Omaha records Substanz-Festival 2012 in Leipzig, Teil 2

Samstag 04. August – „Wie macht man eigentlich Figuren aus Stricklieslwürsten?“

Kurz nach fünf: Die Substanz ist quasi noch leer und wir nehmen an einem Tisch neben der VIP-Lounge Platz. In Anbetracht der Größe der Lokalität und der Tatsache, dass die Künstler mitten im Biergarten sitzen, ist ja eigentlich die ganze Substanz eine VIP-Lounge. Wir halten uns heute an einem ganzen Liter hausgemachter Limonade (bei Maßkrügen kommt man einfach besser an das ganze Kernobst) fest und warten erneut im Schatten der nach wie vor gut bestückten Bäume auf einer der besagten zahlreichen Bierbankgarnituren. Die Sonne meint es immer noch gut mit uns – und wir warten. Wird Godot heute kommen? Wir nippen schon ganz nervös an unserer Limonade. Da hier alles eher locker gesehen wird, schauen wir uns noch gemütlich den Soundcheck der verschiedenen Bands an. Wie sich später herausstellen wird, haben wir dabei unwissentlich bereits Godot gesehen. Doch ich will hier noch nicht zu viel verraten. Es geht hier ohnehin, wie schon am Vortag, recht familiär im Hinblick auf die Bandbesetzungen zu.

18:50 Uhr – Die Bands nahmen sich ein Beispiel an Godot und als erste Kombo des Tages dürfen wir mit nur unwesentlicher Zeitverschiebung nun Crime Killing Joker Man bewundern. Die Band begrüßt einen neuen Musiker am Bass – aber Moment! Das ist nicht nur ein Bass, das ist ein Kontrabass, meine Damen und Herren! Und wer dieses Instrument mitbringt, hat bei mir ohnehin schon einen Stein im Brett und mich quasi gewonnen. Aber das ist bei dieser Band noch lange nicht alles. Lebensfroh, locker leicht, geradezu „fetzig“, wenn ich das so sagen darf, swingt uns diese Kombo beschwingt in den heutigen Festivaltag und in den Sommer hinein. Andere Instrumente werden auch noch aufgefahren, denken wir nur an das berühmte und unglaublich wichtige Klavier zum Pusten, das zur Gattung der Plasteblasinstrumente gehört – Aber was verstehen wir schon von Fachjargon? So erfreuen wir uns an dieser ausgereiften und schön anzuhörenden Instrumentierung – das Game-Boy-Solo natürlich nicht zu vergessen – und bekommen englischen und teils russischen modernen Folk allererster Güte geboten, sogar mit teilweise recht mafiös gespielter Gitarre. Die stellen Mumford & Sons doch locker in den Schatten, von Fleet Foxes ganz zu schweigen. Wie auch die Fachleute unserer Runde heute feststellten, zeigte die Band einen starken Kunstanspruch und den „Willen zur Überwindung des Dilettantismus“. Aber die Band begeisterte uns natürlich auch ganz informell.

Crime Killing Joker Man im Web

Irgendwann später – Ich schaue schon gar nicht mehr auf die Uhr. Zeit, wen interessiert schon die Zeit? Zeit ist Schall und Rauch oder so. Und spielt auch gar keine Rolle, solange die Musiker überhaupt auftreten. Und, Trommelwirbel, da ist er schon, der Godot! Oder wohl eher sie, haben wir es hier doch mit einer Band bestehend aus vier jungen Damen und einen jungen Herren zu tun. Letzterer zupfte im Übrigen bereits die Gitarre bei den vorher aufgetretenen Crime Killing Joker Man. Aber wie wir bereits feststellten, gehen an diesem Wochenende die meisten Musiker mehreren Beschäftigungsverhältnissen nach. Doch das macht nichts. Wir freuen uns, dass Godot tatsächlich noch aufgetaucht ist. Und was hat er tolle Sachen mitgebracht: Cello, Geige und neben der obligatorischen Gitarre ebenfalls ein Klavier zum Reinpusten. Im Straßenslang soll es übrigens auch Triola genannt werden, wie wir noch erfuhren. Wie mir aus meinen internen Kreisen am Tisch außerdem berichtet wurde, spielte Godot wohl letztes Jahr vor Gisbert zu Knyphausen in der Substanz. Diese Aussage kann ich aber leider nicht bestätigen, denn ich war NICHT DA! Allerdings kann ich mit Sicherheit sagen, dass die Merchandise-Idee der jungen Künstler recht alternativ daherkommt: Statt CDs werden einfach gemeinsam erstellte Gemälde verkauft. Werbung will schließlich gelernt sein und diese Band ist auf einem guten Weg!

