Für ein Wochenende im Jahr sieht die Reeperbahn anders aus als sonst. Es begegnen einem auf dem Kiez nicht nur die, laut Klischee üblichen angetrunkenen Halunken und Prostituierten, nein an einem Wochenende im September ist die Reeperbahn mit einem internationalen, kulturell interessierten Publikum gefüllt. Es kommen einem Menschen mit Gitarrenkoffern und anderen schweren Kisten entgegen, Männergruppen im Lederjacken-Einheitslook und viele Leute mit wichtig aussehendem Ausweis um den Hals. Spätestens beim bunten Treiben auf dem Spielbudenplatz fällt einem auf dass es schon wieder Zeit für´s Reepberbahn Festival ist.
Das Festival bringt nicht nur ein besonderes Flair auf den Kiez, auch die Stimmung ist irgendwie aufgeladener, aber auch entspannter als sonst. Vor den Clubs sammeln sich Leute um die neuesten Band aus allen Teilen der Welt zu sehen. Besonders spannend hierbei ist, dass Menschengruppen, die man normalerweise nicht in bestimmten Clubs vermuten würde, gleich zu Hauf um Einlass bitten. Auch ich bin in diesem Jahr zum ersten Mal in dem ein oder anderen Club gewesen der musikalisch sonst nicht auf meinen Radar liegt. Auch die St. Pauli Kirche, in der an diesem einen Wochenende im Jahr auch schon mal Bier ausgeschenkt wird, wurde von mir besucht. So eine Akustik bietet wirklich kein Club rund um den Kiez. Diverse Shows konnten aus bequemen Theatersesseln angeguckt werden, da gleich mehrere Theater als Spielstätte gedient haben.
Aber von vorne.
Am Donnerstag stand auf meinem persönlichen Timetable relativ wenig, da besonders in diesem Jahr viele noch recht unbekannte Künstler beim Reeperbahn Festival aufgetreten sind. Am ersten Festivaltag ist es immer noch angenehm leer auf der Reeperbahn. Natürlich sind die ganzen Campus Besucher, die das Branchentreffen vor allem für geschäftliche Zwecke nutzen und schon am Vortag angereist sind, bereits am Start, doch die Besucher des Musikfestivals kommen in der Regel erst am Freitag in Strömen. Sehr angenehm, da man ohne Probleme in jeden Club reinkommt, es keine Wartezeiten gibt und die Clubs nicht überfüllt sind. Im Gegenteil, man kann in den meisten Locations ganz angenehm einen Platz finden, von dem man auch noch etwas sieht und der einem genug Bewegungsfreiheit lässt.
Mich hat es am Donnerstag um 17 Uhr natürlich zuerst zu Ray’s Reeperbahn Revue gezogen, um mir von dem Altmeister ein paar musikalische Tipps für den späteren Abend abzuholen. Dank Ray Cokes habe ich so z.B. die wundervollen Schotten von Admiral Fallow im Imertial Theater gesehen, eine wirklich schöne Show in gediegenem Rahmen. Danach ging es dann zu Graham Coxon ins Docks, der mit seiner Band den Rock ganz groß aufgedreht hatte. Gitarrenwände und Rock’n’Roll at it’s best. Herr Coxon hatte zwar nicht die beste Laune aber die Show an sich war wirklich gut. Zum Tagesabschluss ging es dann ins Schmitds Theater zu Lena. Ich war sehr gespannt auf ihre neue Musik, da sie ja groß angekündigt hatte nur noch kleine, exklusive Shows zu spielen. Ihre Musik hätte sich dabei sehr verändert und sei persönlicher geworden, außerdem sei das neue Album in Zusammenarbeit mit Miss Li entstanden. Ich bin immer noch unschlüssig, wie ich ihren Auftritt nun eigentlich bewerten soll. Die neuen Lieder sind teilweise wirklich schöne Popsongs geworden und auch gegen ihre Stimme und ihre Bühnenpräsenz kann man wirklich nichts sagen. Einzig ihre hibbelige und doch auch noch leicht kindische Art fällt an der einen oder anderen Stelle unangenehm auf. Auf dem Heimweg Richtung S-Bahn sah ich dann noch Herrn Coxon mit seiner Band am, über die Grenzen Hamburgs hinaus bekannten Lucullus Würstchenstand eine späte Mahlzeit einnehmen. So etwas sieht man auch nur auf dem Reeperbahn Festival, Bands ganz entspannt im privaten Umfeld.
Der Freitag begann dann wieder im Schmidt’s Tivoli bei Ray Cokes, mit wesentlich mehr Andrang als am Tag zuvor. Das lag vielleicht nicht zuletzt an den bereits am Vortag angekündigten Bonaparte und der momentan sehr beliebten Band Fun., die neben Benjamin Francis Leftwich und Big Harp zu Gast waren. Bonaparte haben mal wieder eine grandiose Bühnenshow hingelegt und auch bei den nach ihnen auftretenden Big Harp noch für Unruhe gesorgt.
