Bei sommerlichen Temperaturen zieht es PJ Harvey in die dunklen Hallen, um dort im anheimelnden Rahmen Stücke aus ihrem im Februar erschienen Album „Let England Shake“ vorzustellen. In Frankfurt und in München möchte sie mit ihren nachdenklichen Worten über Krieg und Soldaten den Raum erfüllen, sodass selbst noch die am Tresen stehende Masse von der besonderen Energie-Dichte, die von ihren Songs ausgeht, mitgerissen wird. Schon im Gespräch weiß die Engländerin mit ihrer äußerst positiven Art zu verzaubern. So erzählt sie im Interview von der Entwicklung ihrer jüngsten Stücke, ihrer Angst davor, all ihre Ideen nicht mehr umsetzen zu können und lacht das eine oder andere Mal charmant über ihre Wortobsession hinweg.
Würdest du sagen, dass dein Album „Let England Shake“ ein Neuanfang für dich darstellt?
PJ Harvey: Hm, ich denke es ist eine Fortführung von etwas, was bereits mit „White Chalk“ begonnen hat. Bei „Let England Shake“ habe ich für mich einen völlig neuen lyrischen Stil gefunden. Jedoch sehe ich die Anfänge von diesem neuen Songwriting bei „White Chalk“. Denn da fing es an, dass ich mich mehr auf die Worte als auf die Musik konzentrierte. Ich arbeitete sehr lange allein an den Formulierungen, bis ich das Gefühl hatte, dass es funktionieren würde. Das habe ich auf Papier gemacht, ohne den Einfluss von irgendeiner Musik oder Melodie. Es fühlte sich fast so an, als würde ich Gedichte schreiben. Ich suchte nach Worten, die auf Papier sehr stark waren. Und dieser Prozess fand, wie ich bereits sagte, um 2006, 2007 statt. Aber das jüngste Album muss das Resultat einer weiteren Entwicklung sein. Ich glaube, ich bin mit einem tieferen Verständnis für die richtigen Worte an die Arbeit gegangen und fühlte mich selbstsicherer.
Woher stammt deine Faszination für Worte?
Ich war schon immer sehr interessiert an der Macht von Worten. In meiner Kindheit schrieb ich sehr viele Geschichten und Gedichte, das ist also nichts Neues. Aber es war neu für mich, beim Songwriting zuerst an die puren Worte zu denken. Zuvor habe ich an den Worten und der Musik fast gleichzeitig gearbeitet.
Hast du das Gefühl, dass du besser darin wirst, die richtigen Worte zu finden?
Hm, es ist schwierig über sich selbst zu urteilen, ob man in etwas besser geworden ist. Ich denke die Menschen, die sich meine Musik anhören, sind bessere Richter als ich es bin. Ich arbeite sehr hart und stecke viel Zeit in das Studieren des Handwerks des Schreibens und ich denke, darin kann man sich verbessern oder es erlernen. Es ist wie mit jedem Job, je mehr man übt, desto fähiger wird man. Also versuche ich das, ich bemühe mich, das Handwerk weiter zu lernen und hoffentlich werde ich besser.
Stellst du dich oft selbst in Frage?
Nein, das tue ich nicht. Ich folge nur meinem Verlangen danach, etwas zu kreieren und zu lernen. Ich nehme mir nicht einmal die Zeit, um mich zurückzulehnen und zu zweifeln. Dazu habe ich einen viel zu großen Antrieb in mir, der mich vorantreibt und mich weiter lernen lässt. Das beinhaltet kein in Frage stellen, sondern nur das Eintauchen ins Leben, ohne sich darüber Gedanken zu machen was man gerade tut.
Ist Wiederholung Gift?
Das ist persönlicher Geschmack. Ich denke nicht, dass Wiederholung schlecht ist, aber gerade das Verlangen nach neuen Dingen fordert meine vorgefasste Meinung von etwas heraus. Wenn ich auf die Arbeit anderer Künstler schaue, ob es nun Maler oder Musiker sind, fordert mich auch das heraus, was mich unerwartet trifft und damit eine komplette Überraschung darstellt. Das ist sehr anregend und auch inspirierend für mich als Künstlerin, die die Arbeit anderer Künstler beobachtet. Und der größte Gewinn wäre es, wenn andere Künstler das bei meiner Arbeit auch fühlen würden. Das gilt nicht nur für andere Musiker, sondern auch für Autoren, Journalisten oder Politiker. Vorangehen, sich selbst befragen sowie verändern und nicht immer nur auf derselben Stelle stolpern, ist immer eine Herausforderung. Jedoch ist es nicht immer die richtige. Aber für mich macht das eine Person umso interessanter.
