Spencer. im Interview: „Alles was zählt, sind diese 15 Sekunden“

Einfach nur Spencer, punkt. Das hat sich Spencer Miles Abraham Allen offensichtlich gedacht, als er sich dran gemacht hat, seine Karriere als Musiker zu starten. Er reduzierte seinen Namen auf den Vornamen und setzte für den Wiedererkennungswert gleich noch einen Punkt dahinter. Spencer. nennt er sich nun und hat sich mit einer Hand voll Singles bereits den Ruf eines der vielversprechendsten Newcomer des Jahres erarbeitet. Am 10. September erscheint sein Debütalbum „Are U Down?“, das er während der Pandemie in seinen eigenen vier Wänden in seiner Heimat Brooklyn aufgenommen hat, ohne die Möglichkeit, sich zwischendrin als Live-Künstler auszuprobieren. Das ging im letzten Jahr ja leider allen Newcomer*innen so, aber wenn man „Are U Down?“ hört, wird einem noch einmal bewusst, was diese Einschränkungen bedeutet haben müssen. Denn Spencer. ist nicht nur sein eigener Produzent, er ist auch musikalisch sehr versiert, spielt mehrere Instrumente und erschafft mit seiner Musik einen vielseitigem Kosmos weit weg von dem, was man sich sonst vielleicht unter Bedroom Pop vorstellen mag – irgendwo zwischen R’n’B, Pop und Oldschool Soul, hip und modern aber auch warm und zeitlos. Seine Musik schreit förmlich danach, live auf der Bühne gehört zu werden.

Was Spencer. von dem Begriff Bedroom Pop und anderen musikalischen Labels hält und was überhaupt einen guten Song ausmacht erzählt er mir im Interview über Zoom, in jener Wohnung, in der das Album entstanden ist, umgeben von Instrumenten, im Hintergrund hängt unter anderem ein Albumcover von FKA Twigs an der Wand. Spätestens als er zwischendrin nach einem Kamm greift und sich sorgsam die Frisur richtet, weht ein Hauch von Popstar durch den Raum. Augen und Ohren auf für Spencer., es lohnt sich. 

Du bringst in Kürze dein Debütalbum raus. Wie ist es dir ergangen, seitdem du angefangen hast daran zu arbeiten?

Es war ein ziemliches auf und ab. Ich habe mit dem Album angefangen und es fertig gestellt während dieser ganzen Quarantänezeit. Am Ende hat es sich gelohnt, aber es war schon Mist, keine Liveshows spielen zu können. Oder auch einfach mal zwischendrin raus zu gehen und was zu essen. Aber inzwischen sieht ja alles ein bisschen besser aus, und ich freue mich auf alles was jetzt kommt und auf nächstes Jahr, wenn die Dinge hoffentlich wieder einfacher werden.

Würdest du sagen dass es deine Musik beeinflusst hat, dass du während der Album-Entstehung nicht live spielen konntest?

Ja, ich denke schon irgendwie. Es hat auf jeden Fall beeinflusst wie ich schreibe. Sehnsucht ist glaube ich ein viel größeres Thema geworden, als es sonst der Fall gewesen wäre. Oder vielleicht auch nicht (lacht). Sehnsucht in jeder Form, aber vor allem die, die entsteht wenn man so lange an einem Ort festhängt. Das verändert alle Aspekte deines Lebens, selbst die kleinen. Ich glaube ich bin immer noch dabei, das so richtig rauszufinden. 

Und du hast das Album komplett selbst produziert?

Ja.

Das ist während einer Pandemie natürlich extrem praktisch, aber ich stelle es mir irgendwie auch einsam vor. 

Ein bisschen. Aber ich produziere einfach am liebsten meine eigenen Sachen. Ich mag es nicht zu einem Beat zu schreiben, den jemand anderes gemacht hat. Das fühlt sich total komisch an. Ich fühle mich definitiv in erster Linie als Producer und möchte das immer beibehalten. Singen ist für mich mehr wie ein Instrument, das am Ende den Beat ergänzt, den ich gemacht habe. Ich bin froh, dass mir das Schreiben Spaß macht und dass ich auch ganz gut singen kann, weil ich weiß, dass es so viel schwieriger ist, rein als Produzent Karriere zu machen. Ich habe auch mehr zufällig mit dem Singen angefangen, weil ich eine Idee für eine Melodie hatte und die einfach mal ausprobieren wollte. Heute weiß ich, dass der Gesang das Element ist, das alles zusammen hält. Ich weiß nicht so ganz wie ich es sagen soll… meine Stimme ist das Instrument mit dem ich meine Texte ausdrücke, von daher ist es schon wichtig. Ach ja, und die Texte. Die sind schon auch ziemlich dope (lacht)

Es ist interessant, dass du die Stimme mehr als Instrument siehst. Viele sehen es ja auch als etwas sehr Emotionales, Befreiendes, sich durch Gesang auszudrücken.

