelegenheit. Tickets gibt es unter www.staatsballett-berlin.de/de/service/tickets oder auch bei uns zu gewinnen! Wie Ihr an 1×2 Tickets für die letzte Vorstellung kommt, erfahrt ihr hier.

Interview: Gabi Rudolph

Fotos © Fernando Marcos