Godot im Web

Im Anschluss wird es bei Julian Gerhard wieder merklich leerer auf der Bühne. Da sitzt er nun, allein, mit zerzaustem Haar und seiner Akustikgitarre. Doch das ist natürlich kein ungewöhnliches Bild an diesem Wochenende. Seine Einsamkeit auf der Bühne versucht er aber vermutlich dadurch zu kompensieren, dass er auf raffinierte Art und Weise hinterrücks die Leute vor die Bühne zu bewegen. Leider gelingt ihm das nur mit mäßigem Erfolg. Man kann ihn nämlich auch aus der Ferne wunderbar begutachten und vor allem auch belauschen. Und was hat der Mann, der so wunderbar und sehr leidenschaftlich diese Gitarre bearbeitet, uns zu erzählen? Zum Beispiel, dass er am Freitag im hiesigen Biergarten wohl zu viele Giselas genoss und bis kurz vorm Auftritt noch zitternd unter der Dusche kauerte. Natürlich sind wir froh, dass er es doch noch rechtzeitig aus der Nasszelle wieder heraus geschafft hat und er ist auch gewillt, sich heute wieder voll laufen zu lassen. Seinem Auftritt merkte man auch keine Vorabendeskapaden an. Allerdings schien er noch zu halluzinieren, dass Berti Vogts die Lichttechnik mache. Nun ja, Hauptsache das Musizieren funktioniert, denn am Ende stellt er uns noch maschinell seine virtuosen Fähigkeiten an der Gitarre unter Beweis und verschafft uns so einen Gerhard’schen Klangteppich aus mehreren Gitarrenschichten. LiveLooping sei Dank! Wir sind begeistert, das Publikum spendet tosenden Applaus, wunderbar!

Julian Gerhard im Web

Damit wenden wir uns dem vorletzten Künstler dieses Wochenendes zu, dem sagenumwobenen Gisbert zu Knyphausen, einst Chef von Omaha Records. Der Saal, pardon, der Biergarten ist mit einem Mal verdächtig voll, die Sitzkissen auf einmal allesamt belegt. Und als der Maestro himself sein Spiel beginnt, schweigt das demütige Publikum. Ach Gisbert, Gisbert, Gisbert … Weinberge und Tulpenfelder rahmen seinen Lebensweg. Das erkennt man auch gut am Weinglas auf dem Boden und einem niederländisch (Oder sagt man holländisch?) gesungenen Song. Man kann sich selbst eben nicht ablegen. Was seinen Lebensweg aber in ebenso prägendem Maße rahmt, sind seine Zusammenarbeiten mit Künstlern aller Art. So dauert es auch heute nicht lang, bis er nicht mehr allein, sondern mit seiner Band zusammen spielt. Diese wiederum ist zur Hälfte an die Band von daantje & the golden handwerk „verliehen“. So schließt sich der Kreis und alles fließt zu einer schönen Gemeinschaft zusammen. Wir kommen heute außerdem in den Genuss eines Songs von Kid Kopphausen, Gisberts aktuellstem Projekt zusammen mit Nils Koppruch, und hören auch ein für Kid Kopphausen geschriebenes Lied, das es nicht mehr auf das neue Album geschafft hat. Bei dieser vielen Arbeit kann man dann und wann aber auch schon mal den Text vergessen, mehrfach, immer wieder. Bei den verschiedensten Songs. War das wirklich nur Wein? Doch das tut der ganzen Sache keinen Abbruch. Er freut sich, wir freuen uns. Die ganze Substanz freut sich. Ach was, ganz Leipzig freut sich!

Gisbert zu Knyphausen im Web

Damit sind wir nun auch beim Headliner angekommen, wenn man das so sagen darf. Aber das scheint bei der Banddurchmischung generell eher relativ zu sein. Irgendwie ist hier ja jeder ein bisschen Headliner. Wie dem auch sei, es wird wieder lauter bei Daantje & The Golden Handwerk, und wer jetzt eigentlich alles noch so auf der Bühne steht, kann ohnehin keiner mehr auseinanderhalten. Ich würde sagen, alle machen mit, und auch wenn es schon nach Zehn ist und Daantje bereits die Polizei gerufen hat, werden sie spielen, bis nach eigener Aussage der Arzt kommt. Diese Herausforderung nehmen wir natürlich gerne an. Immerhin liefert uns seine Ode an den Kaffee zum Abschluss nochmal einen gehörigen musikalischen Koffeinschub. Ich kann meine Ehrerbietung für dieses Stück musikalischer Lobpreisung gar nicht in Worte fassen, es würde dem Song nicht gerecht werden. Eine Hymne sondergleichen. Danke Daantje, danke! So lassen wir uns von den zahlreichen bunt zusammengewürfelten Musikanten auf die letzte Reise an diesem Abend mitnehmen, die Asche unserer aller Mütter nicht zu vergessen, und erfreuen uns auch am ewigen Gitarre-Stimmen zwischen den Liedern, das Daantje mit nur mäßigem Erfolg überspielen kann. Inzwischen singen auf ihren Bierbänken alle mit: Gisbert, _pappmaché, der Barchef und eigentlich die ganze Substanz hat sich inzwischen auch zum Tanz aufgerafft. Ein würdiger Abschluss eines schönen sommerlichen und gemütlichen Festivals.

Daantje & The Golden Handwerk im Web

In diesem Sinne: Life was saved by Rock’n’Roll! Danke Omaha, danke Substanz! Bis zum nächsten Mal!

Und zum Abschluss geht mein Dank raus an A, D, K, K und M für die verbalen Anregungen während der Auftritte!


Mehr Infos über Omaha Records gibt es hier: www.omaha-records.de/


War dabei: Anja Gebhardt