Inwiefern musstest du eine neue Definition für deinen künstlerischen Blickwinkel mit dem jüngsten Album finden?
Bei diesem Album sollte es sich um etwas handeln, das weltweit greift. Es sollte ein Thema haben, das da draußen ist, wo wir es alle sehen können und das uns alle bewegt. So wusste ich, dass die Erzählweise, die ich vorhatte zu benutzen, der Perspektive einer solchen Person entsprechen muss. Sodass die Songs für jedermann zu verstehen sind, man sich damit identifizieren kann und sie nachhallen können. Also musste ich einen Weg finden, um über diese unermesslichen Themen wie Krieg, nationale Einheit, Landesmissbrauch, Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit zu reden. Zu all diesen Dingen musste ich einen persönlichen Zugang finden, um sie universell betrachtbar zu machen. Ich denke, auf dieser Ebene ist es eine ganz neue Annäherung. Es dauerte sehr lang, bis ich den richtigen Erzählstil kreiert hatte, in dem die Worte am besten die Geschichte tragen würden.
Wie viel Einfluss hatte der Aufnahmeort auf die Songs?
Wir nahmen die Songs in einer Kirche auf, wo wir eine unglaubliche Akustik hatten. Der Sound war großartig und wir fühlten uns, als hätten wir den Zustand von unbegrenzten Möglichkeiten erreicht. Meiner Meinung nach kann man diesen Zustand auch auf dem Album hören, man kann auch die Steinwände, die hohen Decken und die Möglichkeiten, die uns dieser Ort gab, heraushören. So ein Ort vermittelt große Intimität und somit glaube ich schon, dass der Aufnahmeort einen hörbaren Einfluss hatte. Ich hatte nicht geplant, die Songs in einer Kirche aufzunehmen. Ich nahm an, dass ich sie in einem Studio aufnehmen würde und tatsächlich hegte ich den Wunsch, in Berlin aufzunehmen. Also kam ich nach Berlin, um mir einige Studios anzuschauen, in der Hoffnung, einen passenden Ort zu finden. Aber nirgends fühlte es sich richtig an. Der Aufnahmeort hatte jedoch keinen Einfluss auf das Songwriting, denn ich hatte die Songs lange vor Beginn der Aufnahmen fertig. Aber der Sound ist schon sehr von der Kirche beeinflusst.
Wieso wolltest du die Aufnahmen nach Berlin verlagern?
Ich finde, es ist eine sehr faszinierende Stadt, über die ich nur wenig weiß. Aber ich bin oft da, um live zu spielen oder anderer Arbeit nachzugehen. Jedoch habe ich nie genug Zeit zur Verfügung, um die Stadt ausgiebig zu erkunden. Das war der Grund warum ich versucht habe, die Aufnahmen in Berlin zu machen. So dachte ich, hätte ich endlich einmal ausreichend Zeit für die Stadt, obwohl man wahrscheinlich nie genügend Zeit hat, um alles zu entdecken. Aber es wurde dann doch nichts aus der Idee. Vielleicht klappt es ja zu einem späteren Zeitpunkt.
Welche Erinnerungen stechen besonders hervor, wenn du an deine letzten Konzerte in Berlin denkst?
