Primavera Sound 2017: The Final Recap

Ein gutes Festival sollte auch immer den Zweck eines Zuhause erfüllen. Zwischendrin muss man sich gezwungenermaßen mit Schlaf und Nahrung versorgen, aber im besten Fall ist man dann auch schnell wieder hibbelig und kann es kaum erwarten, „Zuhause“ nach dem Rechten zu sehen.
Vor allem wenn dieses Zuhause so viel zu bieten hat wie das Primavera Sound Festival in Barcelona. Was man dort innerhalb von vier Tagen erleben kann ist so vielfältig, dass man mit gutem Gewissen von einem Überangebot sprechen kann. Denn neben dem Programm auf dem offiziellen Festivalgelände (das sich unmittelbar an der Küste entlang erstreckt, mit Strand und glitzerndem Meer im Hintergrund) gibt es zahlreiche Events, die sich über mehrere Locations in der Innenstadt verteilen. Das Konzept der Vielfältigkeit hat damit auch leider einen Haken: man muss sich vorab gut entscheiden, wo man sich hinbegeben will, da das Festivalgelände eher außerhalb in die entgegengesetzte Richtung liegt. Von dort ist man gut eine halbe Stunde in die Stadt unterwegs. Und auch auf dem Gelände selber muss man Zeit einplanen und sich genau überlegen, was man sehen möchte. Die beiden Hauptbühnen sind praktischerweise direkt einander gegenüber und werden abwechselnd bespielt, sodass man gut hin und her wechseln kann. Alle anderen Bühnen befinden sich auf einem anderen Teil des Geländes, zu dem man, je nach Zuschauerstrom, auch gerne mal 15 Minuten zu Fuß unterwegs ist. Bewegungsmangel ist beim Primavera schon mal nicht angesagt.
Aber auch sonst gab es zum Glück genug Gelegenheiten zum zappeln. Zum Beispiel direkt am ersten Abend bei Steve Mackeys und Jarvis Cockers „Dancefloor Meditation“ auf der Heineken Hidden Stage. Die Performance begann mit einen Abriss über die Geschichte der Diskomusik und gipfelte in einem ekstatischen Tanzerlebnis, bei dem Jarvis Cocker mit der Menge tanzte und sie mit seinen Guru-artigen Sprechgesängen anleitete. Das war so brillant und mitreißend, das ließ sich sogar Arcade Fire Frontmann Win Butler nicht entgehen und schaute auf eine kurze Stippvisite vorbei.
Von der Heineken Hidden Stage abgesehen, für die man auch die nächsten Tage eines der extra Bändchen brauchte, die an der Heineken Bude vergeben werden, ist das Gelände am ersten Abend übrigens kostenfrei für die Öffentlichkeit zugänglich. Ein tolles Konzept, das offensichtlich zahlreich, aber, wie das Festival sich auch im Gesamten präsentierte, sehr friedlich angenommen wird. Da kann man direkt loslegen und Bands wie Saint Etienne umsonst und draußen erleben.
Das Primavera Sound ist ein großes Festival, das trotz Menschenmassen und bombastischem Gelände angenehm selten Anlass für Klaustrophobie gibt. Das Drumherum, der Wechsel zwischen den Bühnen verläuft in der Regel so entspannt, dass man fast schon staunt, wenn man zu später Stunde vor der Adidas Stage plötzlich in einer Masse landet, die mit Kate Tempest um die Wette ravet. Die Stimmung ist meist fröhlich ausgelassen, auch wenn wir, die wir das ganze Wochenende keinen Alkohol oder Drogen konsumiert haben, diesbezüglich wahrscheinlich in der Minderheit waren. Das spürte man zum Beispiel zur späten Stunde beim Jamie xx DJ Gig, bei dem zum Teil mehr gequatscht als getanzt wurde. Sein Set erwies sich aber als eins der elektronischen Highlights des Festivals. Da Jamie bereits mit seiner Band The xx vor Ort war (die wiederum bei ihrem Auftritt leider eher gepflegte Langeweile verbreiteten), bot er sich als perfekter Ersatz für den kurzfristig ausgefallenen Frank Ocean an und erwies sich als würdiger Platzhalter. Mit fein gesetzten Frank Ocean Samples in seinem Set unterstrich er diesen Eindruck noch.