Das kommt vielleicht daher, dass ich sehr von Instrumenten geprägt bin. Wenn du ein Instrument spielst, den Bass zum Beispiel, dann geht es hauptsächlich darum, das Instrument zu kontrollieren. Bei der Stimme kommt noch so viel anderes mit dazu – setzt du sie hart oder weich ein, was für ein Gefühl möchtest du mit ihr ausdrücken. Wenn du sie aber einfach als einen Teil des Ganzen behandelst, dann schmilzt alles zusammen. Das finde ich irgendwie spannend. Wenn du einen Song zum Beispiel im Hintergrund in einem Café hörst, dann hast du nicht die Zeit dich darauf zu konzentrieren, worum es darin genau geht. Damit er dich trotzdem kriegt, muss er ein bestimmtes Gefühl transportieren. Was ist das allererste, das dir im Gedächtnis bleibt? Der Beat! Du überlegst, ob dir dieser Beat gefällt. Die Melodie ist für mich das, was den Song letztendlich komplett macht, und die Lyrics müssen irgendwie dazu passen. Es ist schwer zu erklären (lacht).

Das heißt, wenn du einen Song schreibst, fängst du immer mit dem Beat an?

Ja, meistens. Bass ist mein Hauptinstrument, aber in der Regel fange ich mit den Drums an. Dann kommt vielleicht die Gitarre dazu. Die Drums geben für mich den Vibe des Songs vor, wie die Leute sich dazu bewegen werden. Wie wenn man auf einer Leinwand malt und eine Schicht über die andere legt. Ich habe gerade das Gefühl, ich rede ein bisschen wirres Zeug (lacht). 

Überhaupt nicht! Ich finde es so spannend zu hören, wie Songs entstehen. Ich bin keine Musikerin, für mich ist das ein Mysterium.

Selbst als Musiker staune ich manchmal darüber, wie manche Leute Dinge machen. Es gibt so vieles, das ich nicht kann. Es ist immer spannend zu hören, wie Leute arbeiten, was sie tun und warum sie es tun.

Was denkst du denn über Genre? Es wird ja gerne geguckt, wen man in welche Schublade stecken kann. Gerade bei jüngeren Künstler*innen habe ich aber das Gefühl, es spielt nicht mehr wirklich eine Rolle. Als ich jung war, war die Musik die man gehört hat noch viel stärker Teil des Lifestyles. Das ist ja heute nicht mehr so.

Definitiv. Ich finde das cool. Ich glaube nicht, dass meine Generation sich darüber noch groß Gedanken macht. Niemand ist scharf darauf, in eine Schublade gesteckt zu werden. Wenn überhaupt, dann machen das die Labels. Ich glaube heute haben wir Zugang zu so viel mehr Musik und können so viel mehr ausprobieren. Wenn du jemanden fragst, was hörst du für Musik, niemand wird dir da jedes Genre auflisten sondern einfach sagen: Ich höre alles. Meine Einflüsse kommen von allen möglichen Genres und allen möglichen Orten. Ich könnte dir gar nicht sagen, was für Musik ich genau mache. Beim Streaming habe ich mich für „Alternative“ entschieden, das ist das vagste, das ich nehmen konnte (lacht). Wenn ich R’n’B nehme ist mir das zu vorhersehbar. Bei Indie-Rock sagt jeder: Moment mal, so klingt das doch gar nicht. Bestimmt gibt es auch Leute die glauben sie wissen wie Alternative klingt, aber das ist mir vage genug und klebt nicht so an mir. Ich weiß auch nicht, wir haben Zugang zu so vielen Dingen und so viele verschiedene Einflüsse heutzutage. Das letzte Mal, als man versucht hat ein neues Label zu erfinden, war das Bedroom Pop. Aber was zum Teufel soll das sein? (lacht) Man sagt Clairo wäre Bedroom Pop, aber ich mache meine Musik auch in meinem Schlafzimmer. Es gibt Rapper, die nehmen Zuhause in ihrem Schlafzimmer auf. Ist das dann Bedroom Rap? (lacht) Ich bin da ziemlich chill. Musik bewegt sich so schnell. Für manche mag es einfacher sein, sie in Labels zu unterteilen, aber mir ist das ziemlich egal.

Lustig dass du das sagst. Ich habe neulich noch gedacht, während der Pandemie könnte man wahrscheinlich alles als Bedroom Pop bezeichnen. 

Ja (lacht). Als ich 2017/2018 angefangen habe, habe ich mich nicht dagegen gewehrt, so bezeichnet zu werden. Ich war froh, dass ich überhaupt Anerkennung gefunden habe. Aber ich weiß nicht, ob wir diese Unterscheidung zwischen Bedroom Pop und „normalem“, ordentlich im Studio produzierten Pop wirklich brauchen. Ich möchte einfach nur Popmusik machen. Genres können einen schon ganz schön einschränken. 

