Das Highfield Festival 2014 – wie Braveheart, nur mit Riesenrad
Der Laptop fährt hoch, die Waschmaschine rödelt durch und ich esse meine erste richtige Mahlzeit (Reis, Gemüse und einen O-Saft) seit drei Tagen. Ein bisschen Dreck klemmt noch unter den Fingernägeln, das Highfield ist eben nicht so schnell wegzuwischen. Von Freitag bis Sonntag hörte man den Störmthaler See, in der Nähe von Leipzig, singend Geschichten aus dem Rock-, Emo-, HipHop- oder auch dem Mama-mag-das-auch-Genre zum Besten geben. Ich war dabei. Ich habe das Highfield Festival 2014 überlebt.
Alles begann mit einem vergessenen Kaffee am Leipziger Bahnhof, wo ich eigentlich nur an den nicht zu verpassenden Shuttle zum Festivalgelände denken konnte. „Das passiert hier öfter“ flöteten mir die Coffee Fellows-Girls entgegen. Das fängt ja gut an… Auf den sanften Hügeln des Open Airs angekommen, wird eines gleich klar: hier weht ein anderer Wind. Der Ton ist rauh, man ist auf Krawall gebürstet und zum Frühstück gibt es Mett mit Mett. Der Zeltplatz bietet bereits Freitagnachmittag Bierleichenberge, einen „Titten raus“-Schilderwald und lustige Dosenspiele. Fünf Sterne Deluxe greifen da ganz richtig zur Angriff-nach-vorn-Taktik und tun so, als würden sie in einer Bar spielen, Schrägstrich eine Bar besitzen, Schrägstrich Barkeeper sein. Ich fühle mich gleich ein bisschen kuschelig, so frühe 2000er, mit MTV und Omas Coca Cola. Die Sterne scheinen seitdem auch nicht mehr übermäßig viel draußen gewesen zu sein: ein klein wenig moppelig hüpfen sie auf der „Blue Stage“ herum und singen „Die Leude“ und „Ja, ja… deine Mudder“. Tobi Tobsens Stellungnahme dazu: „Sport wär auch mal ganz gut“. Darauf einen Smoothie.
Während Frank Turner den Rattenfänger von Großpösna mimt, fällt auch gar nicht so sehr auf, dass Gewitter und Regen den rund 25000 Besuchern sanft auf die Schultern tippen. Turner und seine Sleeping Souls charmebolzen sich durch ihr Set und legen mit einem Stück auf Deutsch noch einen drauf. Dieses englisch-sprechende-Person-versucht-sich-im-Kartoffeldeutsch scheint hoch im Kurs zu sein. Brody Dalle, mit Kussmund-Bluse bekleidet, macht gleich mit und dröhnt „Ohne dich“ ins Mikrofon. Sie könnte Till Lindemanns Bruder sein.
Größer, greller, Placebo. Mit Bombast-Leuchtwand im Rücken bieten sie den Regendurchnässten anderthalbstündiges Entertainment voller Hits, die in einer Härte heruntergerockt werden, dass sie so schnell dahinschmelzen wie ein Stück Butter in der Pfanne. Für Brian Molko sind wir alle „One of a kind“. Für Josh Homme wollen wir alles sein. Der Frontmann von den Queens of the Stone Age zündet sich eine Zigarette nach der anderen an, inhaliert mit geschlossenen Augen und lässt die kreisenden Hüften den Rest erledigen. „Feel Good Hit Of The Summer“ wird experimentierfreudig bis in die Ektase ausgereizt – eine bis zur letzten Reihe strahlende Menschenansammlung mit Regenschirmen, Gummistiefeln und tief ins Gesicht gezogenen Kapuzen dankt es ihm mit einem Klatsch-Orkan.
Schon nach dem ersten Tag ist der Boden mit Schlamm und Konfetti bedeckt. Mädchen mit Rosenkränzen im Haar und halbnackte Männer mit schräg sitzenden Bierhelmen auf dem Kopf bewegen sich am Samstag nur noch in halber Geschwindigkeit über die Wiesen. Taking Back Sunday erklären das Highfield Festival offiziell zu einer interessanten Kreuzung aus „Braveheart“ und Woodstock 1994. Jupiter Jones (die noch den Floskel-Königpreis an diesem Wochenende gewinnen sollen) und Bosse wollen dem Publikum sogleich ein Stück von ihren blutenden Herzen mit auf den Weg geben. Wir lassen sie gewähren. Das rosarote Idyll wird jedoch mit einem Mal gestört, als um kurz nach 20 Uhr die 4Lyn-ähnlichen Jungs von Eskimo Callboy die „Green Stage“ betreten. Sie brüllen und powergockeln als würde es kein Morgen geben. Fetter können danach nur Terrorgruppe. Oder eben Fettes Brot. Letztere erweisen sich als absolute Oberstreber. Von „Nordisch by Nature“ über „Jein“ bis hin zu „Schwule Mädchen“ ist jede Single auf Hochglanz poliert dabei. Verschnörkelungen in Form von brav einstudierter Choreo plus Freestyle-„Riesenrad, Riesenrad“-Rap liefern das Happy End zur Mitternachtsstunde.
Wer noch halbwegs verwertbare Beine, Arme und ein Winzstück Verstand besaß, blieb auch am Sonntag dem Festival treu, um sich ein quasi 10-Jahre-„Futures“-Jubiläumskonzert von den Wonneboys Jimmy Eat World abzuholen. Das hieß Kraft und Liebe tanken. Die Glücksleiter wieder erklommen, konnte es im Folgenden mit Mr. Smartypants Bela B. und den Schreihälsen von The Hives weitergehen. Doch eine wahre, gleißende Sternstunde der Seligkeit stand noch an diesem kunterbunten Augustwochenende aus: die Beatsteaks. Kollektiv-Animateur Arnim Teutoburg-Weiß. Gentleman of the year und so. Auf diese Berliner kann man sich einigen. Selbst Security, Festival-Lotsen und Rotes Kreuz-Mitarbeiter applaudieren dem wilden Treiben auf der Bühne entgegen.
Danach geht einfach gar nichts mehr. Die Seele wurde aus dem schlaffen Leib getanzt, der Kopf frei gemacht von den letzten Fetzen grauer Alltag. Jetzt, nach diesem 17.08.2014, sind wir alle bereit für einen neuen Lebensabschnitt. Keine Altlasten. Keinen Kaffee mehr vergessen. Ab in den Start vom Rest des Lebens.
Text: Hella Wittenberg
Fotos: David Streit