Ein Festival von der Größenordnung erfordert es natürlich leider auch immer wieder, Abstriche zu machen. Viele tolle Acts überschnitten sich leider im Zeitplan oder ließen sich aufgrund der Größe des Geländes nicht rechtzeitig schaffen. Von unserer naiven Annahme, wir würden tagsüber noch so luxuriöse Dinge wie Strandgänge oder Sightseeing schaffen, mal ganz abgesehen. Aber am Ende blieb dank der bereits besungenen Primavera Fülle immer noch so viel auf der Habenseite. Grace Jones zum Beispiel, wie sie, mit nicht mehr als einem Bodypainting „bekleidet“, minutenlang zu „Slave To The Rhythm“ Hula Hoop tanzt. Wer das einmal gesehen hat, der vergisst es nie wieder. Mit ähnlich viel Haut präsentierten sich Mac DeMarco und seine Band, bei deren Show der Drummer sich gleich komplett nackt hinters Schlagzeug setzte, Mac DeMarco selbst bis auf die Unterhose blank zog und die Jungs von Whitney, die wiederum bei ihrem Set musikalische Unterstützung von DeMarco erhielten, Striptease- und Stage-Diving-Einlagen beisteuerten. Eine ganz schöne Freakshow, die dank smoother Synthie-Songs und Rotlicht nahezu pornoesk, wenn auch eher wenig männlich attraktiv daher kam.
Wesentlich zugeknöpfter zeigte sich dagegen Bon Iver, der mit seiner zurückhaltenden Bühnenpräsenz eher wenig im Ruf eines Showmans steht. Er versteckt sich lieber hinter Bart, Kappe, dicken Kopfhörern und seinen Instrumenten. Aber was für ein König der Herzen er ist! Und trotzdem so voller Kraft und Energie. Selbst wenn sich das Publikum zur späten Stunde eher im Rumlungermodus befand, dürfte es kaum jemand geben, der von seiner emotionalen „Skinny Love“ Darbietung unbeeindruckt bliebt. Da floss durchaus das ein oder andere Tränchen.
Metronomy entpuppten sich am Samstag auf einer gutlaunigen Pressekonferenz als richtig sympathische Kerle und im Anschluss mit ihrer Show als extrem gute Liveband. Instrumente hinter Rauchglas, das auf Knopfdruck durchsichtig wird und den Blick frei gibt – wie lässig! Außerdem sackt die britische Band konkurrenzlos den Preis für die sexieste Schlagzeugerin ein, ganz ohne blank ziehen. Sie versüßten uns auf angenehme Weise die Wartezeit auf das heißersehnte Arcade Fire Konzert an jenem letzten Abend.
Neben seinem offiziellen Programm ist das Primavera Sound für jede Menge Überraschungen gut. Wie wir bereits berichtet haben, schossen Arcade Fire mit ihrem unangekündigten Secret Gig schon am Donnerstag Abend den Vogel ab. Aber es gab noch mehr solcher Bonbons zu entdecken. Mogwai präsentierten am Freitag überraschend ihr neues Album „Every Country’s Sun“ in voller Länge und am letzten Abend gaben sich Haim zur späten Stunde auf der Ray Ban Stage die Ehre.
Es war uns wirklich ein gutes Zuhause, das Primavera Sound. Und den fest geplanten Gang an den Strand haben wir am letzten Tag dann doch noch geschafft. Da fing es zwar (das einzige Mal) gerade an zu regnen, aber egal. Man muss ja auch noch was vor sich haben, wenn man wiederkommt. Was wir tun werden, ganz bestimmt! Am besten ausgestattet mit einer Zeitmaschine oder einem Körperdublikator, damit wir beim nächsten Mal noch mehr von dem wahrnehmen können, was das Primavera Sound zu bieten hat.

Fotos Moods und Whitney: Kate Rock
Foto Kate Tempest: Dani Canto / Primavera Sound
Foto Grace Jones, MacDeMarco, Bon Iver und Metronoy: Eric Pamies / Primavera Sound

Waren dabei: Gabi Rudolph & Kate Rock

www.primaverasound.es