Ich habe besonders die Solo-Shows genossen, die ich in Berlin gemacht habe. Das muss so um die Zeit von „White Chalk“ gewesen sein. Also 2008 oder 2009. Und ich habe auch nur sehr wenige Solo-Shows gespielt, insgesamt waren es vielleicht nur zehn. Sie alle waren sehr besonders, weil es eine großartige Herausforderung für mich darstellte, absolut allein zu performen. Es war so schön festzustellen, dass man solch eine Show auch allein bewältigen und beim Publikum für ungefähr eine Stunde das Interesse aufrecht erhalten kann. Gleichzeitig waren diese Shows auch die angsteinflößendsten, die ich je gemacht habe. Da man sich in einer sehr angreifbaren Position befindet, wenn man ganz allein auf der Bühne steht und versucht Leute für eine Weile gut zu unterhalten. Deshalb stellen sie etwas Besonderes dar und sind auch eine großartige Belohnung für meine Arbeit gewesen. Hoffentlich ging es den Menschen, die dort waren genauso. Ich hatte jedenfalls das Gefühl, einen sehr warmherzigen Zuspruch an den Abenden bekommen zu haben.
Hast du das Gefühl, dass zu viele Worte von deiner Seite bei einem Konzert die Energie stören würden?
Ja, das tue ich wirklich. Das Set, das ich vorhabe zu spielen, hat eine hohe Energie-Dichte und ich habe das Gefühl, wenn man zu viel zwischen den Songs redet, würde man die von mir gewünschte Energie und mit dem Moment brechen. Es fühlt sich genau richtig an, wenn ich schon viele Songs gespielt habe, die Bühne verlasse und erst dann rede, wenn ich zurückkomme, um weitere Songs zu spielen. Denn dann ist die Energie bereits einmal unterbrochen worden. Aber wenn ich mitten im Spiel bin, möchte ich nur mit der Energie der Musik den Raum füllen und keinen Bruch durch das Reden erzeugen.
Zu deinen zwei anstehenden Konzerten in Deutschland kann man lesen, dass du mit deiner Musik eine bessere Welt entstehen lässt. Würdest du dem zustimmen?
Das ist offensichtlich ein tolles Kompliment und ich kann nur hoffen, dass es wahr ist. Aber es ist schwierig, das selbst zu beurteilen und ich könnte es auch nie in solche Worte verpacken. Diese Worte von einer anderen Person zu hören ist eine große Ehre und wenn das wirklich der Fall ist, erscheint das wie ein Wunder und dafür bin ich sehr dankbar.
Wenn jemand in so vieler Hinsicht kreativ ist wie du es bist, gehört dies zum Alltag oder ist es für dich dadurch möglich, ein Leben fernab von Alltäglichkeiten zu führen?
Ich liebe meine Arbeit, ich liebe mein Leben und ich bin so glücklich darüber, dass ich von dem, was ich liebe, leben kann – kreativ sein, Dinge erschaffen. Und damit höre ich nie auf, es ist absolut kontinuierlich. Ein kreativer Kopf kennt keinen 9 bis 17 Uhr Zeitplan. Also arbeite ich wirklich immer. Weil jede kleine Inspiration, die ich sehe oder höre, rieche oder ertaste, jede Person die ich treffe, jedes Buch, das ich lese, kreativer Kraftstoff für mich ist. Somit kann es ein sehr schwieriger Job sein, es kann schwer fallen, sich selbst zu stoppen.
Ist es möglich, Musik zu ernst zu nehmen?
Jeder Mensch empfängt Musik auf eine andere Art und Weise und es ist abhängig davon, wie diese Menschen sind und was sich in ihrem Leben abspielt. Wenn man durch eine schwierige Zeit im Leben geht, braucht man es vielleicht, dass man Musik extrem ernst nimmt. Wenn man dagegen gerade eine ekstatische Phase durchlebt, nimmt man Musik vielleicht eher leicht, was auch angemessen sein kann. Es ist also von dem Zustand und dem Individuum abhängig.
Ängstigt dich der Gedanke, dass du an das künstlerische Maximum stoßen könntest?
Es würde mich ängstigen, wenn ich dort angelange. Aber es ist bist jetzt noch nicht passiert. Ich habe so viele Ideen und Projekte und deshalb kann ich mir kaum vorstellen, dass das jemals geschehen wird. Viel mehr Angst habe ich davor, dass ich die Umsetzung all meiner Ideen nicht schaffe bevor ich sterbe. Ich habe Angst, dass ich nicht genug Zeit habe.
Interview: Hella Wittenberg
PJ Harvey spielt am 8. Juli in München im Circus Krone und am 10. Juli in Frankfurt in der Jahrhunderthalle.