Im Anschluss an Ray wurde ein wenig die Atmosphäre auf dem Spielbudenplatz und am N-Joy Reeperbus genossen, an dem das ganze Wochenende über viele große und kleine Bands Akustik Sets, die auch für Besucher ohne Festivalbändchen zugänglich waren, gespielt haben. Das musikalische Programm an diesem Tag war ging dann auch recht bunt weiter. Nach ein paar Eindrücken von The View im Grünspan ging es eine Haustür weiter ins Indra zu Kmpfsprt!, die mit ihrem ungestümen Deutschpunk wieder einmal gezeigt haben, dass es hierzulande wirklich tolle Bands gibt. Zurück ins Grünspan zu Japandroids, die eindrucksvoll bewiesen haben, dass eine Band eigentlich gar nicht mehr als zwei Mitglieder braucht. Was Brian King und David Prowse nur mit Schlagzeug und Gitarre für Soundwände ins Grünspan geschmettert haben, ist schon ziemlich erstaunlich. Nach diesem recht rockigen Anfang, gab es an diesem Abend dann einen drastischen Wechsel, denn als nächstes stand der zuvor bei Ray gesehene Benjamin Francis Leftwich in der St. Pauli Kirche nicht auf der Bühne, sondern vor dem Altar. Eine wirklich beeindruckende Akustik, sodass Leftwich eigentlich gar kein Mikrofon benötigt hätte. Da das Reeperbahn Festival eben auch ein Festival langer Wege sein kann, musste dann frühzeitig weitergezogen werden zu dem Highlight des Abends. Meine Lieblingsschweden von Friska Viljor haben in den Fliegenden Bauten, die eigentlich nicht mehr als ein großes, permanent stehendes Zirkuszelt sind, ein Akustik Set gespielt. Genau das richtige um den Abend ausklingen zu lassen und sich vom vielen Stehen ein bisschen zu erholen. Glücklicherweise sind die Zuschauer nach der Hälfte des Sets dann aber doch endlich von ihren Sitzen aufgesprungen, da so ein Konzert ohne Mitschunkeln doch eigentlich kein richtiges Konzert ist. Als letzte Band des Tages wurde sich, auch wegen des kurzen Weges, dann kurzerhand für I Heart Sharks im Uebel & Gefährlich entschieden. Die Deutsch/ Englische Band mit dem momentan so angesagten Elektrorock-Sound kam vor allem beim jüngeren Publikum gut an.
Tag 3 sollte dann auf einem der vielen Showcases die im Rahmen des Festivals stattfinden, bei denen sich Labels, Booking-Agenturen, etc. vorstellen, starten. Die Veranstaltung „We Are Neuland“ von neuland concerts und den Bloggern von We Are We Are fand im Neidklub statt. Wieder eine Location, die ich zuvor noch nie betreten hatte. Nach Unschlüssigkeiten welches Konzert man denn nun zuerst besuchen sollte, fiel die Wahl auf Arkells in der Prinzenbar, bei denen man allerdings bereits 10 Minuten nach Beginn schon keine Chance mehr hatte reinzukommen. Plan B war dann also Catfish and the Bottlemen im Grünen Jäger, doch auch hier kam man nicht weiter als bis in den Vorgarten. Am Samstag war es noch mal einen deutlichen Schub voller als am Vortag, sodass das Festival schließlich auch „Ausverkauft“ melden konnte. Rüber ins Knust zu Andy Burrows, der mit Band ein wirklich schönes Popset darbot und der sich nach seiner wilden Zeit bei Razorlight wirklich gut wieder gefangen zu haben scheint. The Computers im Grünspan lieferten im Anschluss so eine energische Show ab, wie es an diesem Festivalwochenende bisher noch niemand geschafft hat. Der Sänger suchte sich immer wieder seinen Weg durchs Publikum und auch die Mikrofonständer mussten am Ende der Show dran glauben und wurden Rock’nRoll-mäßig auf der Bühne zerschmettert. Mein persönliches zweites Highlight sollte gute 40 Minuten später ebenfalls im Grünspan stattfinden, denn die Gallows, die eigentlich erst parallel zum Reeperbahn Festival im Logo spielen wollten, haben ihre Show noch relativ kurzfristig in das Festival integriert. Da die Karten aus dem Logo ihre Gültigkeit behalten haben, vollzog sich doch auch recht schnell ein Wechsel des Publikums. Vermutlich waren nur etwa ein Viertel der Besucher bei den Gallows auch auf dem Festival unterwegs. So eine ausgelassene Stimmung wie hier, gab es bei keinem Konzert an diesem Wochenende zuvor. Eine wirklich gute Liveband, obwohl mir der Vergleich zu Auftritten mit dem früheren Sänger und eigentlichen Aushängeschild der Band, Frank Carter, fehlt.
Liebes Reeperbahn Festival, ich hatte ein tolles Wochenende. Es gab wieder einmal viele Bands zu entdecken, doch aus den etwa 280 angereisten, habe ich ‚nur‘ an die 20 Bands in den unterschiedlichsten Locations gesehen, davon allerdings nur etwa 7 Sets komplett. Es ist mir immer wieder eine Freude, ein Wochenende auf dem Kiez zu verbringen, an dem man nicht nur kopfschüttelnd und genervt wieder nach Hause fährt. Für Touristen mag die Reeperbahn ja auch an jedem anderen Wochenende ein Highlight sein, doch als Hamburger verliert diese Straße sehr schnell ihren Reiz. Danke für die Abwechslung und schön, dass es dich gibt, liebes Reeperbahn Festival!
War dabei: Samira Szago
Fotos: © Stefan Malzkorn