Wer über Seun Kuti schreiben möchte, muss mit seinem Vater beginnen: Fela Kuti ist immer noch der einzige, übermächtige Superstar Afrikas, in seinem musikalischen und identitätstiftendem Einfluss vor allem auch auf die afro amerikanische Popkultur vergleichbar mit Bob Marley. Sein „Afrobeat“ getaufter Musikstil vereint westafrikanischen Highlife, afrikanische Gesänge und Rhythmen mit amerikanischem Funk und Jazz. In seinen Texten prangert er diktatorische afrikanische Regimes an, thematisiert Korruption und Armut und widersetzte sich dem nigerianischen Militärregime solange, bis dies mit 1.000 Soldaten (die er als willenlose „Zombies“ besang) seine eigene ausgerufene “unabhängige Republik Kalakuta“ niederbrannte – seine Mutter (ebenfalls Bürgerrechtsaktivistin und – im Gegensatz zu ihrem Sohn – Feministin) wurde aus dem Fenster gestürzt und starb an den Verletzungen. Fela Kuti ist schon zu Lebzeiten zu einem Mythos und Propheten geworden, er war Poprebell, Parteigründer, Polygamist, Patriarch, Politiker, starb an AIDS – für wie viele Leben reicht eine solche afrikanische Biografie?
Die Afropop und Fela Kuti Renaisssance ist längst in vollem Gange. Musikalische Einflüsse sind durch Bands wie Vampire Weekend, Retro Stefson, Givers, Friendly Fires oder The Very Best längst im Indiehörer-Herzen angekommen. In USA ist das von Stars wie Jay-Z und Will Smith co-produzierte Musical „Fela!“ ein Riesenerfolg, ein Film über sein Leben ist ebenfalls in Produktion. Fela Kutis mehr als 50 Alben umfassende Diskografie wird endlich auf dem New Yorker Jazzlabel Knitting Factory wiederveröffentlicht und seine Söhne Seun und Femi Kuti fungieren als musikalische Nachlassverwalter. Seit seiner Kindheit steht der nun 27 jährige Seun Kuti mit Felas letzter Band Egypt 80 auf der Bühne, die er seit dem Tod seines Vaters 1997 leitet und die zu einem großen Teil immer noch aus den ursprünglichen Musikern besteht. Das musikalische Erbe Felas weiterzuführen, dem hat Seun sich unwiderruflich hingegeben: „FELA LIVES“ ist auf seinen Rücken tätowiert, und obwohl er bei seiner Version von Felas „Zombie“ das einzige Mal beim Konzertabend in der Hamburger Fabrik unsicher wirkt, ist er dem Erbe durchaus gewachsen. Bei den eigenen Stücken verliert sich die Unsicherheit umgehend im beinharten Beat der Band – Egypt 80 sind auch nach über 30 Jahren eine dichte, wahnsinnig treibende Rhythmuslokomotive, die einen ungeheuren Druck erzeugt. Nur im Titelsong des aktuellen Albums „Rise“ drosselt die Band das halsbrecherische Tempo der Musik, die vor allem live beinahe die Dynamik ehemaliger „Tanz“-Orchester und Big Bands von Duke Ellington, Charlie Mingus oder Sun Ra entwickelt, vereint mit Funk von George Clinton oder James Brown. Es dampft, kocht und brodelt an allen Ecken und Kanten der 15köpfigen Band – energetischer kann Musik nicht gespielt werden. Die stolze Selbstbestätigung auf den Shirts der Musiker – „100% Afrobeat – No Bullshit“ ist so unnötig wie wahr.
Rise von SeunKuti
Album: Seun Kuti & Egypt 80 – From Africa With Fury: Rise. (VÖ 21.06.2011)
Tour:
07.08.11 Vienna Jazz Festival, A-Wien
07.09.11 City of Piece Festival, Augsburg
Rafael Mans
Fotos (c) Haydn/Wheelzwheeler