Glaubst du dass es auch daher kommt, dass vor allem junge Leute immer weniger Alben sondern eher Playlists hören?

Definitiv. Ich glaube, jedermanns Aufmerksamkeitsspanne wird immer kürzer. Wenn es irgendetwas gibt, das ich in der Musikindustrie cool finde, dann ist es wie wir uns immer wieder an neue Begebenheiten anpassen. Schau dir zum Beispiel TikTok an. Ich glaube wirklich dass das verändert, wie die Leute Musik machen. Das finde ich spannend. 

Aber weißt du was mir neulich aufgegangen ist? Wie du sagst, unsere Aufmerksamkeitsspanne wird immer kürzer. Die Art wie wir Medien konsumieren verändert sich. Aber ein richtiger Popsong, der bleibt irgendwie doch immer bei derselben Länge.

Das stimmt. Das ist wirklich wahr. Aber weißt du was? Ich habe ja eben schon TikTok erwähnt. Die Länge eines Songs verändert sich nicht. Aber nur der interessanteste Teil eines Songs schafft es auf TikTok und kann einen Hype auslösen. Ich glaube dass sich dadurch verändert wie Songs produziert werden. Du hast vielleicht noch nie den ganzen Song gehört und hast keine Ahnung, wovon Dua Lipa da überhaupt spricht. Aber du hast diesen einen Teil, den kennt jeder. Okay, das war vielleicht früher auch schon so, dass man von einem Song vielleicht nur den Chorus kannte. Aber heute ist das noch viel ausgeprägter. Ich bin auch auf TikTok, deshalb höre ich mir regelmäßig die TikTok Playlisten mit den angesagtesten Songs an. Manchmal fängt ein Song an und ich denke was ist das denn, das kenne ich gar nicht. Aber dann kommt dieser eine Teil, und ich weiß sofort bescheid. Alles was zählt sind diese 15 Sekunden. Der Rest ist uninteressant. 

Ich habe vor kurzem gelernt, dass ein Song mindestens 30 Sekunden lang sein muss, um auf Spotify monetarisiert zu werden. Offensichtlich braucht man da mehr als 15 Sekunden.

Wirklich? Das wusste ich nicht. Das ist verrückt. Da weiß ich gar nicht was ich dazu sagen soll. 

Dann erzähl mir doch etwas fast schon Altmodisches. Du spielst einige Instrumente, richtig?

Ja, ein paar. Ich spiele Bass, Trompete, Klavier. 

Ich finde das ganz schön lässig, wie du im Video zu „MyLuv“ kurz die Trompete spielst und sie dann wieder weg legst.

(lacht) Danke, das freut mich. Ich wollte das ehrlich gesagt auch extra machen, damit die Leute sehen dass ich wirklich Trompete spiele. Es ist mir wichtig, einfach auch die reine Musikalität auszudrücken. Das ist es, womit ich meine Gefühle ausdrücke.

Und funktionieren bestimmte Instrumente unterschiedlich gut wenn es darum geht, bestimmte Emotionen auszudrücken?

Oh ja, definitiv. Bei „MyLuv“ war es mir zum Beispiel wichtig die Trompete zu nutzen, weil der Song etwas sanftes, heilendes hat. Es macht einen Unterschied, ob du etwas auf der Gitarre oder auf dem Bass spielst, weil der Bass wärmer klingt. Wenn du etwas ganz tief auf der Gitarre oder ganz hoch auf dem Bass spielst, hast du die gleiche Tonlage, aber es klingt trotzdem ganz anders. Jedes Instrument hat seinen richtigen Platz und seine richtige Zeit um es einzusetzen, und zur Musikalität gehört dazu zu wissen was wann dran ist. 

Kommst du denn aus einer musikalischen Familie?

Nicht wirklich. Meine Mutter ist überhaupt nicht musikalisch. Mein Vater spielt auch keine Instrumente, aber er ist ein guter Sänger und hat mir schon als Kind viel gute Musik vorgespielt. Wenn er Musik hört, achtet er viel auf Details, auf die Produktion und die Instrumentierung. Als Kind musste ich Klavier spielen, meine Brüder Geige und Cello. Unseren Eltern war es wichtig, dass wir unsere Zeit außerhalb der Schule sinnvoll nutzen, also wurden wir mehr oder weniger gezwungen zu spielen (lacht)

Da hast du ja ein bisschen Glück gehabt, dass du das Klavier bekommen hast.

Ja, das stimmt. Das Glück des Erstgeborenen (lacht). Wobei ich irgendwann gerne Bratsche lernen würde, dann könnte ich mit den beiden ein richtiges Streicher-Trio gründen. Irgendwann einmal, in ferner Zukunft vielleicht.

Foto © Matt Klahn